Ersing, Joseph 

Geburtsdatum/-ort: 04.02.1882;  Ochsenhausen
Sterbedatum/-ort: 05.08.1956;  Rottenmünster/Rottweil
Beruf/Funktion:
  • Gewerkschafter, Zentrumspolitiker, Widerstandskämpfer
Kurzbiografie: 1889-1896 Besuch der Volksschule in Ochsenhausen
1896-1899 Lehre als Schreiner, Eintritt in den Gesellenverein (Kolping) in Ochsenhausen
1899-1902 Wanderschaft, u. a. nach Köln und München. In München Begegnung mit der Christlichen Gewerkschaftsbewegung; Bekanntschaft mit Adam Stegerwald
1902-1904 Militärdienst beim 8. Bayerischen Infanterieregiment in Metz
1906 Bezirksleiter im Christlichen Holzarbeiterverband, zunächst in Mannheim, dann in Frankfurt (für Rheinland-Pfalz und Hessen)
1911 In gleicher Eigenschaft in Karlsruhe (Südwestdeutschland und Pfalz) als Sekretär
1914-1917 Kriegseinsatz im Westen (Verdun)
1918 Beirat im Badischen Ministerium für soziale Angelegenheiten, hier 1919 Hilfsreferent und ab 1. April 1920 Regierungsrat
1919-1920 Abgeordneter in der Nationalversammlung zu Weimar (Zentrum)
1920-1933 Mitglied des Reichstags (Badisches Zentrum)
1933 Übersiedelung nach Stuttgart
1944 (5. 10.) Verhaftung durch die Gestapo
1945 (April) Befreiung durch die russischen Truppen
1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Nordwürttemberg/Nordbaden, dann Mitglied des ersten Landtags
1956 Übersiedelung nach Rottenmünster (nach dem Tod seiner Frau am 25. Dezember 1955)
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 13. 7. 1908 Susanne, geb. Kompost aus Maselheim (Biberach) (gest. 1955)
Eltern: Vater: Franz Joseph Ersing, Zimmermann (1845-1920)
Mutter: Walburga, geb. Schwarzmann (1851-1912)
Geschwister: 11
GND-ID: GND/129870978

Biografie: Rudolf Reinhardt (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 82-84

Der junge Handwerker Ersing wurde entscheidend durch die Mitgliedschaft im Kolping-Werk und durch die Begegnung mit der Christlichen Gewerkschaftsbewegung geprägt. In München traf er auch Adam Stegerwald, seit 1. Juli 1899 Vorsitzender des Zentralverbandes christlicher Holzarbeiter. Selbst als Soldat versuchte Ersing, in Metz eine Zelle der Christlichen Gewerkschaften zu bilden. Nach dem Besuch eines zehnwöchigen Schulungskurses des „Volksvereins für das katholische Deutschland“ (Mönchen-Gladbach) wurde Ersing hauptamtlicher Mitarbeiter der Christlichen Gewerkschaften. Die Arbeit war mühsam. Die Konkurrenz der weitaus stärkeren (roten) „Freien Gewerkschaften“ wirkte erdrückend. Nach 1919 gehörte Ersing in der Zentrumsfraktion des Reichstags zum „Gewerkschaftsflügel“. Die Herkunft aus dem ehemaligen vorderösterreichisch-katholischen Oberschwaben macht das Bekenntnis zu einer großdeutschen Lösung unter Einbeziehung Österreichs verständlich. Im Haushaltsausschuß des Reichstags wurde Ersing bald ständiger Berichterstatter für den Wehretat; dies und die Beschäftigung mit Fragen der Wehrpolitik (Mitglied im Ausschuß für Bildungsfragen von Heer und Marine) führte zu engen Kontakten mit der höheren Führung der Reichswehr. Auch zu Problemen der sogenannten Osthilfe und deren Mißbrauch durch die Großagrarier nahm Ersing öffentlich Stellung. Während den Gesprächen der Zentrumsfraktion über eine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 verhandelte Ersing mit den Arbeiterführern; er hoffte, durch ein Entgegenkommen die Existenz der Gewerkschaften sichern zu können. Im Juni 1933 wurde er für einige Tage inhaftiert. Die guten Beziehungen zu manchen Ministerien in Berlin benützte Ersing nach 1933, um sich laufend politische Informationen zu verschaffen; auch versuchte er mit Erfolg, den in Not geratenen ehemaligen Gewerkschaftskollegen zu helfen. Später, nach Ausbruch des Krieges, gelang es ihm, auf diesem Weg nicht wenige Häuser der klösterlichen Verbände in Württemberg dem Zugriff von Partei und Gestapo zu entziehen. Seit 1934 half Ersing mit, eine Widerstandsfront gegen das Regime aufzubauen. Er hielt deshalb Verbindung zu zahlreichen Gewerkschaftern (auch der anderen Richtungen), Politikern und Bekannten aus der Weimarer Zeit. Die sich 1942 abzeichnende Niederlage im Zweiten Weltkrieg veranlaßte eine Intensivierung der Gespräche. Ersing gehörte zum engeren Kreis um Gördeler; so hielt er auch die Verbindung zu einem Widerstandskreis in Stuttgart aufrecht. Nach langem innerem Ringen stimmte Ersing einer gewaltsamen Beseitigung Hitlers zu. Nach dem Attentat vom 20. Juli wurde Ersing am 5. Oktober verhaftet. Über Berlin kam er in das Konzentrationslager Ravensbrück. Später, wieder nach Berlin zurückgekehrt, erhielt er am 24. Januar 1945 den formellen Haftbefehl ausgehändigt. Er entging der Hinrichtung, weil die Prozeßakten des Volksgerichtshofes bei einem Fliegerangriff verbrannten und ein neues Verfahren notwendig wurde, das vor dem Einmarsch der Russen nicht mehr abgeschlossen werden konnte.
Nach der Befreiung beteiligte sich Ersing in Berlin an ersten, langwierigen Gesprächen über die neuen Parteien, die schließlich auch zur Gründung einer Volkspartei auf christlicher Grundlage führten. Nach der Rückkehr im August 1945 wirkte er in Stuttgart im gleichen Sinne (zunächst: Christlich-soziale Volkspartei). Ersing beabsichtigte, nicht mehr in die aktive Politik zurückzukehren. Das Drängen der politischen Freunde und der Aderlaß durch die nationalsozialistische Verfolgung stimmten ihn aber um. Zunächst wurde er Mitglied der „Vorläufigen Volksvertretung“, dann der Verfassunggebenden Landesversammlung (1946) und des Landtags von Nordwürttemberg-Nordbaden (1946-1950). Seine reichen parlamentarischen Erfahrungen wurden zu einer wertvollen Hilfe in den genannten Gremien. Als geborener Württemberger, der viele Jahre in Baden gelebt und gearbeitet hatte, trat Ersing für den Südweststaat ein. Die Erfahrungen des oftmaligen Gegeneinanders der großen Gewerkschaften vor 1933 veranlaßten ihn auch, zunächst für die Einheit der Arbeiterbewegung einzutreten.
Ersing war geprägt vom Ethos der christlichen Sozialbewegung. Durch Fleiß und Begabung wurde er im Kaiserreich und in der Weimarer Zeit zu einem angesehenen Arbeiterführer. Seiner Wahrhaftigkeit, Sachlichkeit, Unbestechlichkeit, Offenheit und Zuverlässigkeit wegen achteten ihn auch die politischen Gegner.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in Privatbesitz.

Literatur: Walter Hammer, Hohes Haus in Henkers Hand, Frankfurt/Main 1955, 39; Josef Boneberg, J. Ersing, 1882-1956. Streiflichter auf ein Leben für den kleinen Mann. Maschinenschrift o. J. (mit Literatur). – Erinnerungen der Eltern des Verfassers.
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