Matthes, Karl Henning 

Geburtsdatum/-ort: 16.01.1905; Jena
Sterbedatum/-ort: 08.11.1962;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Internist, Kreislaufforscher
Kurzbiografie: 1911–1923 III Schule in Marburg (1911–1916) u. Königsberg/Ostpreußen bis Abitur am humanist. Gymnasium in Königsberg
1923–1928 VI 21 Studium Medizin in Würzburg, SS 1923, Königsberg, WS 1923/24-WS 1924/25 u. WS 1925/26, SS 1927, München, SS 1925 u. WS 1927/28, Heidelberg, SS 1926, u. Leipzig, WS 1926/27. Ärztl. Staatsexamen in München
1929 VIII 24 Promotion „summa cum laude“ zum Dr. med. an d. Univ. Heidelberg: „Über den Mechanismus d. Pulsverlangsamung durch Morphin“
1929 X–1931 IX Aufenthalt in England: bis Sept. 1930 als Gastarzt am „National Institute for Medical Research“, London, dann als Rockefeller Research Fellow am Physiologischen Institut in Oxford
1931 X–1945 IV Wissenschaftl. Assistent oder Assistenzarzt, ab Okt. 1939 Titularoberarzt, an d. Medizin. Univ. Leipzig
1937 VI Habilitation ohne Dozentur für das Fach Innere Medizin: „Über die Regulation von Kreislauf u. Atmung im Dienste des respiratorischen Gaswechsels“
1945 IX–1947 II Leiter d. medizin. Poliklinik d. Univ. Erlangen, bis Mai 1946 kommissarisch
1947 III–1952 XI o. Professor u. Direktor d. Universitätsklinik Erlangen
1952 XII–1962 XI o. Professor u. Direktor d. Medizin. (Ludolf-Krehl-)Klinik d. Univ. Heidelberg
1955 VIII–1956 VIII Dekan d. Medizin. Fakultät
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Präsident d. Dt. Gesellschaft für Kreislaufforschung (1949); Dt. Vertreter u. Vorstandsmitglied d. „World Society of Cardiology“; Präsident d. Gesellschaft Dt. Naturforscher u. Ärzte (1960– 1962); o. Mitglied d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften (1961); Mitglied d. Dt. Akademie d. Naturforscher Leopoldina, Halle (1962)
Verheiratet: 1930 (London) Hedwig Elisabeth Friederike Luise, geb. Weiss (1903–1989), Dr. med.
Eltern: Vater: Max Erich Richard (1865–1930), Professor für Innere Medizin
Mutter: Paula Helene Martha, geb. Hudemann (1881–1905)
Stiefmutter Käthe Philippine Auguste, geb. Munckel (1888–1977)
Geschwister: 2; Halbschwester Käthe, verh. Turowski (1914–1998), Dr. med. u. med. dent., u. Halbbruder Max (1917–1977), Dr. med., Direktor d. Blutbank in Freiburg im Breisgau
Kinder: 3;
Karl John (geboren 1931), Dr. med., Professor für Innere Medizin; Bernhard Henning Otto (1936–1946),
Maria-Luise, verh. Lohmann (1939–1992), Musikerin, Dr. med., Professorin für Immunbiologie
GND-ID: GND/139699821

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 331-335

Schon der Vater von Matthes, der die Medizin um neue Methoden der Kreislauf- und Atmungsforschung bereicherte, war Internist von internationalem Rang und zunächst an der Universitätspoliklinik Jena, später in Marburg und ab 1916 in Königsberg tätig. Seine Mutter starb eine Woche nach seiner Geburt. Matthes’ später immer zurückhaltende Art ging vermutlich auf Kindheitserlebnisse zurück.
Matthes besuchte das Realgymnasium in Marburg, dann das 1905 eröffnete humanistische Königsberger „Hufengymnasium“. Zu seinen Lehrern gehörten der Schriftsteller Ernst Wichert (1887–1950), der Deutsch und Englisch unterrichtete und Matthes begeisterte. Matthes’ besondere Bewunderung aber galt in der Oberprima dem neuen Direktor und Naturwissenschaftler Alfred Postelmann (1880–1945). Besonderes die Physik hatte es dem Gymnasiasten angetan, dieses Fach wollte er studieren. Nachdem er im März 1923 das Gymnasium absolviert hatte, entschied er sich unter dem Einfluss des Vaters „nach einigem Schwanken“ (1961, Antrittsrede, 39) dann doch für die Medizin. Matthes’ physikalische Begabung fand später Ausdruck in der Erfindung mehrerer instrumentaler Methoden zur Kreislaufuntersuchung sowie in seinem streng naturwissenschaftlichen Ansatz in der medizinischen Forschung.
Matthes’ Studium an fünf Universitäten lässt jedes Mal die Suche nach dem für ihn Wesentlichen erkennen. Von besonderer Bedeutung waren ihm dabei die acht Monate am Pathologischen Institut der Universität Leipzig (1926/27). Danach konnte er sich ausschließlich auf ein Fach konzentrieren und seine ersten Versuche in experimenteller Forschung machen; aus dieser Zeit stammt Matthes’ erste Publikation.
Nach dem Staatsexamen in München im Juni 1928 ging Matthes als Praktikant zunächst in die Medizinische Klinik Königsberg und im November 1928 in das Pharmakologische Institut der Universität Heidelberg. Der Institutsdirektor Hermann Wieland regte Matthes’ Doktorarbeit an. Anhand von Tierexperimenten suchte Matthes den Mechanismus der Pulsverlangsamung durch Morphin zu erklären. Er fand heraus, dass „die nach Morphin auftretende Pulsverlangsamung […] nicht in erheblichem Ausmaße durch die Änderung im Kohlensäuregehalt des Blutes bedingt sein [kann]“ (1929, 237). Damit widersprach er der Hypothese seines Doktorvaters, was auf seine wissenschaftliche Integrität hinweist, die Matthes’ ganze Tätigkeit charakterisiert. Die Dissertation wurde mit „sehr gut“ bewertet. Nachdem Matthes wie vorgeschrieben „das Praktische Jahr“ zum 14. Juli 1929 beendet hatte, wurde ihm die Approbation als Arzt erteilt.
Matthes hatte nun das Glück eines einjährigen Studienaufenthalts in England; er arbeitete zuerst im National Institute for Medical Research in London in der Abteilung Biochemie und Pharmakologie von Sir Henry Dale (1875–1968, Nobelpreis 1936) und machte die Entdeckung, dass die enzymatische Zerlegung von Acetylcholin durch das Alkaloid Eserin gehemmt wird. Er hatte aber keine Möglichkeit, sein Ergebnis weiter zu entwickeln. Als ihm ein Rockefeller Stipendium angeboten wurde, ging er für ein weiteres Jahr nach Oxford zum Neurophysiologen Sir Charles Sherington (1857–1952, Nobelpreis 1932).Teilweise allein, teilweise mit Kollegen führte Matthes in England insgesamt sechs Arbeiten durch, deren Ergebnisse in englischen Fachzeitschriften publiziert wurden. Die Schule hervorragender englischer Medizin-Wissenschaftler hat Matthes das technische Vorgehen wie die präzise Fragestellung und Kritik vermittelt. Später betonte er oft, welch wissenschaftliche und menschliche Bereicherung das bedeutet habe, neben wichtigen internationalen Kontakten.
Nach der Rückkehr aus England erhielt Matthes eine Assistentenstelle an der Leipziger Universitätsklinik, der damals größten in Deutschland, die durch den bedeutenden Internisten und Hämatologen Paul Morawitz (1879– 1936) geleitet wurde. Ein Assistenzarzt, der jeweils eine Spezial-Station ein Jahr lang führte, konnte in acht bis zehn Jahren alle Spezial-Abteilungen absolvieren und somit „eine ausgezeichnete Ausbildung“ erhalten (Antrittsrede, 1962, 40). Matthes wurde der Reihe nach Assistent auf den Stationen für Herzkrankheiten, in der Neurologie, in der Station für Nieren- und Stoffwechselkrankheiten, im Infektionshaus und der Aufnahme. Seinen klinischen Lehrern, Morawitz und dessen Nachfolger Max Bürger (1885–1966), war Matthes immer dankbar, wurde er damals doch zum vielseitig erfahrenen, weitblickenden Kliniker herangebildet. Nach Morawitz hat Matthes später eine Station in seiner Heidelberger Klinik benannt. Max Bürger widmete er 1951 eine Monographie. Bei ganztägiger klinischer Arbeit – „niemals hat er […] das Wohl seiner Kranken aus dem Auge verloren“, wie Bürger 1962 urteilte – entwickelte Matthes mehrere Forschungsansätze. Damit setzte seine lebenslange Doppelarbeit als Kliniker und Forscher ein. Die Leipziger Jahre gerieten zu den fruchtbarsten für den Forscher Matthes. Er war früh herangereift, berichtet sein Schüler Gross (S. 149) „Als ich dem Dreißigjährigen begegnete, wirkte er nicht wie ein jüngerer Assistent, sondern war erfahrener, unabhängiger Experimentator, der selbstständig seine eigenen Fragestellungen mit den Methoden bearbeitete, die er für deren Lösung entwickelt hatte“ (Gross, 1975, 735). Mit großer Ausdauer, unter ungünstigsten Umständen im Keller, arbeitete Matthes zuverlässige photoelektrische Untersuchungsmethoden aus, die auf schonende Weise beim Menschen angewendet werden konnten. In diese Zeit fällt wohl Matthes’ größte wissenschaftliche und technische Leistung: die Konstruktion des ersten Oxymeters, einer Apparatur zur fortlaufenden Registrierung der Sauerstoffsättigung des Blutes beim Menschen, die mannigfache Einsatzmöglichkeiten eröffnete und die Kontrolle des Sauerstoffgehaltes des arteriellen Blutes bei Operationen, auch in großen Höhen, etwa beim Fliegen oder unter sonstigen Belastungen ermöglichte. Anfang 1936 hatte Matthes genug Material für seine Habilitation beisammen. Kurz zuvor aber waren die berüchtigten Nürnberger Gesetze beschlossen, nach denen Matthes’ Frau als Halbjüdin eingestuft wurde. Zunächst meinte man in der Medizinischen Fakultät, dass dies die Habilitation ausschließe, so dass Matthes’ erster Versuch scheiterte. Dann stellte sich heraus, dass der Ehemann eines „jüdischen Mischlings 1. Grades“ sich zwar habilitieren, nicht aber Dozent werden könne.
Mit dem Gesuch um Habilitation vom Dezember 1936 legte Matthes seine zweite Habilitationsschrift über die Regulation von Atmung und Kreislauf vor. Als erster Gutachter urteilte der Internist Rudolf Schoen (1892–1979): „Die Arbeit ist […] originell und bringt wichtige neue Ergebnisse auf einem Gebiet, auf welches schon außerordentlich viel Forschungsarbeit verwendet worden ist.“ In Matthes erkannte er den ernsten, vielseitig erfahrenen, zielbewussten und erfolgreichen Forscher, „auf den berechtigte Hoffnungen für die Zukunft gesetzt werden können“ (UA Leipzig, PA 1498, Bl. 17-19, Zitate Bl. 17f.). Der zweite Gutachter, der Physiologe Martin Gildemeister (1876–1943), ergänzte: „Trotz der großen Konkurrenz, die es auf diesem Gebiete […]gibt, ist es Dr. Matthes gelungen, neue Tatsachen zu finden und bekannte neu zu beleuchten. Das verdankt er seiner großen technischen Geschicklichkeit, die ihn befähigt hat, Methoden auszuarbeiten und für klinische Zwecke brauchbar zu machen“ (ebd., Bl. 19). Aufschlussreich sind auch die Äußerungen der Gutachter über die Person Matthes’: „sehr gut erzogen, gewandt, von zurückhaltendem Wesen und unbedingt zuverlässig. Er habe sich politisch nicht betätigt“ meinte Schoen. Auch Gildemeister sah in Matthes den „ernsten, zurückhaltenden, taktvollen Mann von einwandfreier Gesinnung“ (ebd.). Anfang Juli ermächtigte das Ministerium für Volksbildung die Medizinische Fakultät, aufgrund der vorgelegten Dokumente, Matthes den akademischen Grad eines habilitierten Doktors zu verleihen. Obwohl die Venia legendi Matthes’ ausblieb, betraute ihn Bürger ab 1939 regelmäßig mit Vorlesungen zur Inneren Medizin. Matthes hielt Kurse zur Perkussion und Auskultation, über klinische Chemie, Mikroskopie und las über Blutkrankheiten sowie „Innere Medizin für Studierende der Zahnheilkunde und diagnostische und therapeutische Technik“.
Ende 1941 schimmerte die Hoffnung auf, ausnahmsweise eine Dozentur zu erhalten. 1940 war das Institut für Arbeits- und Leistungsmedizin bei der Leipziger Universität gegründet worden und dessen Direktor, Professor Max Hochrein (1897–1943), hatte vor, Matthes als beamteten Leiter der wissenschaftlichen Abteilung einzustellen, womit ihm die Dozentur erteilt würde. Gildemeister befürwortete Matthes, indem er an den zuständigen Beamten schrieb: „Er [Matthes] ist sicher der bekannteste unter den jüngeren Forschern der Leipziger Medizinischen Fakultät. Da er außerdem noch sehr gut vorträgt und zu interessieren weiß, wäre es […]ein Verlust für Leipzig, wenn ihm die Dozentur verschlossen bliebe“ (UA Leipzig, PA 1498, Bl. 24). Der Reichsminister des Innern genehmigte nur die Übernahme der freien Oberassistentenstelle im Angestelltenverhältnis. Matthes erhielt lediglich im Oktober 1939 den Titel eines Oberarztes.
Bei Ausbruch des Kriegs konnte Bürger Matthes aufgrund seiner Arbeiten als UK an der Klinik behalten, da diese Arbeiten – ungeachtet ihrer vorwiegend klinischen Fragestellungen – kriegswichtig für die Luftfahrtmedizin seien. Matthes’ Sohn erinnert sich: „mein Vater [hatte] während der Kriegsjahre engen Kontakt zu Dr. Goerdeler, dem OB von Leipzig, der Familie Bonhoeffer und zu Professor Heisenberg, der einer unserer Nachbarn war“ (Brief vom 10.9.2013, ). Die Kontakte mit den Regimegegnern Goerdeler und Bonhoeffer – mit Heisenberg hatte Matthes wohl eher Kontakte, die die Physik betrafen – charakterisieren Matthes’ Einstellung: er war nie NSDAP-Mitglied.
Nach dem Zusammenbruch wurde Matthes kommissarischer Leiter der Universitätspoliklinik. Als feststand, dass die Amerikaner Leipzig für die Sowjets räumen würden, wechselte er nach Erlangen in den Westen und sorgte dafür, dass seine Apparatur, sorgfältig verpackt, unter seinem persönlichen Besitz mitgenommen wurde.
In Erlangen konnte Matthes die Ergebnisse seiner etwa 15-jährigen Forschungen über instrumentelle Untersuchungen beim Menschen zusammenfassen (Matthes, 1951). Die Übernahme der großen Universitätsklinik im Frühjahr 1947 bedeutete zwar das Ende eigener experimenteller Arbeit, Matthes bestand aber darauf, dass seine Assistenten immer klinisch und wissenschaftlich tätig blieben. „Er verfolgte die wissenschaftlichen Arbeiten seiner Schüler mit intensivem Interesse, forderte sie in kritischen Diskussionen in kameradschaftlicher Form und gab neue Anregungen“ (Mechelke, 1963, 1252). Wer sich einseitig als Kliniker darstellte, „wurde von ihm für die Innere Medizin an einer Universitätsklinik als nicht kompetent betrachtet“ (Ulmer, 2005, 297).
Es wird deutlich, dass Matthes fachlichen Aufholbedarf erkannt hatte. 1948 wurde unter seiner Leitung eine neue Abteilung für Strahlentherapie und Strahlenbiologie in Erlangen eingerichtet. Er veranstaltete auch einen Fortbildungskurs über Röntgentherapie und gab die Materialien dazu als Sonderband der Fachzeitschrift „Strahlentherapie“ heraus (1949), wie er die bei der Erlanger Tagung „Ultraschall in der Medizin“ gehaltenen Referate publizierte.
Im Dezember 1952 setzte der letzte Abschnitt im Wirken Matthes’ ein, er wurde ordentlicher Professor für Innere Medizin und Direktor der Ludolf-Krehl-Klinik in Heidelberg. Bis zum Ende des Wintersemesters 1952/53 pendelte er zwischen Heidelberg und Erlangen, las dort sogar noch und leitete das Erlanger Klinikum kommissarisch weiter. Über „Klinische Medizin“ las Matthes dann auch die Heidelberger Jahre über: fünf Stunden wöchentlich; außerdem zweistündig, jeden Samstag „Pathologische Physiologie“, von 1954 bis 1957 außerdem einstündig „Die Röntgenologie in Rahmen der inneren Diagnostik“. Seine Vorlesungen werden wie seine Arbeiten charakterisiert: „klar, kritisch und anregend. Sie stellten nicht geringe Anforderungen an die Hörer, aber wer ihnen aufmerksam folgte, gewann nicht nur Wissen, sondern Einblick in die Zusammenhänge und lernte naturwissenschaftlich-medizinisches Denken“ (Kress, 1964, 45). In Heidelberg blieb Matthes, wie zuvor in Erlangen, bestrebt, Klinik und Forschung zu verbinden. Dazu wurde eine ganze Reihe von Laboratorien in der Klinik eingerichtet; die Zahl seiner Mitarbeiter wuchs von 15 (1953) auf 42 (1962). Das wissenschaftliche Niveau der Klinik war herausragend, wie der Band „Herz und Kreislauf“ des mehrbändigen Handbuchs für Innere Medizin erkennen lässt, den Matthes zusammen mit Mitarbeitern verfasste (1960).
Matthes hatte auch erkannt, dass neben reiner Therapie psychologische Faktoren für die Heilung bedeutend sind. Darum richtete er eine psychosomatische Abteilung ein, damals eine kühne, durchaus noch umstrittene Maßnahme! Umso größer war das Vertrauen seiner Patienten, zu denen auch Ibn Saud gehörte, der spätere König von Saudi Arabien.
„Das dramatischste Ereignis in seinem Leben“, so sein Sohn, war um die Wende zum Jahr 1959 eine Pockenepidemie in Heidelberg, die durch einen aus Indien zurückgekehrten Arzt eingeschleppt worden war. Bei seinem ersten Arbeitstag am 5. Dezember hatte dieser bereits neun Menschen infiziert. Matthes legte, außer obligatorischen Schutzimpfungen, eine strenge Quarantäne fest und blieb samt seinen Mitarbeitern selbst über Weihnachten in der Klinik eingesperrt. Er hatte sich selbst infiziert, die Erkrankung nahm aber dank wiederholter Impfungen einen leichten Verlauf. Die rastlose Arbeit der Klinik und des Gesundheitsamts verhinderte das Übergreifen der Krankheit; niemand außerhalb der Klinik wurde angesteckt. Nach Erlöschen der Epidemie fasste Matthes in Vorträgen für Mediziner seine bei den Pockenerkrankungen in Heidelberg gesammelten Erfahrungen zusammen; veröffentlicht ist nur eine sehr knappe Zusammenfassung des ersten Vortrags, den er am 25. Februar 1959 vor dem Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein Heidelberg gehalten hatte. Später erwähnte Matthes die Heidelberger Pockenepidemie noch einmal „als Bewährungsprobe der Klinik“ (Antrittsrede, 1962,42).
Neben dem enormen Arbeitspensum blieb Matthes immer wissenschaftsorganisatorisch tätig. Als Professor in Erlangen war er während der Jahresversammlung der deutschen Internisten in Karlsruhe im Mai 1948 zu deren Vorsitzendem gewählt worden und mit der Vorbereitung der ersten Nachkriegsversammlung betraut. Matthes tat viel, um dieser Gesellschaft neues Leben zu verleihen. Er erreichte internationale Beteiligung und einen würdigen Verlauf der 15. Tagung. In Heidelberg wirkte Matthes vom Wintersemester 1954/55 bis zum Wintersemester 1955/56 als Vorsitzender des Klinikdirektoriums; im Wintersemester 1955/56 und Sommersemester 1956 war er auch Dekan. Außerdem war Matthes Obergutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft und konnte viele junge Forscher fördern. Als Mitherausgeber betreute er mehrere Fachzeitschriften und 1957/58 war er auf Bitten der US-Armee Mitglied der Medizinischen Abteilung ihres Bildungskomitees. Einmal jedes Quartal besuchte Matthes das 2nd General-Hospital, er pflegte also die guten Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern. Höhepunkt von Matthes’ wissenschaftsorganisatorischer Tätigkeit war im September 1960 seine Wahl zum Präsidenten der Gesellschaft deutscher Naturwissenschaftler und Ärzte, die er dann 1961/62 innehatte. Die bevorstehende 102. Tagung plante er in allen Einzelheiten. Thema seiner Festrede war die klinische Forschung.
Im Juli 1962 musste Matthes an einer Hirngeschwulst operiert werden. Er schien geheilt und konnte im September als Präsident die 102. Versammlung dieser Gesellschaft in München begrüßen, gab jedoch zu, dass seine behandelnden Ärzte ihm geraten hätten, den Festvortrag nicht selbst zu halten. „Als Patient, der auch zugleich Arzt ist, schon aus kollegialen Gründen“ müsse er sich diesem Ratschlag fügen. Den von Matthes sorgfältig vorbereiteten Text verlas sein Münchener Kollege. Nach einem Monat verschlechterte sich Matthes’ Zustand. Er starb innerhalb weniger Tage und wurde auf dem Friedhof in Handschuhsheim bestattet.
Von Matthes stammen 117 Publikationen, die nur einen fragmentarischen Einblick in seine Tätigkeit geben. Die relativ geringe Zahl erklärt sich: Matthes vermied jegliche Wiederholung seiner Ergebnisse. Als Vermächtnis mag sein ideenreicher Vortrag „Prinzipien und Probleme der klinischen Forschung“ gelten. Hier hat er die Notwendigkeit, aber auch die Spezifik und Schwierigkeiten des Forschens am Kranken als vom höchsten ärztlichen Ethos begründet dargelegt. „Wenn eigene Forschung beim einzelnen auch nur stellvertretend auf einem schmalen Sektor eigener Kompetenz möglich ist, so ist sie doch entscheidend für die geistige Haltung im Ganzen“ (1962, Probleme, 6). Matthes’ Nachwirken mag auch daran erkannt werden, dass sich seine Schüler über Jahre an seinem Grab zu einem kurzen Gedenken trafen, wie Ulmer mitteilt (2005, 297).
Quellen: UA Leipzig, PA 1498 u. Auskunft vom 6.08. 2013; UA Heidelberg H-III-862/54, Promotionsakte Matthes, PA 1067, PA 2856, PA 4944, PA 4945, HAW 311, Akten Matthes; Auskünfte des UA Erlangen vom 11. u. 19.7.2013, des StadtA Jena vom 30.7.2013, des StadtA Marburg vom 2.8.2013; Briefe des Sohnes Prof. Karl John Matthes vom 6. 8.2013 u. der Großnichte Dr. Inge Turowski vom 13.8.2013.
Werke: (mit M. Schmidtmann) Untersuchungen über die Reaktion u. Permeabilität von Zellen des entzündeten u. Geschwulstgeweben, in: Zs. für die gesamte experimentelle Medizin 57, 1927, 127-144; Über den Mechanismus d. Pulsverlangsamung durch Morphin, Diss. med. Heidelberg, in: Archiv für Experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 145, 1929, 225-237; The Action of blood on acetylchloride, in: The Journal of Physiology 70, 1930, 338-348; Beiträge zur Blutzirkulation im kleinen Kreislauf, IV. Mitteilung: Der Druck im kleinen Kreislauf, in: Archiv für Experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 167, 1932, 687-701; Über den Einfluss d. Atmung auf die Sauerstoffsättigung des Arterienblutes, ebd., 176, 1934, 683-696; (mit M. Hochrein) Anämie u. Angina pectoris, in: Dt. Archiv für klinische Medizin 177, 1935, 1-13; (mit Mitarbeitern) Untersuchungen über den Gasaustausch in d. menschlichen Lunge, I-V, in: Archiv für Experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 181, 1936, 630-673 u. 185, 1937, 622-629; (mit X. Maliklosis) Untersuchungen über die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in menschlichen Arterien, in: Dt. Archiv für klinische Medizin 179, 1937, 500-517; Über die Regulation von Kreislauf u. Atmung im Dienste des respiratorischen Gaswechsels (Habilitationsschrift), in: Ergebnisse d. inneren Medizin u. Kinderheilkunde 53, 1937, 169-210; Zur Physiologie d. Bürgerschen Pressdruckprobe, In: Klinische Wochenschrift 117, 1938, 472-476; (mit I. Schleicher) Über die Messung d. Kreislaufzeit beim Menschen, in: Zs. für die gesamte experimentelle Medizin 105, 1939, 755-767; (mit F. Gross) Untersuchungen über die Absorption von rotem u. ultrarotem Licht durch kohlenoxydgesättigtes, sauerstoffgesättigtes u. reduziertes Blut, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 191, 1939, 369-380; Über die Registrierung von Bewegungsvorgängen mit dem Lichtelektrischen Reflexionsmesser, in: Klinische Wochenschrift 20, 1941, 295-291; Eine neue Methode zur fortlaufenden Aufzeichnung des systolischen Blutdrucks beim Menschen, ebd. 21, 1942, 290-293; Untersuchungen über das Wirkungsbild gefäßaktiver Pharmaka bei Menschen, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 203, 1944, 194-205, weitere Mitteilungen dazu (mit F. Gross) ebd., 206-224, 204, 1947, 57-66; Kreislaufuntersuchungen am Menschen mit fortlaufend registrierenden Methoden, in: Dt. medizin. Wochenschrift 72, 1947, 28-30; Untersuchungen über die Atemschwankungen des Blutdrucks u. d. Pulsfrequenz beim Menschen, in: Pflügers Archiv für die Gesamte Physiologie des Menschen u. d. Tiere 250, 1948, 747-768; (mit K. M. Wolf ) Ergebnisse d. Penicillin-Behandlung innerer Erkrankungen, in: Medizinische Klinik 44, 1949, 485-490, 529-532; Probleme d. Therapie d. Herzinsuffizienz, in: Verhandlungen d. Dt. Gesellschaft für Kreislaufforschung 16, 1950, 98-114; Kreislaufuntersuchungen am Menschen mit fortlaufend registrierenden Methoden; 1951; Pathologische Physiologie als Arbeitsrichtung von Ludolf Krehl, in: Heidelberger Jbb. 6, 1952, 202-206; Max Bürger zum 70. Geburtstag, in: Münchner medizin. Wochenschrift 97, 1955, 1542; Hämodynamik des Kreislaufkollapses, in: Cardiologia 35, 1959, 324-346; (mit Mitarbeitern) Herz u. Kreislauf: Cor pulmonale. Herz- u. Kreislaufstörungen bei verschiedenen Krankheiten u. Belastungen. Vegetative Herz-u. Kreislaufstörungen, in: G. von Bergmann, W. Frey, H. Schwiegk, (Hgg.), Handb. d. Inneren Medizin Bd. 9, Teil 4, 4. Aufl. 1960. Pathophysiologie d. Diffusion u. Perfusion, in: Verhandll. d. Dt. Gesellschaft für Pathologie 44, 1960, 75-98; Über die Struktur d. Universitätskliniken für Innere Medizin, in: Der Internist 2, 1961, Sonderteil, 11-21; Antrittsrede, in: Jahresh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. für 1961/62, 39-42; Prinzipien u. Probleme d. klinischen Forschung, in: Mitteilungen d. Gesellschaft Dt. Naturforscher u. Ärzte 102, 1962, 5-10. -Mithg.: Archiv für Kreislaufforschung 1949–1962; Zs. für Kreislaufforschung 1949-1962; Arzneimittelforschung 1951–1962; Dt. Archiv für klinische Medizin 1955–1962.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1955), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 329, UA Heidelberg Pos I 01981, mit deren Genehmigung. – Weitere Fotos ebd. Pos I, 01979, 01980 (vgl. Literatur).

Literatur: E. Wurmer, Matthes, Karl, in: NDB 16, 1990, 400f.; H. Flügge, Karl Matthes †, in: Ruperto Carola 32, 1962, 190f. (mit Bildnachweis); L. Heilmeyer, Karl Matthes †, in: Jb. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. für 1962/63, 83-85; Max Bürger, Karl Matthes zum Gedächtnis, in: Münchener medizin. Wochenschrift 105, 1963, 260 (mit Bildnachweis); A. Linke, In Memoriam Karl Matthes, in: Medizinische Klinik 58, 1963, 677f. (mit Bildnachweis); K. Mechelke, Karl Matthes †, in: Deutsche med. Wochenschrift 88, 1963, 1251-1254 (mit Bildnachweis); H. von Kress, In Memoriam Karl Matthes, in Heidelberger Jbb. 8, 1964, 41-56 (mit Bildnachweis u. Werken); In Memoriam Karl Matthes, 1965 (mit Bildnachweis u. Werken); G. Schettler, 70. Wiederkehr des Geburtstages von Prof. Dr. Karl Matthes, in: Therapiewoche 25, 1975, H. 21, 2913f. (mit Bildnachweis); F. Gross, Erinnerungen an Karl Matthes, in: Die Medizinische Welt 26, 1975, 735-739 (mit Bildnachweis); Alice Neidhardt, Medizinische Universitätsklinik Erlangen. Sammlung von Daten u. Ereignissen d. Klinik im Zeitraum von 1820–1980, Diss. med. Erlangen, 1985, 95-100, 113f.; Astrid Ley, Die Professoren u. Dozenten d. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1743–1960, Teil 2: Med. Fakultät, 1999, 124f.; W. T. Ulmer, Professor Dr. Karl Matthes: Memorial zum 100. Geburtstag, in: Zs. für Kardiologie 94, 2005, 196f.; D. Drüll, Heidelberger Gelehrten Lexikon 1933–1986, 2009, 406f.
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