Kässbohrer, Karl Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 06.09.1864;  Ulm
Sterbedatum/-ort: 26.12.1922;  Ulm
Beruf/Funktion:
  • Gründer der Karl Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH
Kurzbiografie: 1887-1892 Lehre als Wagner und Stellmacher bei Wagnermeister Karl Hirth in Ulm, Militärdienst beim Ulmer Pionierbataillon Nr. 13, Wanderjahre in Stuttgart (Firma Nägele) und Wien (Hofwagenfabrik Bähr)
1893 Gründung einer eigenen Werkstatt am Lautenberg in Ulm
1903 Vergrößerung des Betriebs und Verlegung an die heutige Hartmannstraße
1907 erster Automobilaufbau
1910 Patent für einen „in einen Gesellschaftswagen verwandelbaren Lastwagen“
1911 erster Aufbau für einen Linien-Omnibus
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1897 Katharina, geb. Mayer (1867-1955)
Eltern: Vater: Georg Kässbohrer (1836-1919), Schiffmeister in Ulm
Mutter: Luise Friederike Wilhelmine, geb. Kübler (1837-1894)
Geschwister: 8: 5 Brüder, 3 Schwestern
Kinder: Karl Georg (27.5.1901-29.4.1973), Fabrikant
Otto (26.1.1904-20.6.1989), Fabrikant, Entwickler des „Setra“, der selbsttragenden Omnibuskarosserie
Mina (1898-1985), verheiratet mit Eugen Kurz
Emma (1907-1979)
GND-ID: GND/137673418

Biografie: Hans Eugen Specker (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 125-126

Kässbohrer entstammte einer seit dem 16. Jahrhundert in Ulm nachweisbaren Familie der Fischer- und Schifferzunft. Nach strengen Regeln ausgebildet, mussten die Schiffmeister die von ihnen nach Wien und darüber hinaus geführten, am Zielort verkauften Zillen („Ulmer Schachteln“) selbst bauen und für den Personen- und Warenverkehr ausrüsten. Auch nachdem als Folge der württembergischen Gewerbeordnung von 1862 die Zünfte aufgehoben worden waren und die Konkurrenz der Eisenbahn die gewerbliche Donauschifffahrt allmählich zum Erliegen brachte, blieb der auf den Bau und Betrieb von Schiffen für Gesellschaftsfahrten auf der Donau umstellende Georg Kässbohrer dem angestammten Handwerk treu, gab seinen drittältesten Sohn Kässbohrer aber einem Wagnermeister und „Wagenfabrikanten“ in die Lehre. An die Lehrzeit und die fachgerecht bei den Ulmer Pionieren abgeleistete Wehrpflicht schlossen sich Wanderjahre an, die Kässbohrer zunächst nach Stuttgart führten, wo er vor allem das wagenbautechnische Zeichnen praktizierte, dann nach Wien, einem traditionellen Zielort für Ulmer Handwerksgesellen, wo er bei der Hofwagenfabrik Bähr Erfahrungen im Bau eleganter Kutschen sammelte.
Nach Ulm zurückgekehrt, erwarb Kässbohrer nach der Meisterprüfung von einem Metzgermeister am Lautenberg dessen Anwesen mit einem für die Einrichtung einer Werkstatt geeigneten Innenhof und empfahl sich in einer Anzeige im „Ulmer Tagblatt“ vom 5. September 1893 zum „Anfertigen von Chaisen und Wagen jeder Art, desgleichen in allen vorkommenden Reparaturen“. Letztere bildeten zunächst die Existenzgrundlage, aber schon 1897 konnte im Wettbewerb mit zwölf weiteren in Ulm ansässigen Wagnermeistern ein kompletter Brückenwagen ausgeliefert werden, und um die Jahrhundertwende wurde mit dem Bau neuer Wagen ohne direkten Auftrag begonnen, die regelmäßig auch auf dem Stuttgarter Pferdemarkt angeboten wurden. Für die expandierende Produktion konnte anstatt der zu eng gewordenen Werkstatt am Lautenberg 1903 das Areal einer Schmiede in der Neustadt (Hartmannstraße) erworben werden, wo nun auch Schmiede-, Schlosser-, Sattler- und Lackierarbeiten in Eigenregie ausgeführt wurden. Neuland beschritten wurde 1907 mit dem Aufbau einer Karosserie auf ein Fahrgestell der Schweizer Automobilfabrik Adolph Saurer. Für dieses im Auftrag eines Brauereigasthofs entwickelte, wahlweise für den Güter- und Personentransport einsetzbare Modell wurde 1910 ein Patent erteilt. Schon 1908 führte ein Katalog insgesamt 72 verschiedene Modelle an „Luxus- und Geschäftswagen“ auf, vom Dog-Cart über den Landauer bis zu pferdebespannten Postkutschen, Omnibussen und Bierwagen, bot zugleich den Bau von „Wagen nach speziellen Wünschen und Bedürfnissen“ an und offerierte darüber hinaus ein großes „Lager an neuen und gebrauchten Wagen“.
Zunehmend gewannen jedoch Automobilaufbauten an Bedeutung, wie für die seit 1911 zwischen Ulm und dem Vorort Wiblingen von einer privaten Gesellschaft betriebene Omnibuslinie, in die Kässbohrer, wieder auf einem Fahrgestell der Firma Saurer, als Teilhaber den Bus mit 18 Sitz- und 10 Stehplätzen einbrachte. Selbstbewusst und mit Recht inserierte Kässbohrer mit seiner Werkstatt im gleichen Jahr in einer Automobil-Zeitschrift als „Erste Ulmer Karosseriefabrik“, in der – neben der in eine Nebenrolle abgedrängten Herstellung von Kutschwagen – in Einzelfertigung und kleinen Serien Karosserien für Personenwagen auf Fahrgestellen nahezu aller gängigen Automobilfirmen und Aufbauten für Liefer- und Lastwagen konstruiert und ausgeführt wurden. Zur optimalen Nutzung der Motor- und Transportleistung von Lastwagen begann Kässbohrer nach dem Ersten Weltkrieg mit der Entwicklung von zunächst vollgummibereiften Anhängern, die gegenüber den herkömmlichen Pferdewagen eine weitgehende Neukonstruktion darstellten.
Nach dem überraschenden Tod des Firmengründers im Dezember 1922, mitten in der Inflationsphase, übernahmen die Söhne Karl und Otto, ersterer noch beim Ingenieurstudium in Stuttgart, letzterer nach abgeschlossener Wagnerlehre beim Vater, die damals etwa 20 Mitarbeiter zählende Firma und erweiterten sie zu einem Unternehmen von Weltgeltung. Mit unternehmerischem Wagemut, wachem Sinn für Marktchancen, Innovationsfreude und technischer Präzision hatte Kässbohrer die Bahnen zu dieser für die Entstehung der Ulmer Industriebetriebe aus handwerklichen Anfängen typischen Entwicklung vorgezeichnet. Ein im Geburtshaus des Firmengründers im Fischerviertel eingerichtetes (öffentlich nicht zugängliches) kleines Museum erinnert mit Dokumenten und Modellen an die Firmengeschichte.
Quellen: StadtA Ulm, Personendokumentation.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos im Setra Hauptarchiv Ulm und vgl. Lit.

Literatur: Franz Bollinger und Hellmut Pflüger, 1893-1968. 75 Jahre Kässbohrer, hg. von K. Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH, 1968; Manfred Schindler, Otto Kässbohrer in seinen Worten, in seinem Wirken, in seiner Zeit, hg. von der K. Kässbohrer GmbH, 2. Aufl. 1984; Dieter Mutard und Petra Forberger, Großes aus kleinen Anfängen –100 Jahre Otto Kässbohrer, Ulm 2003.
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