Graf, Otto Maximilian 

Geburtsdatum/-ort: 15.04.1881;  Vordersteinwald bei Schömberg, Gemeinde Loßburg, Landkreis Freudenstadt
Sterbedatum/-ort: 29.04.1956;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Bauforscher
Kurzbiografie: bis Herbst 1896 Realschule Stuttgart (Mittlere Reife)
1897-1899 Mechanikerlehrling bei der Firma C. Terrot, Stuttgart-Bad Cannstatt
1899-1900 Maschinenbauschule Stuttgart
1900-1901 Maschinentechniker in der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, Werk Nürnberg
1902-1903 Maschinenbauschule Stuttgart
1903 Eintritt als Ingenieur in die Materialprüfungsanstalt an der Königlichen TH Stuttgart
1914-1918 Teilnahme als Unteroffizier im 1. Weltkrieg
1919 zurück in die Materialprüfungsanstalt (MPA) Stuttgart
1922 Lehrauftrag für Baustoffkunde und Baustoffprüfung an der TH Stuttgart
1927 Ernennung zum Privatdozenten; Leiter der Abteilung Bauwesen der MPA Stuttgart
1930 außerordentlicher Professor
1936 ordentlicher Professor für Baustoffkunde und Materialprüfung des Bauwesens (neugeschaffene Professur); Umbenennung der Abteilung Bauwesen der MPA in Institut für Bauforschung und Materialprüfung des Bauwesens, dessen Direktor Graf wird
1936-1937 Studienreisen in die USA, nach Belgien und England
1941 Gründung der Bautechnischen Auskunftstelle (heute: Informationszentrum Raum und Bau) auf Grafs Initiative
1942 Gründung der Deutschen Gesellschaft für Holzforschung
1950 Dr.-Ing. E. h., TH Karlsruhe; Emeritierung
1952 Dr.-Ing. E. h., TH München
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1918 Stuttgart, Else Kollmer, geb. 13.08.1895, Tochter des Gottlieb Kollmer, Oberlehrer in Stuttgart
Eltern: Johann Graf, Oberhofjäger in Stuttgart-Zuffenhausen (1852-1932)
Anna Marie, geb. Spießhofer (1849-1937)
Geschwister: 2 Schwestern
Kinder: Isolde Graf (geb. 1921)
GND-ID: GND/131505009

Biografie: Hans-Wolf Reinhardt (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 167-169

Graf begann sein Wirken an der 1884 gegründeten Materialprüfungsanstalt der Königlichen TH Stuttgart als Mitarbeiter von Carl von Bach, als die Jubiläumsstiftung der Deutschen Industrie eine Eisenbetonkommission gegründet hatte, in welcher Carl von Bach eine wesentliche Rolle spielte. Die Kommission erkannte, daß die neue Bauweise nur erfolgreich werden könnte, wenn die offenen Fragen wissenschaftlich durch Theorie und Experiment beantwortet würden. Graf wurde als Sachbearbeiter für die Versuche eingesetzt. Daß er sich als Maschinenbauingenieur mit dieser neuen Materie kritisch und erfolgreich auseinandersetzte, beweisen die zahlreichen Veröffentlichungen, zunächst mit Carl von Bach zusammen, später alleine oder mit dem wichtigen Fachkollegen E. Morsch zusammen. Zirka zwanzig Jahre lang hat Graf richtungsweisende Forschung auf dem Gebiet des Eisenbetons (heute: Stahlbeton) betrieben. Versuche zum Verbund von Stahl in Beton, zur Rißbildung und zum Versagen durch Biegung und Querkraft wurden durchgeführt, deren Ergebnisse in den technischen Bestimmungen (heute: DIN 1045) ihren Niederschlag fanden.
Obwohl der Beton schon seit einigen Jahrzehnten bekannt war, war er wenig definiert und nicht zielsicher herzustellen. Graf widmete sich dieser Aufgabe zielstrebig und untersuchte systematisch die Zusammensetzung des Betons hinsichtlich Verarbeitbarkeit und Gefüge. Er studierte den Einfluß des Zementgehalts, des Wasserzusatzes, der Art und der Sieblinie der Zuschläge, des Alters und der Lagerung der Proben auf die Druckfestigkeit des Betons. Neben den mechanischen Eigenschaften wurden auch die Wasserdurchlässigkeit und der Widerstand gegen Frost, Abrieb und chemischen Angriff untersucht. Die umfangreichen Ergebnisse und Erkenntnisse waren die Grundlagen für die richtungsweisenden Bücher „Der Aufbau des Mörtels und des Betons“ (1. Aufl. 1922) und „Die Eigenschaften des Betons“ (1. Aufl. 1948).
Ein Spezialgebiet des Betonbaus war der Straßenbau, dem sich Graf widmete. Unter seiner Leitung wurden Laborversuche zur optimalen Auswahl des Zements und der Zuschläge durchgeführt, deren Ergebnisse beim Bau der ersten Autobahnen beachtet wurden. Feldversuche wurden eingerichtet, um die wirkliche Belastung von Betonfahrbahnen durch Verkehr, Temperatur, Schwinden und Frost zu erforschen. Die neuen Erkenntnisse bildeten die Grundlage für den Entwurf, die Bemessung und den Bau von Betonstraßen für mehrere Jahrzehnte.
Der Werkstoff Stahl war dem Maschinenbauingenieur Graf natürlich bekannt; aber es gab zahlreiche Probleme im Bauwesen, die einer Behandlung harrten. In Zusammenarbeit mit dem damaligen Abteilungsleiter bei den Königlich-Württembergischen Staatseisenbahnen und Brückenbauer K. Schaechterle wurden Forschungsprogramme über das Dauerverhalten von Nietverbindungen, insbesondere mit den neuen Stählen St48, St51 und St52, und über das Schwingverhalten von Stählen mit und ohne Walzhaut durchgeführt. An dieser Stelle muß eingeflochten werden, daß es keine genormten Prüfmethoden und Prüfmaschinen gab, sondern daß diese beiläufig mitentwickelt werden mußten. Spektakuläre Schadensfälle an geschweißten Brücken zwischen 1936 und 1940 haben die Ursachenforschung beschleunigt. Graf hat grundlegende Ergebnisse in den Berichten des Deutschen Ausschusses für Stahlbau veröffentlicht und damit wesentlich zur Erhöhung der Sicherheit von Brücken beigetragen.
Traditionell wurde der Baustoff Holz für Fachwerkhäuser, Decken und Dachstühle verwendet. Der Bauingenieur setzte Holz zum Bau von Brücken, Gerüsten und Türmen ein. Graf sah eine Aufgabe darin, Kriterien für die Güte der Hölzer zu definieren, so daß eine zuverlässige Auswahl für entsprechende Bauaufgaben getroffen werden konnte. Diese Kriterien betrafen vor allem den Wuchs der Hölzer und die Feuchte; Abnahmevorschriften wurden daraus abgeleitet. Die noch heute geläufige Einteilung in Güteklassen geht auf Vorschläge von Graf zurück. Neben Schraub- und Dübelverbindungen wurden Leimverbindungen entwickelt, so zum Beispiel der Schiftzinkenstoß, der heute als Keilzinkung bekannt ist.
Graf hat sich auch mit Glas, Ziegel und Mauerwerk beschäftigt und immer wieder Anstöße zur Forschung und Normung geleistet. Nach dem 2. Weltkrieg hat Graf richtungsweisend bei der Verwertung der Trümmer in Stuttgart gewirkt. Er hat den Trümmerschuttbeton entwickelt, der in Schüttbauweise vielfach für den Wohnungsbau eingesetzt wurde. Das markanteste Beispiel ist das Max-Kade-Hochhaus im Zentrum von Stuttgart. Graf hat seine umfangreichen Kenntnisse auch dadurch in den schnellen Wiederaufbau gestellt, indem er die Fertigbauweise unterstützte und den Porenbeton (damals Gasbeton) wissenschaftlich förderte.
Wie sein Lehrer C. von Bach war Graf immer auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Bauherr und Hochschule bedacht. Fragestellungen aus der Praxis hat er aufgegriffen, auf das Wesentliche reduziert und durch effiziente Forschungsarbeiten geklärt. Er hat seine Mitarbeiter zu größtem Fleiß angehalten und durch seinen eigenen Wissensdurst motiviert. Während seines 50jährigen Wirkens hat er über 600 Veröffentlichungen verfaßt mit dem Ziel, alle Forschungsergebnisse schnell nach außen zu tragen und damit die technische Entwicklung zu beschleunigen. Der international anerkannte Forscher Graf war in einer Periode schnellen technischen Aufschwungs tätig und hat die Entwicklung der Baustoffe aktiv mitgestaltet. Er hat wesentlich zu einer objektiven Prüfung und Beurteilung der Baustoffe und deren Grenzen beigetragen und damit die Grundlage zu der heute üblichen Betrachtungsweise gelegt. Lehre, Forschung und Zusammenarbeit mit der Praxis waren für ihn Lebensinhalt, den er außergewöhnlich und vorbildlich ausgefüllt hat.
Quellen: Forschungs- und Materialprüfungsanstalt Baden-Württemberg, Otto-Graf-Institut, Bibliothek, Pfaffenwaldring 4, 70569 Stuttgart
Werke: Der Aufbau des Mörtels und des Betons. 3. Aufl., 1930; Die Eigenschaften des Betons, 2. Aufl., 1960; Die Baustoffe, 1950; Baustoffe und ihre Eigenschaften, Taschenbuch für Bauingenieure, 2. Aufl., 1955
Nachweis: Bildnachweise: Universität Stuttgart, Gebäude Pfaffenwaldring 4, Stuttgart-Vaihingen, Erdgeschoß

Literatur: Otto Graf. 50 Jahre Forschung und Lehre Materialprüfung im Bauwesen. 1903-1953. TH Stuttgart, Abteilung Bauingenieur- und Vermessungswesen, 1953, mit Werkverzeichnis. Zum Gedenken an Otto Graf u. a., TH Stuttgart, Reden und Aufsätze 22 (1957), 13-18; 100. Geburtstag von Otto Graf, Festveranstaltung Stuttgart 1981; G. Rehm, Otto Graf, ein Genie? VDI-Gesellschaft Bautechnik, Jahrbuch 1993, 489-529
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