List, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 31.01.1905; Witzenhausen
Sterbedatum/-ort: 02.12.2005;  Lahr
Beruf/Funktion:
  • Graphiker und Denkmalpfleger
Kurzbiografie: 1911–1919 Volksschule in Witzenhausen
1920–1922 Tätigkeit im Architekturbüro Haferkorn&Häring, Göttingen
1922–1926 Staatl. Kunstgewerbeschule Kassel
1926 halbjährige Italienreise
1927–1929 Graphiker in d. Kunstanstalt Landmann, Mannheim-Neckarau
1929–1931 Mitglied d. NSDAP, Nr. 25 092
1932 Mitglied d. „Kameradschaft des Widerstands“ von Ernst Niekisch
1933–1945 Reichsarbeitsdienst
1937 Wieder-Eintritt in die NSDAP, Nr. 5 698 238
1945–1960 selbstständiger Graphiker in Lahr bis 1955, dann techn. Angestellter im Stadtplanungsamt Lahr
1960–1971 techn. Angestellter am Staatl. Amt für Denkmalpflege, Freiburg
1962–1964 Renovierung von St. Cyriak in Sulzburg
1972–1975 Grabungen in d. Klosterkirche Schuttern
1965–1975 Lahrer Stadtrat-SPD
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (1975); Bürgermedaille d. Stadt Lahr (1983)
Verheiratet: 1936 (Gersfeld/Rhön) Elisabeth, geb. Ludwig (1909–1986), zuletzt Leiterin d. hauswirtschaftlichen Berufsschule in Lahr
Eltern: Vater: Otto (1873–1948 Gärtnermeister
Mutter: Ernestine, geb. Hoffmann (1873–1933)
Geschwister: 2; Elisabeth, verh. Hobert (1902–1999), Otto (1908–1993)
Kinder: 2; Hanna Renate, verh. Marzolff (geboren 1938), u. Karl Albrecht (geboren 1940)
GND-ID: GND/130180602

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 297-300

Unter dem schlichten Titel „technischer Angestellter“ leistete List 12 Jahre lang Arbeit im Staatlichen Denkmalamt in Freiburg und bewältigte zahlreiche Notgrabungen in Kirchen, als dort Heizungen eingebaut wurden. Martin Hesselbacher hatte den begabten Zeichner mit praktischer Erfahrung im Hoch- und Tiefbau als Quereinsteiger in seine personell und materiell bescheiden ausgestattete Behörde berufen. Er kannte ihn als ehrenamtlichen Kreispfleger der Bau- und Kunstdenkmale sowie für Ur- und Frühgeschichte im Landkreis und der Stadt Lahr, als Winfried Knausenbergers Assistenten bei Grabungen in der Burgheimer Kirche und als Angestellten im Stadtplanungsamt Lahr, der Erfahrung im Umgang mit historischer Bausubstanz gesammelt und mit einer Rekonstruktionszeichnung „Lahr um 1620“ hervorgetreten war. Seine große Chance erhielt List, als ihm Hesselbacher die Renovierung der romanischen Kirche St. Cyriak in Sulzburg anvertraute. List ging mit Feuereifer ans Werk, legte die Baustufen frei, klärte und datierte An- und Umbauten und suchte mitzureden bei deren Deutung und historischen Einordnung; er scheute selbst die Auseinandersetzung mit Fachleuten nicht, wie dem Karlsruher Kunst- und Bauhistoriker Arnold Tschira, der sich als Mitglied der Beraterkommission vor der Grabung zur Renovierung von Sulzburg geäußert hatte.
Als Pensionär fand List noch einmal Beachtung bei Grabungen in der Klosterkirche von Schuttern. Die Entdeckung eines ausdrucksvollen romanischen Fußboden-Mosaiks, „Kain erschlägt seinen Bruder Abel“, betrachtete er als Krönung seines Lebenswerks. Er datierte es in die ottonische Zeit, konstruierte einen Zusammenhang mit dem Besuch Kaiser Heinrichs II. in Schuttern 1016. Diese Datierung wurde in Fachkreisen angezweifelt, erneut 2013 auf einer Tagung in Friesenheim. Lists Vorschlag, das Mosaik aus Fundpartikeln zu restaurieren, hatte die Denkmalbehörde zugunsten der reinen Konservierung abgelehnt.
„Pionier der Kirchenarchäologie in Baden-Württemberg“ wurde der im 101. Lebensjahr Verstorbene von Kollegen in Nachrufen genannt, auch wenn sie es nicht immer leicht mit ihm gehabt hatten. Dass sich kein adäquater Titel für List fand, liegt an seinem Werdegang; es fehlte der entsprechende Schulabschluss, was der in Kassel ausgebildete Graphiker als nimmermüder Autodidakt kompensierte. Rüstzeug zum Architekten hatte er in zwei Göttinger Büros gesammelt, in der Hauptsache jedoch in der Praxis beim Reichsarbeitsdienst und auf Lehrgängen, die dieser in Dresden und Potsdam bot.
Als Jugendlicher und junger Erwachsener durchlief List unstete Jahre vor dem Hintergrund der mannigfachen Probleme der Weimarer Republik. Er war „vom Wandervogel geprägt, liebte die Natur, verachtete die Wurzellosigkeit städtischen Lebens und die Spießbürger“(Thoemmes, 2003, S. 36) – diese Aussage über Lists Freund, den Zeichner und Karikaturisten A. Paul Weber, trifft auch auf ihn zu; List sprach gern von seiner Verankerung in der bündischen Jugend. Die Burg Ludwigstein, bedeutendes Zentrum der Pfadfinder- und Jugendbewegung in der Nähe seiner Geburtsstadt, war ein wichtiger Ort für ihn, ebenso die dortige Deutsche Kolonialschule. Nach der Ausbildung in Kassel wanderte List durch ganz Italien bis Sizilien. Danach arbeitete er in Mannheim als Werbegrafiker in der lithographischen Kunstanstalt des jüdischen Kaufmanns Paul Isidor Landmann (1881–1939), dessen originell gestaltete Etiketten bei Sammlern bis heute beliebt sind.
Intensiv setzte sich List mit Weltanschauungsfragen und Politik auseinander. 1929 trat er der NSDAP bei. Er verbrachte einige Monate mit freiwilliger Arbeit in Thüringen beim Bund Artam, einem Zweig der deutschen Jugendbewegung, und nahm 1929 am NS-Reichsparteitag teil. Er traf Hans Grimm, den Autor von „Volk ohne Raum“, kannte Ernst Jünger und dessen Bruder Friedrich Georg, reiste zu Ludwig Finckh nach Gaienhofen, versuchte sich als selbstständiger Buchhändler. 1931 trat er aus der NSDAP aus. Er hatte sich bereits dem Umfeld des Linksnationalisten Ernst Niekisch (1889–1967) genähert, der mit A. Paul Weber die Zeitschrift „Widerstand“ herausgab. Dessen eindringliche, oft suggestiv genannten Zeichnungen, die Hitler und seine Partei als verhängnisvoll anprangerten, wurden nach dem Krieg weit verbreitet und als Warnung vor der Diktatur verstanden. Sie waren jedoch nur Angriffe einer konkurrierenden radikalen Gruppierung. In seinen Erinnerungen erwähnt List auch Kontakte mit dem Jugendführer Eberhard Köbel, der 1932 überraschend der KPD beitrat. List wurde 1932 Mitglied in Niekischs „Kameradschaft des Widerstands“, vertrat diese in Hessen und agierte als Diskussionsredner in turbulenten Versammlungen. Um die Jahreswende 1932/33 hielt er sich in Berlin auf, wo er am 30. Januar den Fackelzug zur NS-Machtübernahme miterlebte. List verließ Berlin und lebte einige Wochen als Gast bei A. Paul Weber und dessen Familie in der Nähe von Göttingen; dann kehrte er in seinen Heimatort zurück und meldete sich bei einer Gruppe des Freiwilligen Arbeitsdienstes.
Aus dem Freiwilligen Arbeitsdienst wurde bald der Reichsarbeitsdienst, RAD. List fiel auf wegen seiner vielfältigen Begabungen und wurde bald Gruppenführer. Er bewährte sich als Bautechniker, schmückte Aufenthaltsräume durch Wandmalereien, galt als begabter „Unterrichtsmann“ und kam als Vorgesetzter an. 1936 heiratete er, eine glückliche Wendung in seinem Leben. Seinen Wiedereintritt in die NSDAP 1937 rechtfertigte der RAD-Mitarbeiter als Existenzsicherung, als für seine Laufbahn kaum vermeidbar. 1938 stieg List zum Oberstfeldmeister auf, wurde Chef der Abteilung 7/221, mit der er im August 1938 zum Bau des Westwalls an den Oberrhein kam. Bei Kriegsausbruch im September 1939 musste er eine Baukompanie übernehmen und in Riegel ausharren, wodurch er vorübergehend Angehöriger der Wehrmacht wurde. Im Sommer 1940 tat er mit seiner RAD-Abteilung in Frankreich Dienst und gelangte bis in die Gegend um Versailles.
1942 war er einige Monate in Russland, „freiwillig“ (Erinnerungen, S. 164), um sich dem Auftrag zu entziehen, einen Leitfaden zur Dienstordnung des RAD zu schreiben. Landsberg an der Warthe, Deggendorf in Niederbayern, Baden-Baden und Bühl waren dann Stationen. Seine Frau unterrichtete damals im Elsass. Das Kriegsende erlebte List als Stabsleiter der Flakgruppe Innsbruck. Dank seines Einfallsreichtums gelang ihm die Heimkehr nach Lahr im Juni 1945. Er besann sich auf seinen Beruf als Graphiker, entwarf Muster für eine Stoffdruckerei in Herbolzheim, tüftelte an einem Holz-Fertighaus, plante das eigene und die Häuser der benachbarten Bauherren, gab Unterricht an der Malerfachschule Lahr, war Buchillustrator für den Schauenburg-Verlag, bis er Angestellter im Lahrer Stadtplanungsamt wurde und dann bei Hesselbacher im Denkmalamt.
Beim Entnazifizierungsverfahren im Frühjahr 1949 wurde List als „Mitläufer ohne Sühnemaßnahmen“ eingestuft. Er hatte sich auf einen KPD-Mann in Witzenhausen und die Verbindung mit Ernst Niekisch berufen, was bei dessen anhaltender Ostoption vor dem Hintergrund des Kalten Krieges unklug war. Im Oktober 1949 wurde List vor die erste Spruchkammer des Badischen Staatskommissariats für politische Säuberung geladen. Er lenkte ein, habe eingesehen, „dass eine Verständigung mit Russland ganz unmöglich“ sei (StAF D 180, 226549). Auf der Suche nach gesellschaftlichen Heilsmustern und im Ringen um Verarbeitung der NS-Jahre korrespondierte List damals mit Zeitgenossen auf hohem intellektuellem Niveau. In seiner wohlgeordneten Korrespondenz finden sich erstaunliche Dialoge, z.B. mit dem jüdischen Pazifisten und Sozialisten Kurt Hiller (1885–1972). Als List den betagten, fast blinden Niekisch 1953 ein letztes Mal in Ost-Berlin aufsuchte, war das wohl eher menschlich als weltanschaulich motiviert. Seine politische Heimat hatte er längst in der SPD gefunden, wo er sich, wie vor der Spruchkammer betont, an Carlo Schmid orientierte.
Quellen: StAF D 180/2 Nr. 226549; F 22/62 Nr. 943 (PA); StadtA Lahr, PA u. Nachlass mit Korrespondenz, Publikationsliste u. graphischen Arbeiten; BA Berlin, NS-Mitgliederkartei aus d. Gaukartei; Erinnerungen, 3 Bde, MS, um 1980, im Besitz d. Tochter Renate Marzolff, Heidelberg; Auskünfte von Peter Schmidt-Thomé, 2013.
Werke: StadtA Lahr, Werkverzeichnis [MS]; Sankt Cyriak in Sulzburg 993-1964, 1964 (16. Aufl. 1995); Die frühe Geschichte des Reichsklosters Schuttern. Ergebnisse d. Grabung 1972–1975, in: Wolfgang Müller (Hg.), Klöster d. Ortenau, Die Ortenau 58, 1978, 96-115; Offonis Cella -Kloster Schuttern, eine merowingische Gründung in römischen Ruinen, in: Archäol. Korrespondenzbl. 9, 1979, 119-130; Die ehemalige Reichsabtei Schuttern, in: Große Baudenkmäler 333, 1980; Kreuzkirche u. Offo-Verehrung im Kloster Schuttern, in: FDA 101, 1981, 5-19; Das Heiligengrab in d. ehem. Reichsabtei Schuttern in: Archäol. Korrespondenzbl. 13,1983, 391-394; Pfarrgde. Schuttern (Hg.), Reichskloster Schuttern im Wandel d. Zeiten 603-1980, 1983; (mit Philipp Brucker) Offonis Cella, die Reichsabtei Schuttern 603-1806, 1988.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1982), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 296, Familienbesitz. – Denkmalpflege in BW 1, 2005, 45, 1, 2006, 53; Ralf Burgmaier, Karl List (1905–2005), 32 (vgl. Literatur).

Literatur: Arnold Tschira, Die Klosterkirche St. Cyriak in Sulzburg, in: Schauinsland 80/1962, 3-38; ders., Zur Klosterkirche von Sulzburg u. ihrer Wiederherstellung , in: Schauinsland 83, 1965, 87-114; Martin Hesselbacher, St . Cyriak in Sulzburg, Darstellung des Staatl. Amtes für Denkmalpflege, in: Schauinsland 84/85, 1966/1967, 265-267; Thomas Dörr, „Mühsam u. s. w., was waren das für Namen …“ – Zeitgeist u. Zynismus im nationalistisch-antisemitischen Werk des Graphikers A. Paul Weber, in: Schriften d. Erich-Mühsam-Ges. Heft 18, 2000; Martin Thoemmes, In d. Systemwechselstube, ein Standardwerk zum Graphiker A. Paul Weber, in: FAZ vom 11.12.2003, 36; Wolfgang Stopfel, Peter Schmidt-Thomé, Karl List, Ein Denkmalpfleger wird 100, in: Denkmalpflege in B-W, 1, 2005, 45 f.; Peter Schmidt-Thomé, Nachruf in: Denkmalpflege in B-W, 1, 2006, 53; Ralf Burgmaier, Karl List (1905–2005) Archäologischer Autodidakt u. suggestiver Zeichner, in: Niklot Krohn u. Gabriele Bohnert, Lahr-Burgheim, 50 Jahre Kirchenarchäologie, 2006, 32-35.
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