Hoesch, Felix 

Geburtsdatum/-ort: 10.12.1888;  Gernsbach
Sterbedatum/-ort: 11.10.1956;  Gernsbach
Beruf/Funktion:
  • Papierfabrikant
Kurzbiografie: 1894–1900 Privatunterricht in Gernsbach bis 1896, dann Höhere Bürgerschule
1900–1907 Realgymnasium in Düren bis Abitur
1907/08 Einjährig-Freiwilliger im Dragoner Reg. 6, Mainz
1908 X. 1 Eintritt bei Schöller&Hoesch, Gernsbach
1908–1911 praktische Einführung in die Papierherstellung in Gernsbach, dann kaufmännische Praktika in Düren, London u. New York
1911 Prokura bei Schöller&Hoesch
1912 nach dem Tod des Vaters persönl. haftender Fabrikleiter; Produktionsumstellung auf Spezialpapiere
1919 Baubeginn d. Wohnkolonie für Werksangehörige
1919–1944/45 Stadtrat in Gernsbach, bis 1927/28 DDP, 1933–1943 parteilos, ab 1943 NSDAP, ohne Nummer
1925 Beirat d. Fachgruppe Papiererzeugung
1920er/1930er Arbeitsteilung mit Bruder Udo
1938 Auseinandersetzungen mit d. NS-Kreisleitung Rastatt
1945 bei Kriegsende Sprengung d. städt. Wasserleitung von Gernsbach verhindert
1946–1948 Wiederaufbau trotz Demontagen, Privathaus von d. Besatzungsmacht beschlagnahmt, Entnazifizierung:
1946 Sühnemaßnahmen, 1948 Amnestie; Ehrenbürger von Gernsbach
1953 „Felix-Hoesch-Brücke“, Nordbrücke über die Murg
1955 Gründung d. „Kulturgemeinde Gernsbach“ auf Hoeschs Initiative, Erster Vorsitzender Dr. Klaus Hoesch
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., später ausgetreten
Verheiratet: 1911 (Düren) Gisela, geb. Schleicher (1889–1971), Tochter eines Dürener Industriellen
Eltern: Vater: Hugo (1859–1912), Werkleiter
Mutter: Else, geb. Rhodius (1868–1912)
Geschwister: 2; Udo (1892–1968) u. Lili (1897–1953), verh. mit Dr. ing. Walter Schmeil, München
Kinder: 3;
Holm (1912–1978),
Klaus (1916–2001),
Hans-Jürgen (1919–1940)
GND-ID: GND/136167330

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 180-182

Die NS-Kreisleitung Rastatt kritisierte Hoesch 1938/39 als politisch unzuverlässig; der Kreiswirtschaftsberater mahnte jedoch zur Mäßigung, vielleicht mit Rücksicht auf den mächtigen Stahlkonzern Hoesch. Es sei schwierig, „ein abschließendes Urteil über diesen Volksgenossen“ zu fällen. Er gelte „durchaus als sozialer Mensch“ (StAF D 180/2, 144036). 1943 trat Hoesch in die NSDAP ein; bis dahin hatte er sich als parteiloser Stadtrat halten können; eine Mitgliedsnummer wurde nicht mehr vergeben. Nach Kriegsende befasste sich der Untersuchungsausschuss für die politische Säuberung mit dem Fall und sprach Sühnemaßnahmen aus: Bewährungsfrist von drei Jahren und Einzug von 10 Prozent des seit 1943 erworbenen Vermögens. Die „Fachvereinigung der Papier, Pappe, Zellstoff und Holzstoff erzeugenden Industrie für das französisch besetzte Baden“ in Baden-Baden beantragte dagegen im Oktober 1947 Revision von Amts wegen, die im Frühjahr 1948 Erfolg hatte: „Amnestie laut Verfügung der Militärregierung“ lautet der Schlusseintrag in Hoeschs Entnazifizierungsakte. Das Vorgehen der Besatzungsmacht lässt durchaus Zwiespältigkeit erkennen: Einerseits wollten französische Besatzungsoffiziere Hoesch zum Bürgermeister von Gernsbach machen, was dieser wegen Schwerhörigkeit und mangelnder Sprachkenntnisse ablehnte, andererseits wurden sein und das Wohnhaus seines Bruders Udo beschlagnahmt.
Damit konnte der Neuaufbau der bei Fliegerangriffen reichlich zerstörten und am Kriegsende geplünderten, dann wiederholt massiven Demontagen durch die Besatzungsmacht ausgesetzten Fabrik beginnen, was Hoeschs ganze Kraft in Anspruch nahm. Der Ablauf seines Lebens indes blieb wie gewohnt: Der Tag begann früh morgens; ein Blick in die Post und dann die Runde mit dem Fahrrad über das Firmengelände. Nähe zu den Mitarbeitern war wichtig, nicht nur als Bekenntnis bei Betriebsjubiläen, die bei Schöller&Hoesch traditionell festlich begangen wurden. 1951 taten sie besonders wohl: Ein goldenes und sechs silberne Jubiläen standen an, Maschinenführer, Transportarbeiter, Holländermüller und Papiersortiererinnen wurden geehrt.
Hoesch war der kaufmännische Leiter und Motor der Firma seit 1912, ideenreich, fleißig, leistungs- und erfolgsorientiert, im englischen Wirtschaftsraum besonders präsent; 40 Auslandsvertreter hatten vor dem II. Weltkrieg für ihn in England und den USA gearbeitet. Technischer Leiter war seit 1919 sein vier Jahre jüngerer Bruder Udo; beide harmonierten, es war eine glückliche, völlig konfliktfreie Kooperation zwischen dem dynamischen ungeduldigen Hoesch und dem ruhigen, realistischen TH-Absolventen. Paradox scheint zunächst, dass der I. Weltkrieg die wirtschaftliche Basis der Firma festigte, aber der Absatz von Zigarettenpapier in Deutschland war nach dem Importverbot für französische Waren, die wegen guter Qualität und klangvoller Namen diesen Markt beherrscht hatten, sprunghaft gestiegen. Hoeschs Vater aus der Aachen-Dürener Industriellenfamilie und vielfach verschwägert mit Schoeller, Schüll und Schleicher hatte all seine Arbeitskraft und Finanzmittel in den Aufbau der 1881 mit Schoeller-Kapital gegründeten Zellulose-Fabrik gesteckt. Der Start war dennoch alles andere als gründerzeitlich glänzend; denn Prozesse wegen Geruchsbelästigung und ausländische Billig-Konkurrenz standen wider den Erfolg. Erst die Umstellung auf Papierproduktion 1902 und die Einstellung des Ingenieurs Ernst Böhm (1872–1944) 1904, der Erfahrung in der Produktion von Zigarettenpapier mitbrachte, leitete in eine gedeihliche Zukunft über.
Obwohl Hugo Hoesch sich wohlfühlte an der Murg und von den Gernsbacher Honoratioren wie Kast, Katz und Klumpp akzeptiert wurde, blieb er Rheinländer und pflegte intensiv den Familienzusammenhalt. Drum schickte er seine Söhne auch nach Düren zur Schule. Hoesch kam dort als 12-Jähriger in den Haushalt der ledigen Schwestern des Vaters, Udo zwei Jahre später. Gegen Ende der Schulzeit wohnten die Brüder bei der Familie des Direktors des Realgymnasiums. Sie hatten stets Heimweh nach Gernsbach, wo sie nur in den Ferien waren. Das „gemeinsame Exil“ (Familienchronik von Klaus Hoesch) habe die Grundlage für die geschwisterliche Harmonie gelegt. Nach dem Abitur 1907 trat Hoesch eine Ausbildung an, deren Zuschnitt die lenkende Hand des Vaters verrät: Die ersten Schritte tat Hoesch im heimischen Werk, dann kamen Praktika in Unternehmen aus dem Hoesch-Umfeld in Düren, London und New York, durchaus die zeittypische Erziehung für einen künftigen Fabrikherrn.
Unerwartet früh musste Hoesch Verantwortung übernehmen für das Werk mit damals über 500 Beschäftigten. Binnen weniger Tage starben im Januar 1912 beide Eltern. Als neuer Chef der Fabrik intensivierte Hoesch die Produktion von Spezialpapieren: Bibeldruck- und Zigarettenpapier, Karbonpapier und ab 1913 Kondensatorpapier für fernmeldetechnische Geräte wurden die Hauptprodukte. Sogleich schuf er die räumlichen und technischen Voraussetzungen, dass das Team um den Spezialisten Ernst Böhm experimentieren konnte. Hoesch selbst pflegte den Kontakt zu den Kunden. Erfolg stellte sich rasch ein, wie eine Großbestellung für Bibeldruckpapier aus England kurz vor dem I. Weltkrieg belegt.
Im Gegensatz zu seinem Bruder, der den I. Weltkrieg vom ersten Tag bis zur Demobilisierung mitmachte, wurde Hoesch nicht eingezogen. Seit Ende seiner Einjährig-Freiwilligen-Zeit war er wegen Schwerhörigkeit als untauglich freigestellt. Nach Kriegsende hielt der Erfolg von Hoeschs Zigarettenpapier an, der Firma ging es gut dank devisenbringender Geschäftsbeziehungen zum Ausland, die über die Inflation hinweghalfen. Hoesch erweiterte das Werk, steigerte die Produktion, investierte auch im sozialen Bereich. Ab 1919 konnte die Wohnkolonie für Werksangehörige realisiert werden. Damals ließ sich Hoesch auch für die Demokraten in den Gernsbacher Stadtrat wählen.
Die ganze Zwischenkriegszeit verlief durchaus glücklich. In der Freizeit ging Hoesch auf die Jagd und musizierte. Er spielte Geige, unterhielt ein eigenes Streichquartett, mit dem er gelegentlich sogar öffentlich auftrat. Gegen das weiter nachlassende Gehör nahm er die Dienste der Firma Siemens in Anspruch, die seit 1910 Hörapparate erprobte. Laut Familienchronik kannten Hoesch und Carl Friedrich von Siemens einander; beide gehörten dem Jahrgang 1888 an. Von Hoeschs Ehefrau heißt es, sie liebte Rilke und saß gern am Steuer ihrer Horch-Limousine.
1933 und danach lassen sich keine Anzeichen für tiefere Zäsuren erkennen, und das altersbedingte Ausscheiden des wichtigen Ingenieurs Böhm 1938 federte Bruder Udos vorausschauende Führung ab. Dann aber stellten sich Probleme mit dem NS-Staat ein: Dem Zugriff der NSV entzogen erregte der firmeneigene Kindergarten Anstoß; auch der Einfluss des unverändert parteilosen Hoesch im Gemeinderat missfiel. 1938 scheint es zum internen Eklat gekommen zu sein, den der Sohn Klaus, der seit 1937 der Firmenleitung angehörte, durch parteikritische Äußerungen provoziert hatte. Die Rastatter Kreisleitung regte sich, vorsichtig freilich, angesichts der Bedeutung der Hoesch-Stahl-AG im Hintergrund.
Hoesch starb nur 68-jährig an einem Gehirnschlag. Es blieb ihm also erspart, Tempo und rastloses Temperament dem Greisenalter anzupassen. Mit der Gründung der bis in die Gegenwart aktiven „Kulturgemeinde Gernsbach“ im Jahr zuvor hatte er noch einen nachhaltigen Beitrag zum Geistesleben der Stadt geleistet. Diese rechnete ihm hoch an, dass er die Stadtentwicklung finanziell immer wieder gefördert hatte, benannte noch zu seinen Lebzeiten eine Brücke nach ihm, machte ihn zum Ehrenbürger, womit er eingereiht war hinter Gottlieb Klumpp (1829–1918) und Casimir Katz (1856–1918), bedeutenden Vertretern der Murgschifferschaft, Bürgermeister Oskar Jung (1854–1920), Ernst Böhm (1872–1944) und dem Maler Ludwig Dill. 1962 wurde auch sein Bruder Udo, der bis zu seinem Tod 1968 der Firmenleitung angehörte, Gernsbacher Ehrenbürger.
Quellen: StAF D 180/2, 144036; StadtA Gernsbach, Faszikel Stadtratstätigkeit Hoeschs, Zusammenstellung des Stadtarchivars Winfried Wolf, 1994, Registratur des Hauptamts 021.43, Verleihung d. Ehrenbürgerwürde; Familienchronik von Klaus Hoesch, 2 Bde., masch., ca. 1980; Mitteilungen von Dr. Nicola Hoesch, München, u. Dirk Hoesch, Neresheim-Kösingen; Auskünfte von Christoph Sieber-Rilke, Siegfried Gaus, Dr. Hans-Christian Graf von Nayhauss u. Doris Wachter-Keck, alle Gernsbach. – Privatbibliothek Glatfelter, Gernsbach: Zusammenstellung von Druckschriften zur Firmengeschichte 1906, 1919 u. d. 1920er u. 1930er-Jahre mit Radierungen von Hermann Kupferschmid, großformatiger Lederbd. mit handschriftl. Darstellung d. jüngeren Firmengeschichte u. s-w Fotos von Werksanlagen u. -beschäftigten, zusammengestellt von Carl-Maria Kontny, 1951; Zum Gedenken an Felix Hoesch, 1956, darin Kurzbiographie u. Manuskripte d. bei Hoeschs Trauerfeier gehaltenen Ansprachen; Zum Gedenken an Udo Hoesch, 1968, Kurzbiographie u. Ms. d. von Klaus Hoesch gehaltenen Traueransprache; Sonderausg. d. Zs. „Schoeller&H. intern“ zum Abschied von Christoph Sieber- Rilke u. Eckart Küssner vom Februar 2000.
Nachweis: Bildnachweise: Portraits von 1912, 1932 u. ca. 1948 in: Zum Gedenken, 1956, 3, 9 u. 19; Rathaus Gernsbach, Portrait-Galerie d. Ehrenbürger; Adressbuch Gernsbach 1960, 17 (vgl. Quellen u. Literatur).

Literatur: Heinrich Langenbach, Gernsbach im Murgtal, o. J. (ca. 1919); Zs. „Der Papierfabrikant“ 26/1928, Fest- u. Auslandsheft, 36; Burkhard Nadolny, Felix Heinrich Schoeller u. die Papiermacherkunst in Düren, 1957, 152-163; Heinrich Langenbach, Felix Hoesch, Fabrikant, in: Adressbuch Gernsbach 1960, 16f.; Ernst Böhm, Fabrikant, ebd. 13f.; Klaus Hoesch, Ehrenbürger Felix Hoesch, in: Gernsbacher Bote 4/1994, 9-11; Werner Ruckenbrod (Hg), 125 Jahre Schoeller&Hoesch, 2006.
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