Meier, Stefan Edwin 

Geburtsdatum/-ort: 06.11.1889;  Neustadt/Schwarzwald
Sterbedatum/-ort: 19.09.1944; KZ Mauthausen bei Linz (Österreich)
Beruf/Funktion:
  • MdR-SPD, Ofer des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1897–1904 Volksschule St. Georgen, danach Landarbeiter
1905–1908 Kaufmännische Lehre
1909–1910 Militärdienst, danach Handlungsgehilfe
1911 Expediteur d. Freiburger „Volkswacht“
1914–1918 Kriegsdienst
1918/19–1922 Parteisekretär in Freiburg
1919–1927 Stadtverordneter in Freiburg
1922–1933 Selbstständiger Kaufmann für Tabakwaren, Zigarrenhaus Unterlinden, in Freiburg
1924–1932 MdR-SPD
1933 III. 5–VII. 7 Erneut MdR
1933 III.–1934 III. „Schutzhaft“
1941–1944 Zuchthausstrafe im Zuchthaus Bruchsal, anschließend „Schutzhaft“, seit 1.8.1944 KZ Mauthausen
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: „Stefan-Meier-Straße“ in Freiburg im Br. (1947); Gedenkveranstaltung anlässlich des 100. Geburtstages im Freiburger Rathaus (1989); Gedenktafel unweit des Reichstags (1996); „Stolperstein“ vor Meiers Haus in d. Merianstraße, Freiburg (2008).
Verheiratet: 1918 Emma, geb. Hofheinz
Eltern: Vater: Stefan Egidius, Kleinlandwirt
Mutter: Magdalena, geb. Liebherr
Geschwister: 6, 2 Stiefgeschwister
Kinder: 2; Richard u. Margarete, verh. Huber
GND-ID: GND/130076112

Biografie: Frank Raberg (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 271-273

Meier war eine der bedeutenden Persönlichkeiten der bad. Sozialdemokratie während der Zeit der ersten deutschen Republik. Sein Lebensweg führte ihn aus schwierigen persönlichen Verhältnissen zum erfolgreichen Einzelhändler und profilierten Parlamentarier auf Reichsebene.
Als Halbwüchsiger zum Vollwaisen geworden musste er auf dem Bauernhof eines Verwandten in St. Georgen aushelfen. Während seiner kaufmännischen Lehrzeit in einer Freiburger Drogerie schloss sich Meier bereits der SPD an; das Eintrittsjahr wird unterschiedlich mit 1906 oder 1908 angegeben. Die Parteiarbeit vereinnahmte ihn zunehmend, und ab 1911 übernahm er den Vertrieb der neugegründeten Freiburger SPD-Tageszeitung „Volkswacht“. Es war nicht zuletzt die Kriegserfahrung des Frontsoldaten, die letztlich den Ausschlag dafür gab, sich noch stärker für seine Partei zu engagieren. In den Monaten der Revolution 1918/19 war Meier Teilnehmer mehrerer Landesversammlungen der bad. Räteorganisationen, er übernahm die Leitung des Freiburger Parteisekretariats, war Delegierter bei der Reichsparteiversammlung 1919 und ab Mai dieses Jahres Mitglied der Freiburger Stadtverordnetenversammlung.
Schon der Kommunalpolitiker Meier zeigte sich als Kritiker der Erzbergerschen Finanzreform, welche die Gewichte des Finanzwesens zugunsten des Reiches verschoben hatte, zum Nachteil von Ländern und Gemeinden. Meier setzte sich für eine gerechtere Lastenverteilung ein, solange er politisch aktiv sein konnte. Leidenschaftlich kämpfte er für die Stärkung der jungen Demokratie und eine konstruktive Rolle seiner Partei, auch wenn sie nicht an der Regierung beteiligt war. Gerade als stärkste Oppositionspartei trage die SPD eine besondere staatspolitische Verantwortung. Um 1930 drang Meier mit dieser Auffassung immer weniger durch. Gegen politischen Extremismus, ob von links oder rechts, stritt er gleichermaßen vehement, sah den Bestand des Staates dadurch bedroht. Seine Zeitgenossen, auch Parteifreunde, haben ihn in dieser Haltung nicht immer verstanden. Das Zugrundegehen der Weimarer Republik hat viel mit Passivität, Sorglosigkeit und Fehleinschätzung, auch mit „Bequemlichkeit“ derer zu tun, die als aktive Politiker die demokratische Integrität, den Geist der Verfassung permanent hätten verteidigen müssen, wie Meier es erfolglos versuchte.
Bei der zweiten Reichstagswahl des Jahres, im Dezember 1924, war Meier gelungen, woran er im Mai noch gescheitert war: das Mandat zu erringen. Er war einer von drei SPD-Abgeordneten aus Baden, die beiden anderen waren Oskar Geck (➝ IV 86) und Georg Schöpflin (BWB II 419). Nach Gecks Tod im Mai 1928 rückte Adam Remmele (➝ II 225) auf den ersten Listenplatz, während Meier auf dem 3. Platz verblieb. Bei der November-Wahl 1932 verlor Meier sein Reichstagsmandat.
Im Reichstag profilierte er sich, wie zuvor schon auf kommunalpolitischer Ebene, als Steuer- und Haushaltsexperte. 1928 stellte der Finanzexperte Überlegungen an, die politische Selbstständigkeit Badens aus steuerpolitischen Gründen notfalls zu beenden. Die Reichsfinanzstatistik bestätige die überdurchschnittliche Anspannung der Realsteuern im Lande, das durch seine Grenzlage wirtschaftlichen Nachteilen ausgeliefert sei.
Da sich Meier als offener Gegner des Nationalsozialismus gezeigt hatte, blieben nach der Machtübernahme Hitlers Repressalien nicht aus. Am 17. März 1933 verhaftet und im Lager Ankenbuck bei Villingen in „Schutzhaft“ gehalten, konnte er das am 5. März wieder gewonnene Reichstagsmandat nicht ausüben. Am 7. Juli erlosch es im Zuge der Auflösung der SPD. Als Meier nach einem Jahr „Schutzhaft“ im März 1934 nach Hause zurückkehrte, durfte er feststellen, wie er in einem Brief an seinen Parteifreund Wilhelm Keil (BWB II 259) mitteilte, dass seine Frau „sehr tapfer […], sehr tüchtig“ das Geschäft „glänzend“ weitergeführt habe: „Nur gesundheitlich ist das Jahr nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen. Aber auch das macht sich wieder […]“.
Von Demütigungen der Haft geprägt, zog sich der von der Gestapo Bespitzelte fast ganz aus dem gesellschaftlichen Leben Freiburgs zurück. Er betrieb sein Geschäft, hielt aber vorsichtig Kontakt zu einigen Parteifreunden und Angehörigen des Widerstands, ohne sich selbst zu engagieren.
Bei Kriegsbeginn 1939 als Kraftfahrer zur Motorisierten Schutzpolizeihundertschaft Konstanz eingezogen, wurde der 50-jährige schon nach wenigen Tagen wieder entlassen. Grund dafür waren seine „abfällige Äußerungen“ über die Regierung, die er beim Radiohören im Kameradenkreis hatte hören lassen. „Abfällige Äußerungen“ über Hitler und dessen Kriegspolitik waren es auch, die ihn zwei Jahre später erneut zum Gefangenen machten: eine Nachbarin verriet einem Polizeibeamten, Meier habe am 17. Juni 1941 ihr gegenüber Hitler als „größenwahnsinnig“ bezeichnet, der alle Staaten „im Blutrausch“ mit Krieg überziehen wolle. Das Sondergericht beim Landgericht Freiburg verurteilte ihn am 21. Oktober wegen „Wehrkraftzersetzung“ bzw. „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe. Die Denunziantin wurde 1947 zu drei Jahren Haft wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ verurteilt“.
Meier sollte nie wieder in die Freiheit zurückkehren. Nach Ende der Haftstrafe erneut in „Schutzhaft“ genommen, kam er im Sommer 1944 ins KZ Mauthausen, wo er bereits wenige Wochen später ums Leben kam. Er hatte es abgelehnt, mit einem Gnadengesuch an Hitler heranzutreten. Die Umstände seines Todes sind ungeklärt. Seine Witwe erfuhr am 23. September 1944 vom Tod ihres Mannes und der Kremierung des Leichnams. SS-Obersturmführer Schulz teilte mit, Meier sei an einer „akuten Herzschwäche“ gestorben. Wolf Middendorff vermutet, Meier sei getötet oder so gequält worden, „dass er an Erschöpfung zugrunde ging“, Wilhelm Keil dagegen behauptete, es sei „später festgestellt worden, dass er mit Gas ermordet wurde“.
Quellen: StAF K 1/85, Nachlass Meier.
Nachweis: Bildnachweise: Reichstags-Handbuch 1924, 473 (vgl. Literatur).

Literatur: Reichstags-Handbuch, III. Wahlper. 1924, 1924, 309 (mit Bildnachweis); Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. II, 1948, 568, 620, 665; Franz Osterroth, Biogr. Lexikon des Sozialismus, Bd. I: Verstorbene Persönlichkeiten, 1960, 220; Dt. Widerstandskämpfer 1933–1945. Biographien u. Briefe, Bd. II, 1970, 525; Wolf Middendorff, Stefan Meier u. seine Denunziantin, in: Freiburger Almanach 1988, 81–84; Stefan Meier 1889–1944, in: Freiburger Forum, Ausgabe Sept. 1988; Stefan Meier Ein großer Sozialdemokrat des Hochschwarzwaldes, in: Hoch-Schwarzwald-Kurier vom 30. 3. 1989; Gedenken zum 100. Geburtstag des früheren Reichstagsabg. Stefan Meier (1889–1944), in: St. Georgen Bote Heft 11, 1989; Margarete Huber, Als sie den Vater holten, in: BZ (Freiburg) vom 6.11.1989; Mahnung für die Gegenwart. Gedenkveranstaltung für den SPD-Politiker Stefan Meier, in: BZ (Freiburg) vom 10.11.1989; S. Schwalb, Von einem, der sich nicht einschüchtern ließ. Gedenken an Stefan Meier 1889–1944. Dokumentation anlässlich des 100. Geburtstages am 6. Nov. 1989, Freiburg 1990; Peter Brandt/Reinhard Rürup, Volksbewegung u. demokrat. Neuordnung in Baden 1918/19. Zur Vorgeschichte u. Geschichte d. Revolution, 1991, 165 f.; Manfred Peter Heimers, Unitarismus u. süddt. Selbstbewusstsein. Weimarer Koalition u. SPD in Baden in d. Reichsreformdiskussion 1918–1933, 1992, 275, 293–295, 314; Martin Schumacher, M.d.R. – Die Reichstagsabgeordneten d. Weimarer Republik in d. Zeit des Nationalsozialismus, 3. Aufl. 1994, 316, Nr. 1002; Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den dt. Reichs- u. Landtagen 1867–1933 (Handbb. zur Geschichte des Parlamentarismus u. d. polit. Parteien 7), 1995, 610, Nr. 130380; Thomas Kurz, Feindliche Brüder im Südwesten. Sozialdemokraten u. Kommunisten in Baden u. Württemberg von 1928 bis 1933, 1996.
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