Ziegler, Anna Wilhelmine 

Andere Namensformen:
  • geb. Strauß
Geburtsdatum/-ort: 10.06.1882;  Backnang
Sterbedatum/-ort: 27.12.1942;  Schwäbisch Hall
Beruf/Funktion:
  • (U)SPD-Politikerin, Mitglied des Reichstags, Hausfrau
Kurzbiografie: 1888-1895 Volksschule in Backnang
1895-1905 Stellungen als Dienstmädchen (Hausangestellte), u. a. in Bad Homburg vor der Höhe und Frankfurt a. M.
1906 Eintritt in die SPD
1906-1911 Wohnort mit der Familie in Bremerhaven-Lehe
1911 Umzug nach Heilbronn
1912 Delegierte zur SPD-Landesversammlung
1913-1924 Ehrenamtliche Mitarbeit in der kommunalen Sozialfürsorge in Heilbronn, u. a. als Waisenpflegerin und in der Kriegsfürsorge
1915 Wechsel zur USPD
1919-1924 Gemeinderätin in Heilbronn (bis 1922 für die USPD, danach für die SPD)
1920-1924 Mitglied des Reichstags (USPD, ab 1922: SPD)
1924 Umzug nach Leipzig
1924-1933 Angestellte im Sekretariat der Frauen Groß-Leipzig
1925 letztmals Delegierte zum SPD-Parteitag (regelmäßige Teilnahme seit 1919)
1938 Umzug nach Backnang
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., ab 1920 konfessionslos (nach eigenen Angaben; offizieller Kirchenaustritt: 1924)
Verheiratet: 1905 Hans (Johann Georg Christoph) Ziegler (1877-1957), (U)SPD-Politiker, Mitglied des Reichstags, Oberbürgermeister in Nürnberg, geschieden 1924
Eltern: Vater: Emanuel Ludwig Strauß, Rotgerber
Mutter: Pauline Magdalene, geb. Häußler
Geschwister: 1 Schwester
Kinder: 1 Stieftochter (geb. 1900)
GND-ID: GND/130087335

Biografie: Elke Koch (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 311-312

Der Lebensweg Anna Zieglers ist in vielerlei Hinsicht typisch für die erste Generation von Sozialdemokratinnen in der Politik. Wie die meisten von ihnen hatte auch sie vor der Eheschließung nicht als Fabrikarbeiterin, sondern als Dienstmädchen gearbeitet. Spätestens seit ihrer Heirat mit dem Verbands- und Gewerkschaftsfunktionär Hans Ziegler bekannte sie sich offen zur Sozialdemokratie. In Heilbronn, wo Hans Ziegler Geschäftsführer des Metallarbeiterverbands war, schloss sich das Ehepaar dem hier relativ stark vertretenen linken SPD-Flügel an. Zu dessen Festhalten an der orthodoxen Parteiprogrammatik gehörte es auch, für die Verwirklichung der weiblichen Gleichberechtigung einzutreten, z. B. durch die Delegierung auch weiblicher Vertreter zu den Landesversammlungen der SPD, darunter im Jahr 1912 auch Ziegler. Mit dem linken Flügel der SPD ging Ziegler während des Ersten Weltkriegs zur USPD über.
Dass sie den Anspruch auf aktive Mitwirkung an politischen Entscheidungen erhob, zeigte sich in der Novemberrevolution 1918, als sie nach dem Sturm auf das Heilbronner Gefängnis zu den Verhandlungsführern gehörte. Ihre unmittelbar anschließende steile politische Karriere verdankte sie den Richtungskämpfen innerhalb des sozialistischen Lagers.
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919 stand Ziegler auf Platz 4 der württembergischen USPD-Liste, die von Clara Zetkin angeführt wurde. Gewählt wurde allerdings keine von ihnen. Da Clara Zetkin bei den Wahlen zum Reichstag 1920 nicht mehr für die USPD, sondern für die KPD kandidierte, rückte Ziegler auf Platz 3 des württembergischen USPD-Wahlvorschlags vor, auf dem sie die einzige Frau war. Durch das sehr gute Abschneiden der USPD bei dieser Wahl konnte sie einigermaßen überraschend in den Reichstag einziehen.
Während sie in der Reichstagsarbeit keine maßgebliche Rolle übernehmen konnte, wurde sie in der Heilbronner Kommunalpolitik zur festen, wenn auch umstrittenen Größe. Bei ihrem Eintritt im Mai 1919 war sie als erste und einzige „Stadtmutter“ Heilbronns begrüßt worden. Dass sie aber, im Unterschied zu den meisten Kommunalpolitikerinnen der ersten Generation, sehr kämpferisch auftrat, führte schnell zu Konflikten, die über den Gemeinderat hinaus auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Die Situation spitzte sich noch zu, als die USPD-Fraktion im Gemeinderat durch den Übertritt ihrer beiden Kollegen zur KPD auseinander fiel und Ziegler damit völlig allein stand. Mehrfach führten Anträge oder Redebeiträge Zieglers zum teilweise tumultuarischen Abbruch von Gemeinderatssitzungen. Ursache war nicht nur der dogmatische Sozialismus Zieglers und ihr heftiges Temperament – auch wenn beides sicher nicht einfach zu ertragen war –, sondern mindestens ebenso sehr ihr überraschend selbstbewusstes Auftreten, mit dem sie deutlich von der zeitgenössischen Frauenrolle abwich und ihre männlichen Ratskollegen überforderte. Trotz heftiger Kritik aus dem bürgerlichen Lager hatte Ziegler allerdings den Rückhalt der Wähler und wurde 1922 mit einem guten Ergebnis noch einmal in den Gemeinderat gewählt, dieses Mal auf der Liste der SPD, zu der sie mittlerweile zurückgekehrt war.
Kurz nach dem Ablauf ihres Reichstagsmandats erklärte sie ihren Austritt aus dem Heilbronner Gemeinderat. Auch in privater Hinsicht bedeutete das Jahr 1924 durch die Ehescheidung und den Umzug nach Leipzig eine Zäsur. In Leipzig, wo sie beim Frauensekretariat im Dienst der SPD stand, versuchte sie zunächst, ihre politische Laufbahn fortzusetzen. Belegt ist für 1925 ihre Delegierung zum SPD-Parteitag. 1929 nahm sie am SPD-Parteitag in Magdeburg teil, allerdings nicht mehr als Delegierte, sondern nur noch als Gast; es gelang ihr offensichtlich nicht, eine ähnlich herausragende Rolle wie in Heilbronn nochmals zu übernehmen. Möglicherweise um nationalsozialistischer Verfolgung zu entgehen, kehrte sie 1938 in ihre Heimat Backnang zurück und nahm ihren Mädchennamen wieder an.
Quellen: StadtA Heilbronn: ZS-P-5119; Ratsprotokolle 1919-1924.
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Heilbronn; Koch (vgl. Lit.).

Literatur: Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867-1933, 1995; Elke Koch, Eine streitbare „Stadtmutter“, in: Christhard Schrenk (Hg.), Heilbronner Köpfe II, 1999, 217-229.
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