Krebs, Otto Joseph Karl Paul 

Geburtsdatum/-ort: 25.03.1873; Wiesbaden
Sterbedatum/-ort: 26.03.1941;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Industrieller, Kunstsammler
Kurzbiografie: 1891-1893 Polytechnikum Berlin-Charlottenburg
1893-1897 Studium der Philosophie, Universität Zürich, 1897: Promotion zum Dr. phil.: „Der Wissenschaftsbegriff bei Hermann Lotze“
1899-1906 Kaufmännischer Geschäftsführer in der Firma Rud. Otto Meyer, Heizkesselfabrik in Hamburg
1900 Eröffnung eines Zweigwerks der Firma Meyer in Mannheim
1906 Austritt aus der Firma Meyer, Übernahme des Mannheimer Zweigwerks, Niederlassung der Familie in Mannheim, Friedrichsplatz 15
1917 Erwerb des Rittergutes mit Parkanlage Holzdorf bei Weimar
1920 Nach Trennung von der Familie Wohnsitz in Heidelberg, Neue Schloßstr. 7 b
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk. (am 4.11.1911 Austritt)
Verheiratet: 1. ca. 1897 Frieda, geb. Ravenstein (ca. 1869)
2. 1941 (Heidelberg) Frieda Elise, verwitwete Kwast-Hodapp
Eltern: Vater: Georg, Prof. Dr., Real-Oberlehrer
Mutter: Charlotte Luise, geb. Kreizner
Geschwister: 7, Krebs war das 5. Kind
Kinder: aus 1. Ehe: Otto (geb. 1898)
GND-ID: GND/133536386

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 156-159

1995 veranstaltete die Eremitage in St. Petersburg zwei Ausstellungen mit Gemälden und Zeichnungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die allesamt während und nach dem II. Weltkrieg aus zum Teil bekannten, zum Teil unbekannten Privatsammlungen in Deutschland geraubt worden waren. Ein beträchtlicher Teil der ausgestellten Bilder und Zeichnungen kam aus der Sammlung eines in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannten Industriellen namens Krebs Wer war Krebs?
Geboren wurde er als Sohn eines großbürgerlichen Hauses in Wiesbaden. Die großzügigen Eltern schenkten ihm nicht nur, wie es in einer späteren Eloge hieß, „überdurchschnittliche Geistesgaben“, sondern sie ermöglichten ihm, seinen vielfältigen Interessen zu folgen und zweimal zu studieren. Sein Einjährigfreiwilligenjahr wollte er nach dem Abitur bei der Kaiserlichen Marine abdienen, aber ein Knieleiden zwang ihn, dies abzubrechen. Er bezog darauf das Polytechnikum Berlin-Charlottenburg, wo er seine Studien mit einem in den Akten nicht näher bezeichneten Abschluss beendete. Aber da ihn, wie sich aus den Promotionsakten ergibt, die Welt der Technik, damals jedenfalls, wenig befriedigte, entschloss er sich zu einem philosophischen Studium. Wie ernst er dieses nahm und wie gründlich er auf diesem Gebiet geforscht haben muss, ergibt sich aus dem Dissertationsthema, dem Wissenschaftsbegriff eines der bedeutenden, aber auch schwierigen Denker des 19. Jahrhunderts, Rudolf Hermann Lotze (1817-1881).
Den frisch gebackenen Dr. phil. hielt es jedoch nicht länger bei den Glasperlenspielen der Theorie. Er war, wie sich bald zeigen sollte, der geborene Unternehmer, und so drängte es ihn aus der Abgeschlossenheit der Studierstube hinaus in die Praxis. Gleich die erste berufliche Position, die er einnahm, wurde für sein ganzes weiteres Leben ausschlaggebend. 1899 trat er als Teilhaber – auch hier darf elterlicher Beistand vermutet werden – in die Firma Rud. Otto Meyer in Hamburg ein, die den von dem genialen Erfinder Joseph Strebel konstruierten Heizkessel produzierte, der in jenen Jahren die bis dahin üblichen schmiedeeisernen Kessel, die wegen der erforderlichen Einmauerung viel Platz in Anspruch nahmen, verdrängte. Strebels Kessel wurde aus Gusseisen hergestellt und stand frei. Die Montage der O-förmigen Kesselglieder war verhältnismäßig einfach. Diese Produktionsvorteile führten zu einem ungeahnten Boom, von dem Krebs, „die Zeichen der Zeit erkennend“ (Hans Weckesser), nicht länger nur als Angestellter in abhängigem Arbeitsverhältnis profitieren wollte. Er trat 1906 unter Mitnahme seiner Geschäftsanteile aus der Firma Meyer aus, übernahm die Mannheimer Niederlassung der Firma und gründete am 17. August 1906 ein eigenes Unternehmen. Zu Ehren des Erfinders benannte er das Mannheimer Werk in „Strebel-Werk“ um. Die Firma wuchs von Jahr zu Jahr. Ursächlich dafür waren Krebs' Organisationstalent und Geschäftstüchtigkeit. Die Marke Strebel erlangte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Weltruf. Der Gliederheizkessel wurde der „Mercedes unter den Heizkesseln“ genannt. Die Zentralheizung wurde im Lauf der Jahre von einer Luxuseinrichtung zu einem weit verbreiteten Bestandteil der Bauwirtschaft. Das Mannheimer Werk war die größte deutsche Spezialfabrik für gusseiserne Heizkessel und Radiatoren. Krebs gründete Niederlassungen in Wien, Budapest und Prag, in Lodz (Polen), Wels (Österreich), Brünn (Tschechien), Moson (Ungarn), Monza (Italien), Rothrist (Schweiz), Västervik (Schweden) und in 21 deutschen Städten, so in Leipzig. Das Firmengelände in Mannheim umfasste mehrere hunderttausend qm, 7 000 Arbeiter und Angestellte waren dort und in den Niederlassungen beschäftigt.
Unter diesen Umständen entwickelte sich die Vermögenslage Krebs' vorzüglich. Schon 1917 konnte er das frühere Rittergut Holzdorf bei Weimar erwerben, das er kostbar und mit erlesenem Geschmack ausstattete: Kassettendecken, Intarsienparkett, Ledertapeten, Bildteppiche im Gobelinzimmer. Das Wertvollste aber war seine im Lauf vieler Jahre zusammengetragene Gemäldesammlung. Man kann nur vermuten, warum er sich vor allem auf die Meister des französischen Impressionismus konzentrierte: Gegenüber seiner Wohnung am Mannheimer Friedrichsplatz befand sich die Kunsthalle, deren Direktor Dr. Fritz Wichert über Im- und Expressionismus dozierte. Wahrscheinlich holte Krebs sich Anregungen aus diesen Vorträgen. Er machte nie viel Aufhebens von seiner Sammlung, sie blieb strikt privat und war nur einem ausgewählten Kreis bekannt. Ganz selten verschickte er Gemälde als Leihgaben an Ausstellungen. Ein Katalog der Gemäldesammlung existierte nicht. Die Zurückhaltung ist auch damit zu erklären, dass einige seiner Gemälde im „Dritten Reich“ als „entartet“ angesehen wurden.
In den 1920er Jahren, nach der Trennung von der Familie, zog Krebs nach Heidelberg um und lebte dort mit seiner zweiten Lebensgefährtin, der berühmten Pianistin Frieda Elise Kwast-Hodapp. Am 20. März 1941, wenige Tage vor seinem Tod, heiratete er sie, setzte sie als Universalerbin seines Vermögens ein und verfügte, dass die von ihm errichtete „Mannheimer Stiftung für Krebs- und Scharlach-Forschung“ nach dem Tod seiner Ehefrau drei Viertel des Nachlasses erben sollte. Er vermachte ferner der Universität Heidelberg „alle verfügbaren Gewinne der Strebel-Werke“; die von ihm gegründete Stiftung ging 1964 in dem von Professor Karl Heinrich Bauer begründeten „Deutschen Krebs-Forschungszentrum“ in Heidelberg auf. Seit 1949 flossen dem Zentrum dank der hochherzigen Verfügung des Erblassers hohe Beträge zu. Mit dem Tode Krebs' könnte an sich die Biographie des kunstsinnigen Industriellen abgeschlossen werden; aber es ist noch über zwei Trauerspiele zu berichten, die sich auf der Bühne der deutschen Zeitgeschichte abgespielt haben und die in unmittelbarem Zusammenhang mit Krebs' Lebenswerk stehen. Das erste: Im April 1945 besetzte die amerikanische Armee Holzdorf. Der Direktor der Weimarer Kunstsammlungen, Dr. Walter Weidig, wurde von den Amerikanern aufgefordert, die Gemäldesammlung, die sich in einem mit einer dicken Stahltür verschlossenen Nebengebäude befand, in den Westen zu verbringen. Weidig aber wollte diese Schätze im Rahmen der so genannten Schlossbergung der Bodenreform für seine Weimarer Sammlung retten. Im Juli 1945 schlug der Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, der spätere Marschall Wassili Iwanowitsch Tschuikow, in Holzdorf sein Hauptquartier auf. Den Vorschlag Weidigs, die Stahltür durch Berliner Experten öffnen zu lassen, lehnte er ab. Als Tschuikow im Frühjahr 1950 Holzdorf verließ, stand die Stahltür offen und die Gemälde waren verschwunden. Der Marschall habe eine „respektable Kunstsammlung, überwiegend aus deutschem Trophäengut“ besessen, berichtete Gunter Wermusch (siehe Literatur). 45 Jahre lang waren die Bilder vom Erdboden verschwunden. Von den 1995 in der Eremitage ausgestellten 74 Gemälden stammten 55 aus der Sammlung Krebs, u. a. Bilder von Courbet (1), Fantin-Latour (5), Renoir (3; Krebs besaß 7), Manet (2), Degas (3), Monet (4), Sisley (1), Pissarro (5), Cézanne (5), Signac (1), Toulouse-Lautrec (1), Picasso (1), Rouault (1), van Gogh (2; Krebs besaß 4), Gauguin (4), Matisse (1); die Gemälde von Liebermann und Corinth, die Krebs besaß, waren nicht ausgestellt. Der Direktor der Eremitage wies bei Eröffnung der Ausstellung darauf hin, dass die Gemälde „keinen gesicherten Status“ hätten. Auch viele Zeichnungen der im Dezember 1995 eröffneten zweiten Ausstellung „Europäische Meisterzeichnungen“ gehörten ursprünglich zu der Sammlung Krebs Wermusch glaubt, die geraubten Bilder stellten „nach heutigen Maßstäben ein Vermögen jenseits der Milliarden-D-Mark-Grenze“ dar.
Das zweite Trauerspiel: Das Mannheimer Werk war zwar im II. Weltkrieg fast zerstört worden, der Wiederaufbau ging aber verhältnismäßig rasch vor sich, und dank der Bemühungen aller Beteiligten – Firmenleitung, Universität, Land – gelang es, die Demontage der noch intakten Reste abzuwenden. Die Produktion konnte bald wieder aufgenommen werden. Anfang der 1970er Jahre erzielten 2 200 Beschäftigte einen Jahresumsatz von 146 Millionen DM. Aber der zunehmend scharfe Wettbewerbsdruck, die Veraltung der Anlagen und die in die Höhe schießenden Personalkosten brachten das Werk bald in eine Schieflage, aus der es nur durch schöpferische unternehmerische Aktivität, wie sie dem Gründer eigen war, hätte gerettet werden können. Aber jetzt rächten sich die in die Stiftung eingebauten Strukturfehler: Krebs, ein erklärter Gegner des „Dritten Reiches“, wollte den Staatseinfluss bei Werk und Stiftung so weit wie möglich ausschalten. So führten mangelnde Kontrolle, Unterkapitalisierung, fehlende Publizitätspflicht und nicht gesicherter Gläubigerschutz sowie die Personalunion in der Leitung des Werks und der Stiftung zu einem gewissen Immobilismus, der den Niedergang des Werks verursachte. Am 8. Februar 1974 musste der Konkurs angemeldet werden. Über 2 000 Beschäftigte standen auf der Straße, 790 Betriebspensionären blieb nur eine zweifelhafte Konkursforderung.
Die von Krebs gegründete Firma, die jahrzehntelang Tausenden Arbeit und Brot gab, und die philantropische Stiftung, die viele Jahre lang beträchtliche Mittel für die Krebsforschung bereitstellte, bestehen nicht mehr; die Holzdorfer Kunstschätze sind unwiederbringlich verloren. Das Lebenswerk von Krebs ist untergegangen.
Quellen: StadtA Mannheim, Ortsgeschichtliche Sammlung S 2/1157 Strebelwerk; Mitteilungen des StadtA Heidelberg u. des UA Heidelberg, dort die Akten der Krebs-Stiftung (Sign. B-9722/1-2); Promotionsakten u. Verzeichnis zürcherischer Universitätsschriften 1833-1897 im StaatsA des Kantons Zürich.
Werke: „Der Wissenschaftsbegriff bei Hermann Lotze“ (Diss phil. Zürich 1897), in: Vierteljahresschr. f. wissenschaftl. Philosophie, Jg. 21, 1897, 26-78, 191-226, 307-331.
Nachweis: Bildnachweise: in: Die Stiftung für Krebs- u. Scharlachforschung (vgl. Lit.).

Literatur: Die Stiftung für Krebs- u. Scharlachforschung, anlässlich des 50jähigen Bestehens des Strebel-Werks (1950) von diesem herausgegebene Schrift (o. Verf., o. J.); 50jähriges Jubiläum des Mannheimer Strebelwerks – In d. Geburtsstätte d. modernen Zentralheizung – Großzügige Stiftung des Gründers, in: RNZ vom 17.8.1950 ; Krebs- u. Scharlachheilung – Erbe langjährigen Schaffens – Strebelwerk GmbH Mannheim feiert 50jähriges Jubiläum, in: MM vom 17.8.1950 ; Pn., Industriewerk hilft kranken Menschen – Strebelwerk führt seinen gesamten Ertrag d. Univ. Heidelberg zu, in: Mannheimer Amtsblatt vom 18.8.1950; Bolko Behrens, Krebs-Schaden, in: MM vom 6.2.1974; Erhard Becker, Nach dem Strebel-Konkurs – Rechtsform d. Stiftung für Unternehmen in Frage gestellt – Wirtschaftliche Mängel u. Fehlleistungen aus d. Strebel-Stiftung, in: Stuttgarter Ztg. vom 11.5.1974; Gunter Wermusch, Plötzlich war da ein Loch in d. Tresortür – Das Geheimnis einer verschwundenen Sammlung – Wo blieben die Schätze des Fabrikanten Krebs?, in: Neues Deutschland vom 3./4.7.1993; Hans Peter Riese, Ans Licht – 50 Jahre versteckt: Beutekunst in der Eremitage, in: FAZ vom 31.3.1995; Hans Weckesser, Edles Vermächtnis mit einem Pferdefuß – Wem hinterließ Strebel-Direktor Dr. O. Krebs seine Bilder-Sammlung? in: MM vom 8./9.4.1995; -eck [Hans Weckesser], Auserlesene Spitzenwerke – Gauguin, Pissarro, van Gogh in d. Sammlung Krebs, in: MM vom 8./9.4.1995; ders., Letzter Wille nur teilerfüllt – Was im Testament des Dr. O. Krebs steht, in: MM vom 8./9.4.1995; Christel Heybrock, Dokumente einer Leidenschaft – Die Mannheimer Sammlung O. Krebs in St. Petersburg, in: MM vom 12./13.8.1995; Albert Kostenewitsch, „Aus der Eremitage. Verschollene Meisterwerke dt. Privatsammlungen“, 1995; Frauke Brader, Die besten Bilder stammen von einem Außenseiter – Auferstanden aus den Verliesen d. Eremitage: Der Impressionisten-Sammler O. Krebs, in: FAZ vom 24.12.1996.
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