Lechler, Paul Karl Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 14.06.1884;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 04.08.1969;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant, Landeskirchentagspräsident
Kurzbiografie: 1900-1902 Kaufmännische Lehre bei der Firma Lechler
1902-1909 weitere Ausbildung bei einer Privatbank, in Hamburg, Frankreich und England; Weltreise
1909 Prokurist bei Firma Lechler
1914-1918 Kriegsdienst in Frankreich und Galizien – Flakoffizier
1919 Wiedereintritt als Teilhaber
1923 Eintritt in die DNVP
1925 nach Tod des Vaters selbstverantwortliche Leitung der Firma Lechler; Gründung einer Tochterfirma in den USA
1925-1968 Vorsitzender des Verwaltungsrates des Deutschen Instituts für ärztliche Mission, Tübingen
1930 Ehrensenator der Universität Tübingen
1935 Mitglied des Landesbruderrates der württembergischen Landeskirche, Mitglied der 3. Reichsbekenntnissynode in Augsburg
1939 Mitglied des III. Landeskirchentages der württembergischen Landeskirche (Zuwahl)
1947-1959 Präsident des IV. und V. Landeskirchentages
1948 Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
1951-1955 Mitglied des Verwaltungsrates des Hilfswerks der EKD
1954-1955 Mitglied im Hilfswerk-Ausschuß
1959 Dr. theol. h. c. der Universität Tübingen. Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1968 Wichern-Plakette des Diakonischen Werkes der EKD
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1911 Olga, geb. Durchánek (1889-1957)
Eltern: Vater: Paul Lechler (1849-1925), Fabrikant
Mutter: Maria, geb. Hartenstein (1856-1925)
Geschwister: 5
Kinder: Paul Erhard (1912-1951)
Herwarth (1914-1945)
Klaus (1917)
Ingeborg (1920)
GND-ID: GND/136612067

Biografie: Siegfried Hermle (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 207-210

Nach vier Töchtern geboren, war der Lebensweg von Lechler vorgezeichnet: Er sollte die Leitung des von seinem Vater ab 1879 aufgebauten Handelshauses übernehmen, das neben Flüssigkeitszerstäubungsdüsen (ab 1893) und Kupferasbestdichtungen (ab 1888/89) den Bautenschutzanstrich Inertol (ab 1901) vertrieb; bereits seit 1883 hatte man das Holzschutzmittel Carbolineum im Verkaufsprogramm. Der Schulzeit und einer gründlichen zweijährigen Lehre als Kaufmann im väterlichen Betrieb folgte eine mehrjährige Vertiefung der Ausbildung im In- und Ausland, die mit einer neunmonatigen Weltreise abschloß, die Lechler nach Ägypten, Indien, China, Japan und in die USA führte.
Der Aufbau einer Exportorganisation war die erste Aufgabe des 1909 als Prokurist in den väterlichen Betrieb Eintretenden. Die während des Ersten Weltkrieges einsetzende Umstrukturierung in der Firma Lechler hatte Lechler nach seiner Rückkehr aus dem Krieg in enger Zusammenarbeit mit Direktor Karl Müller (1872-1957) abzuschließen: Das bisherige Handelshaus hatte – gegen den Willen des Firmengründers – begonnen, eine zunächst allerdings sehr bescheidene Eigenfabrikation aufzunehmen. 1925 wurde in den USA eine Inertol Company gegründet, 1932 eine Tochtergesellschaft in Groß-Britannien. Um den ruinösen Wettbewerb süddeutscher Dichtungsringhersteller zu beenden, regte die Firma Lechler 1927 eine gemeinsame Verkaufsorganisation von vier in dieser Branche tätigen Unternehmen an. Im Zweiten Weltkrieg unterstanden die drei Produktionsbetriebe der Kriegsbewirtschaftung, und trotz einer großen Zahl gefallener Mitarbeiter und erheblicher Schäden an Gebäuden und Maschinen konnte mit Kriegsende eine bescheidene Produktion wiederaufgenommen werden, doch lag die Verantwortung dafür nicht mehr direkt in den Händen Lechlers. Um sich stärker karitativen Ämtern widmen zu können, hatte er sich 1946 aus der Leitung der Betriebe zurückgezogen und diese Bernhard Müller (1905) und seinem 1952 in die Geschäftsleitung eingetretenen Sohn Klaus überlassen.
Das Besondere des Unternehmers Lechler lag aber zweifellos in der christlichen Fundierung seines Handelns. In einem 1945 gehaltenen Vortrag über die „Christliche Verantwortung im Geschäftsleben“ stellte Lechler in Aufnahme eines für ihn wichtigen Bibelwortes aus 5. Mose 6, 11-13 heraus, daß sich ein christlicher Geschäftsmann als Haushalter zu sehen habe, der sich „auch in seinem geschäftlichen Denken und Handeln unter Gott“ stelle (6). Im Gebet erhalte er Kraft und erkenne seine Verantwortung für die Auswahl der Mitarbeiter und die Ausbildung des Nachwuchses; in den sozialen Fragen dürfe er sich nicht „von Zweckmäßigkeitsgründen leiten lassen“, sondern er müsse sich „durch die Liebe Christi gedrungen fühlen, das Los seiner Mitmenschen zu erleichtern“ (13). Die Einführung eines Werkarztes, die Einstellung einer Fabrikfürsorgerin oder die Anstellung von Strafentlassenen seien Zeichen für diese Haltung; Korrektheit im Umgang mit Geschäftspartnern oder Behörden, Achtung vor der Konkurrenz, Absage an jede Sonntagsarbeit verhindern, so Lechler, die „Abhängigkeit und Versklavung gegenüber weltlichen Dingen“, machten den Geschäftsmann „frei gegenüber den Menschen“ (24). In dieser Freiheit und der daraus erwachsenden Bereitschaft, persönliche Verantwortung wahrzunehmen, sah Lechler den „Segen der Gottgebundenheit“.
Diese seine Überzeugung ließ ihn die vielfältigen sozialen Werke, die sein Vater gegründet hatte, fortführen: 1910 wurde er Mitglied im Aufsichtsrat der in Freudenstadt angesiedelten Kurhaus Palmenwald AG, einer Einrichtung, die – wie das Evangelische Erholungsheim, in dessen Verwaltungsrat Lechler ebenso mitwirkte – neben äußerer Ruhe auch Zeit zur Besinnung geben wollte; seit 1912 war er Rechner des „Vereins zur Hilfe in außerordentlichen Notstandsfällen auf dem Lande“, der, durch Spenden gespeist, vor allem finanzielle Engpässe überbrücken half und bei Unglücksfällen, Krankheiten oder anderen Notständen Hilfe leistete; nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg wurde er Mitglied, 1925 dann Vorsitzender des Verwaltungsrates des Deutschen Instituts für ärztliche Mission in Tübingen.
Als Kirchengemeinderat (1922 Gedächtniskirche, 1930 Hospitalkirche) mit den durch die Deutschen Christen gegebenen Herausforderungen vertraut, stellte sich Lechler an die Seite der kirchlichen Opposition. 1934 unterstützte er den abgesetzten Stuttgarter Stadtdekan und stellte sich mit Nachdruck auf die Seite des mit Hausarrest belegten Landesbischofs. 1935 trat er der Sammlungsbewegung der württembergischen kirchlichen Opposition, der Bekenntnisgemeinschaft, bei und wurde zum Mitglied des Landesbruderrates gewählt; im selben Jahr wurde er Delegierter bei der 3. Bekenntnissynode der DEK (Deutschen Evangelischen Kirche) in Augsburg. Bei diesem Treffen suchte er durch die Sammlung der Laiensynodalen einen Beitrag zur Überwindung der oft verhärteten Fronten zwischen den Vertretern der verschiedenen evangelischen Bekenntnisse zu leisten. Diese auf Ausgleich bedachte Haltung wurde auch Anfang 1938 deutlich, als sich Lechler gegen eine Einbindung der württembergischen Landeskirche in den Lutherischen Rat aussprach. Da dieser ein Machtblock sein wolle, hätte Württemberg seine für die Verständigung bei den konfessionellen Auseinandersetzungen wichtige Vermittlerrolle aufgegeben; Lechler lehnte es daher ab, Mitglied der geplanten lutherischen Synode zu werden. Im übrigen kritisierte Lechler Wurms kritische Einstellung gegen den Landesbruderrat. Trotz der teilweise mahnenden und unbequemen Stellungnahmen dieses Gremiums sollte nicht vergessen werden, daß in ihm die junge Theologengeneration zu Wort komme, und deren Äußerungen seien zur Beurteilung der Gesamtlage unabdingbar. Daß diese Differenzen nicht grundsätzlicher Art waren, zeigt Lechlers Unterschrift unter die 13 Sätze über „Auftrag und Dienst der Kirche“, mit denen Wurm im Jahre 1943 zur Sammlung des deutschen Protestantismus aufrief. Wie hoch das Ansehen Lechlers war, läßt sich auch daran ablesen, daß er nicht nur dem 1936 eingerichteten Beirat für Landesbischof Wurm angehörte, sondern am 13. Dezember 1939 auch zum Mitglied des III. Landeskirchentages gewählt worden war. Hinzuweisen ist ferner darauf, daß sich Lechler entschieden gegen Versuche stellte, das Tübinger Tropengenesungsheim des Instituts für ärztliche Mission anderen Zwecken zuzuführen und auch den Konflikt mit Kreisleitung und Kultministerium nicht scheute, als er einen der NS-Bewegung angehörenden leitenden Arzt entließ. In seinem Betrieb beschäftigte Lechler vereinzelt sogenannte „Nichtarier“ und Bibelforscher und bewahrte sie dadurch vor Bedrängungen, ja Abtransporten in die Vernichtungslager.
1948 und 1954 zum Präsidenten der Landessynode gewählt, war es Lechler wichtig, daß die Abgeordneten ihre Meinung ohne irgendwelche Beeinflussung, frei in der Verantwortung vor Gott austauschen konnten. Die Kirche habe angesichts des großen seelischen Trümmerfeldes den suchenden Menschen Hilfe durch innere und äußere Aufrichtung zukommen zu lassen. Damit die Menschen zu Christus geführt werden können, war Lechler die Beteiligung der Laien in den Gemeinden ein besonderes Anliegen. Angeführt sei noch, daß Lechler Mitglied der Verwaltungsräte der Basler Mission und des Diakonissenhauses in Stuttgart war und ferner Verantwortung auf dem Gebiet der EKD übernommen hatte: Kurzfristig war er Angehöriger der EKD-Synode, vor allem war sein Rat als Wirtschafts- und Finanzsachverständiger beim Hilfswerk der EKD geschätzt.
So war das Leben Lechlers durch eine klare christliche Haltung geprägt, die im persönlichen Bereich, aber auch in der Führung seines Betriebes und in seinem Engagement für Kirche und karitative Werke Ausdruck fand.
Werke: Christliche Verantwortung im Geschäftsleben (Schriftenreihe der Evangelischen Akademie 2,1), Stuttgart 1946; Niederschrift aus meinem Leben bis Ende Mai 1944. o. O. 1944 (masch.); Verhandlungen des 4. Evangelischen Landeskirchentags in den Jahren 1947 bis 1953. 1. Protokoll-Bd., Stuttgart o. J., 17 f.; 2. Protokoll-Bd., Stuttgart o. J., 1389-1391; Verhandlungen des 5. Evangelischen Landeskirchentags in den Jahren 1953 bis 1959. Protokoll-Bd. I, Stuttgart o. J., 9 f.; Protokoll-Bd. II, Stuttgart o. J., 1117-1120
Nachweis: Bildnachweise: Paul Lechler 1879-1954 (siehe oben), S. 46 und Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg Nr. 24 vom 14.06.1964, S. 1

Literatur: Zu Paul Lechler (sen.): Paul Gehring, Paul Lechler. Großkaufmann und Fabrikant, Sozialreformer, Gründer des Deutschen Instituts für ärztliche Mission 1849-1925, in: Schwäbische Lebensbilder Bd. 6, Stuttgart 1957, 401-428 (Literatur!). Zur Firmengeschichte: Paul Lechler 1879-1954 (Festschrift zum 75jährigen Jubiläum), 2. Aufl. o. O. o. J., bes. 45-49; Hermann Wart, Geschichte eines schwäbischen Unternehmens. 100 Jahre Elring-Dichtungen. Fellbach 1987. Zu Paul Lechler (jun.): Jutta Fröhlich-Killinger, Helfen ohne Zuschüsse, in: Konsequenzen 21, 1987, Heft 6, 28-31 (vgl. Konsequenzen 22, 1988, Heft 1, 1); Theodor Knapp, Paul Lechler zum 70. Geburtstag, in: Nachrichten aus der ärztlichen Mission Nr. 3 vom Juni 1954 (5. Jg.), Tübingen, 2; Hans Stroh, Zweifacher Ehre wert. Zum Jubiläum von Fabrikant Paul Lechler, in: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg Nr. 24 vom 13.06.1954; Präsident Dr. Paul Lechler 75 Jahre alt, in: Ebd., Nr. 24 vom 14.06.1959; Heinz Autenrieth, Dr. Paul Lechler 80 Jahre, in: Ebd., Nr. 24 vom 14.06.1964; Dr. theol. h. c. Paul Lechler zum Gedächtnis. Zusammenstellung der Ansprachen bei der Trauerfeier am 8.8.1969 in Stuttgart, o. O. (1969); Hermann Diem, Nachruf, in: Attempto, 33/34 (1969), 75 f.; Gerhard Schäfer (Hg.), Dokumentation zum Kirchenkampf. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus, Bd. 5: Babylonische Gefangenschaft 1937-1938, Stuttgart 1982, 895-898
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