Haas, Carl Josef 

Geburtsdatum/-ort: 26.08.1844;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 04.04.1921;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Zellstoff- u. Papierfabrikant
Kurzbiografie: 1853 IX.–1860 VII. Höhere Bürgerschule Mannheim
1860 VIII.–1863 I. Lehrling im väterlichen Geschäft
1863 I.–1865 I. Lehrling in d. Handelsfirma Vivarès; Reise nach Spanien u. Algier
Ab 1865 Teilhaber d. Firma „Conrad Haas Söhne“
1884 VI. 26 Gründung d. AG „Zellstofffabrik Waldhof“
1893 Amerika-Reise als Vertreter d. Zellstofffabrik bei d. Weltausstellung in Chicago
1897 Kommerzienrat
1898 VIII. Konstituierung d. AG „Zellstofffabrik Waldhof-Pernau“ mit Haas als stellvertr. Präsidenten
1903 VI. Vorstandsmitglied des „Vereins Dt. Zellstoff-Fabrikanten“
1904 Geheimer Kommerzialrat
1914 XII. Pensionierung
1915–1919 Stellvertr. Vorsitzender des Aufsichtsrats d. Zellstofffabrik Waldhof
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1866 (Mannheim) Anna, geb. Forschner (1846–1914)
Eltern: Vater: Johann Conrad (1807–1863), Kolonialwarengroßhändler
Mutter: Marie Luise Charlotte, geb. Haas (sic!, 1810– 1888)
Geschwister: 9; Halbbruder Rudolf (1836–1897), Halbschwester Anna, verh. Helwig (1838–1878), Halbschwester Elise, verh. Spengler (1839–1879), Halbbruder Wilhelm (1840–1890), Friedrich (1843–1872), Unternehmer, Bianca, verh. Löffler (1845–1917), Luise (1847–1914), Marie (1849–1852) u. Auguste (1851–1865)
Kinder: 4; Anna, verh. Nieser (* 1867), Rudolf (1869–1905), Vorstandsmitglied d. Zellstofffabrik Waldhof, Wilhelm (1871–1945) Dr. jur., Direktor d. Bahnges. Waldhof, u. Hermann (* 1872).
GND-ID: GND/136780121

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 162-165

Haas wurde in die Familie eines erfolgreichen Mannheimer Handelsunternehmers geboren, was wohl seine kaufmännische Laufbahn vorzeichnete. Da er in der Zeit eines großen industriellen Aufschwungs lebte, konnte er über den üblichen Rahmen eines Handelsmanns hinauswachsen und zu einem bedeutenden Industriellen werden.
Bis zum 16. Lebensjahre besuchte Haas die Höhere Bürgerschule seiner Vaterstadt; offensichtlich aber hatte er kaum Interesse am Schulunterricht, denn er blieb immer im unteren Drittel seiner Klasse; die 3., 4. und 5. Klasse repetierte er jeweils, bis ihn sein Vater mitten im Schuljahr 1860/61 herausnahm und in seinem Geschäft als Lehrling einsetzte, was ihm offensichtlich weit mehr zusagte. Während des dritten Lehrjahres führte Haas schon selbständige Geschäftsreisen durch. Nach dem Tod des Vaters sammelte Haas noch zwei Jahre lang Berufserfahrungen bei einer Handelsfirma, für die er Deutschland bereiste. Am Schluss stand eine Dienstreise nach Spanien und Algier. Dann trat er als Teilhaber in die Firma „Conrad Haas Söhne“ ein.
Obwohl das Geschäft blühte, schien der Unternehmer Haas damit keineswegs ausgelastet und suchte zusätzliche Ansatzpunkte für seinen Schaffensdrang. So verwaltete er z. B. 1870/71 zusammen mit der Mannheimer Firma Mohr&Co die französischen Staatswälder im Elsaß. Später wirkte er als Mitbegründer der Bierbrauerei „Eichbaum AG“, deren Besitzer sein Schwiegervater gewesen war. Auf der konstituierenden Versammlung im Mai 1881 wurde Haas zum Präsidenten gewählt, später war er Vorsitzender des Aufsichtsrats.
Das ersehnte neue Betätigungsfeld bot sich ihm Ende 1883, als sein Bruder Rudolf, damals bei der Papierfabrik in Aschaffenburg, die Idee vortrug, Zellstoff für die Papierindustrie zu produzieren. Haas war begeistert und begann mit enormer Energie mit den Vorbereitungen zur Gründung der neuen Firma. Bereits im Frühjahr 1884 gelang es ihm, ein Grundstück von 60 Morgen, 21 ha, an der Grenze zur Gemarkung Sandhofen für 60 000 Mark zu erwerben. Das Areal für das zukünftige Unternehmen war sorgfältig ausgewählt: unweit des Altrheins, was sich sehr günstig auf Materialzufuhr und Versendung der Fabrikate auswirkte, noch wichtiger, es gab dort in hinreichender Menge das für die Zellstoff-Produktion nötige reine Grundwasser. Dem Rat ihres Bankiers Carl Ladenburg folgend nahmen die Brüder Haas Verbindung zum Chemiker Dr. Carl Clemm (1836–1899) auf, der eben aus der BASF ausgeschieden war, und im Juni 1884 wurde eine neue Aktiengesellschaft für die Zellstoffproduktion etabliert – anfangs mit nur neun Aktionären und einem Kapital von 750 000 Mark. Clemm wurde technischer, Haas kaufmännischer Direktor und sein Bruder Rudolf Vorsitzender des Aufsichtsrats.
Der erste Schritt war nun der Erwerb der Lizenz für das zur Großfabrikation geeignete „Ritter-Kellner-Verfahren“ zur Herstellung von Sulfit-Zellulose für 30 000 Mark. Gleichzeitig wurde ein Gleißanschluss mit der hessischen Ludwigsbahn vereinbahrt: Von Anfang an plante Haas ein großes Unternehmen, angesichts der damals in den Anfangsstadien befindlichen Zellstoffproduktion ein kühnes, weitblickendes Vorhaben. Die Gründung und Entwicklung der ersten großindustriellen Produktion von Zellstoff wurde zum Lebenswerk Haas‘.
Nach einjähriger Bauzeit wurde die erste Fabrikanlage im September 1885 in Betrieb genommen. Sie lieferte eine Tagesproduktion von 20 Tonnen. Andere dt. Fabriken lagen zwischen einer und fünf Tagestonnen. Die erzeugte Zellulose besaß hohe Qualität, die auch skeptische Papierfabrikanten überzeugte, dass sie Leinen- und Baumwoll-Lumpen für Zellstoffproduktion ersetzen könnten. Um die künftige Nachfrage zu befriedigen, begann man eine zweite, größere Anlage im Waldhof zu projektieren.
1886 trat Haas dem „Verein Dt. Holzzellstoff- Fabrikanten“ bei und erklärte, dass nur die Großfabrikation „die hohen Generalunkosten des Sulfitverfahrens herabzudrücken“ erlaube und dass Waldhof diesen Weg gehe. Damals fand er kaum Verständnis, hielt aber zielstrebig daran fest. 1887 wurde eine zweite Anlage mit dreifacher Kapazität in Betrieb genommen und 1889 die dritte, noch größere. Das Aktienkapital stieg bis 1890 auf 4 Mio. Mark, die Tagesproduktion auf 140 Tonnen. 1893 vertrat Haas die „Zellstofffabrik Waldhof“ auf der Weltausstellung in Chicago, die für die Firma zu einem großen Erfolg wurde. Eine Reihe von Medaillen und viele neue Kunden wurden gewonnen. Auch bei der Weltaustellung 1900 in Paris wirkte Haas, nach dem Tod Clemms einziger Generaldirektor der Firma, sehr erfolgreich und knüpfte weitere Verbindungen an. Mitte der 1890er Jahre unternahm Haas Reisen nach Russland, zum Teil im Schlitten, bis nach Archangelsk und zum Ural, um Holzkäufe zu sichern. Ein weiterer Schritt war die Gründung einer russischen Filiale bei Pernau, Livland. Im Mai–Juni 1898 konnte Haas mit der russischen Krone und privaten Waldbesitzern Lieferverträge über jährlich 100 000 Festmeter Holz abschließen, zu 6 M. je Festmeter frei Pernau und zu 15 bis 16 M. frei Mannheim, eine deutliche Ersparnis gegenüber 19 bis 20 M. für deutsches Holz. Haas besorgte meisterhaft auch den Grundstückskauf und beschaffte die nötigen Gelder, ca. 6 Mio. Mark. Im August 1898 wurde die „Aktiengesellschaft Zellstofffabrik Waldhof-Pernau“ mit Haas als stellvertretendem Präsidenten gegründet und Anfang Dezember 1900 wurde das Werk bei Pernau in Betrieb genommen.
Den Erfolg in diesen und auch vielen anderen oft schwierigen Verhandlungen verdankte Haas nicht allein seinem zähen Willen, auch seine gewinnende Art im persönlichen Umgang, sein Erscheinungsbild und imponierendes Auftreten bewirkten das Ihre. Es ging das Diktum, er strahle „ein tief beeindruckendes Fluidum“ aus, das oftmals unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten beseitige.
Mit kaufmännischem Weitblick beschloss Haas, die Produktion nicht auf Zellstoff als Ausgangsprodukt für die Papierfabrikation zu beschränken, sondern zu Papier weiter zu verarbeiten. 1907 entstand neben der Zellstofffabrik im Waldhof ein neues Werk, die „AG Papyrus“, deren Mitbegründer er war. Die flüssige Zellstoffmasse wurde direkt in die Papierherstellung eingeleitet, ohne getrocknet, gepackt und transportiert zu werden. Einen weiteren großen Schritt tat Haas im selben Jahr bei der Fusion mit der Zellstofffabrik Tilsit, was die Exportperspektiven verbesserte. Außerdem wirkte er bei der Gründung der „Süddeutschen Juteindusrie AG“ im Waldhof und der „Sunlight-Seifenfabrik GmbH“ auf der Rheinau mit. Als Aufsichtsratsmitglied in diesen und noch einigen anderen Unternehmen genoss er als weitblickender Wirtschaftsführer hohes Ansehen.
Bemerkenswert, durchaus aber auch zeittypisch, nicht nur im Mannheimer Großbürgertum, war Haas‘ gesellschaftliches und soziales Engagement. Der Konkordienkirche stiftete er bei ihrer Rekonstruktion 1893 bis 1895 eine mächtige Glocke, die nach seiner Mutter „Louisenglocke“ benannt wurde und anlässlich des 40-jährigen Thronjubiläums von Großherzog Friedrich I. 1898 gründete er einen Fonds zum Bau von Arbeiter-Genesungsheimen. Solche Anstalten wurden in Rohrbach bei Heidelberg für Männer und in Tretenhof bei Lahr für Frauen errichtet, und Haas kümmerte sich bis in die kleinsten Einzelheiten um deren Ausführung. In Anerkennung dieser Verdienste verlieh ihm die Univ. Freiburg im Oktober 1911 die Ehrendoktorwürde im Fach Medizin.
Erholung von all seinem Wirken fand Haas in der Natur. Seine Liebe zur Natur fand Ausdruck u. a. in der Mitgliedschaft im Mannheimer Verein für Naturkunde. Pferde waren seine Leidenschaft, so pflegte er mit seinem stadtbekannten Rappengespann auf den Waldhof zu fahren. Haas engagierte sich auch im Bad. Renn-Verein, war ab 1907 Mitglied des Direktoriums und wurde 1914 als Nachfolger des verstorbenen Carl Reiß (vgl. S. 314) dessen Präsident.
Ende 1914 ging der 70-jährige in den Ruhestand; er wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewählt und blieb dies bis 1919. Der I. Weltkrieg vernichtete viele von Haas‘ Errungenschaften, insbesondere sein Lieblingskind, das Pernau-Werk, wie auch mehrere internationale Verbindungen. Der Zusammenbruch des Kaisersreichs, mit dessen Aufschwung er selbst aufgestiegen war, die demütigende Niederlage seines Heimatlandes und dazu noch die Verdrängung des patriarchalischen Verhältnisses zwischen Unternehmer und Arbeiter bedeuteten für Haas den Untergang seiner Welt und erschienen ihm unerträglich. Physisch noch durchaus kräftig starb er im 77. Lebensjahr.
Quellen: StadtA Mannheim S1/2058, Biogr. Sammlung Haas, Bestand Tulla-Gymn., Zug. 68/1993, Nr. 2 u. Nr. 3, Höhere Bürgerschule; Auskunft des UA Freiburg vom 24. 4. 2008 u. d. SCA Hygiene Products GmbH, Mannheim-Waldhof vom 28.5.2008.
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde von E. Zoberbier, o. J. [1914?] im Besitz d. SCA Hygiene Products GmbH (Reproduktionen in: „Chronik 1884 –1959“, [1959], 12 u. in: Wysocky, 1984, 28; Zellstofffabrik 1884 – 1909 [Album], 1909, 1; Aus dem Werdegang d. dt. Zellstoffindustrie, FS zum 50-jährigen Bestehen des Vereins Dt. Zellstoff-Fabrikanten e.V, 1930, zwischen 48 u. 49 (vgl. Literatur).

Literatur: R. Haas, in: NDB 7, 1966, 377; ders. in: Florian Waldeck (Hg.), Alte Mannheimer Familien, Teil V, 1924, 23–43 (mit Bildnachweis); 75 Jahre Zellstofffabrik Waldhof. Chronik 1884 –1959, 1959, 9–35 (mit Bildnachweis); J. Wysocki, Spuren. 100 Jahre Waldhof–100 Jahre Wirtschaftsgeschichte, 1984, 9–46 (mit Bildnachweis).
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