Bleyler, Hildegard 

Geburtsdatum/-ort: 12.11.1899; Altkirch/Elsaß
Sterbedatum/-ort: 06.02.1984;  Freiburg
Beruf/Funktion:
  • Sozialpolitikerin, MdB-CDU
Kurzbiografie: humanistisches Gymnasium in Altkirch und Mühlhausen/Elsaß
1918 Abitur
1918-1923 Studium der Volkswirtschaft, Philosophie und Psychologie in München, Köln, Berlin und Freiburg
1923 Promotion zum Dr. rer. pol.
1924 Redaktionssekretärin in Augsburg
1925 wissenschaftliche Hilfsarbeiterin zur Bearbeitung der Volkszählung
1926-1928 Sekretärin des süddeutschen Berufsverbandes katholischer kaufmännischer Gehilfinnen und Beamtinnen München
1928-1933 Dozentin an der Oberschlesischen Fachschule für soziale Berufe in Beuthen
1933-1938 arbeitslos, bedingt durch ihre politische Einstellung, gelegentlich Unterricht an der Sozialen Frauenschule des Deutschen Caritasverbandes Freiburg
1938-1944 Anstellung in der Arbeitseinsatzverwaltung im Bereich des Landesarbeitsamtes Bayern: Arbeitsamt Kempten/Allgäu, dann Arbeitsamt Neu-Ulm; 1940 Versetzung in den Sudetengau
1946-1953 Beamtin im Landesarbeitsamt Baden bzw. Arbeitsamt Freiburg
1949 Mitglied der 1. Bundesversammlung der CDU
1950-1964 Beisitzerin im Landesvorstand der CDU Baden, Mitarbeit im Vorstand der Frauenvereinigung der CDU auf Landes- und Bundesebene
1953-1965 MdB, Mitglied der CDU-Fraktion
1958-1974 Landessozialrichterin beim Landessozialgericht in Stuttgart
1965 Bundesverdienstkreuz
1976 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Albert (1858-1934) Justizrat und Notar
Magdalena, geb. Hannoppel (1864-1951)
Geschwister: 7, 2 davon früh verstorben
GND-ID: GND/140705023

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 59-61

Obwohl ihr Lebensweg dornenreich war, hat Bleyler nie resigniert. Als froh, aufrecht und herzensgut ist sie ihren Mitmenschen in Erinnerung geblieben, Kraft schöpfend aus ihrer Freude an Bildung und Kultur und ihrer Religiosität. Den Ersten Weltkrieg erlebte sie als einziges Mädchen in einer elsässischen Gymnasialklasse in Hörweite der Vogesenfront. Nach Kriegsende mußte die Familie das Elsaß verlassen, obwohl sie dort seit zwei Generationen ansässig war. Der Großvater, ein sogenannter „Elsaßträger“, der mit Schwarzwälder Industrieprodukten – vornehmlich Uhren – handelte, hatte sich lange vor der Reichslandzeit in Altkirch niedergelassen. Bleylers Vater war Jurist und Notar. Er konnte 1919 in Freiburg in diesem Beruf wieder Fuß fassen und der Familie hier eine neue Heimat schaffen. Daß man im gut katholischen Haus Bleyler dem Zeitgeist entsprechend deutsch eingestellt war, drückt sich darin aus, daß Bleyler sich nach dem Abitur während der letzten Kriegsmonate im Vaterländischen Hilfsdienst engagierte, wobei sie in Brüssel eingesetzt war.
Die fünf Studienjahre in München, Köln, Berlin und Freiburg prägten Bleylers Persönlichkeit nachhaltig. Sie verschaffte sich das geistige Rüstzeug, indem sie das pragmatische Fach der Nationalökonomie um eine geisteswissenschaftlich-soziale Komponente erweiterte. Die Freizeit verbrachte sie in einem Kreis katholischer Studentinnen, dem sie im Rahmen des Bundes katholischer Akademikerinnen lebenslang die Treue hielt. Im Inflationsjahr 1923 schloß sie ihr Studium mit einer Promotion ab, deren Thema sich mit der Arbeitsplatzsituation der Frauen in Süddeutschland befaßte. Danach mußte sie die große Enttäuschung verkraften, mehrere Jahre lang keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit zu finden. Sie scheute sich jedoch nicht, zur Überbrückung diverse Tätigkeiten auszuüben, zum Beispiel die einer Sekretärin. In jenen Jahren trat sie der Zentrumspartei bei. 1928 wurde sie als Dozentin an die Fachschule für soziale Berufe in Beuthen/Oberschlesien berufen. 1933 büßte sie diese Stelle ein, offenbar wegen ihrer politischen Gesinnung. Sie kehrte nach Freiburg zurück und pflegte ihren Vater bis zu dessen Tod 1934. Fast fünf Jahre lang war sie arbeitslos, da sie als Nichtparteimitglied keine geeignete Stelle fand. Nebenamtlich unterrichtete sie in dieser Zeit an der Sozialen Frauenschule des Caritasverbandes, als freie Mitarbeiterin schrieb sie für die „Freiburger Tagespost“, eine Zeitung, die der Zentrumspartei nahestand. Zum 1. Januar 1938 wurde sie als Angestellte vom Landesarbeitsamt München übernommen und am Arbeitsamt Kempten im Allgäu in die Tätigkeit als Berufsberaterin eingewiesen. Wegen ihrer kritischen Distanz zur NSDAP drohte ihr jedoch schon nach wenigen Monaten die Entlassung, die nur „mit Rücksicht auf den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften“ nicht verwirklicht wurde.
Im Kriegsjahr 1940 wurde sie in den Sudetengau versetzt: zunächst an das Arbeitsamt Trautenau in die weibliche Berufsberatung, später als Referentin an das Landesarbeitsamt Reichenberg. Daneben lehrte sie an einer sozialen Frauenschule. Die Tätigkeit im Sudetenland erlebte sie trotz bescheidener Bezahlung als beglückend und bereichernd. An Maßnahmen mit Zwangscharakter zur Rekrutierung von Arbeitskräften für die Kriegswirtschaft hat sie sich nach Aussagen einer damaligen Kollegin nicht beteiligt; sie habe im Gegenteil tschechische Frauen und Mädchen vor der Verschickung ins Reich bewahrt. Dieser Umstand erklärt, daß sie nach dem Zusammenbruch 1944/45 mindestens einmal nach Reichenberg zurückkehren konnte, wobei sie von tschechischen Freunden geschützt wurde. Ob sie anfänglich daran dachte, in Reichenberg zu bleiben, das ihr inzwischen zur Heimat geworden war, oder ob sie nur persönliche Dinge retten wollte, läßt sich nicht mehr klären. Jedenfalls begab sie sich im Lauf des Jahres 1946 nach einer Zwischenstation im sächsischen Meißen nach Freiburg. Sie half etlichen Sudetendeutschen, deren Flucht sonst in der SBZ geendet hätte, in den Schwarzwald überzusiedeln. In der Kondolenzpost erwähnten zwei Familien, daß sie es Frau Bleyler verdankten, im freien Teil Deutschlands zu wohnen.
1946 gehört Bleyler zu den Aktiven der ersten Stunde: im Landesarbeitsamt Baden und beim Aufbau der CDU. Von 1959 bis 1964 gehörte sie als Beisitzerin dem Landesvorstand der CDU Baden an. 1953, 1957 und 1961 wurde sie jeweils über die Landesliste in den Deutschen Bundestag gewählt. Das Schwergewicht ihrer Arbeit im Parlament lag im Bereich der Sozialpolitik und der Frauenfragen. Schon während ihrer aktiven Zeit zog Bleyler in ein Heim, das der Altenpflege bestimmt war, damit sie als Berufstätige ihre betagte Mutter pflegen konnte. Sie behielt diesen Wohnsitz nach dem Tod der Mutter bis zum eigenen Lebensende bei. In den Abgeordnetenjahren pendelte sie zwischen Freiburg und Bonn, wo sie ein Zimmer gemietet hatte. Die Ruhestandsjahre füllte sie mit der Pflege ihres großen Bekanntenkreises und verstärktem Engagement im Freiburger Frauenbund, wo sie sich mit Philomene Steiger gut verstand. Sie wirkte auch als Wohltäterin unter Einsatz finanzieller Mittel und ganz praktisch in der aufopfernden Pflege einer blinden Heimbewohnerin.
Quellen: Unterlagen aus dem Nachlaß im Besitz von Frau Monika Schacherer, geb. Bleyler, Umkirch, und Frau Gundula Pollwein, geb. Zehentner, Mühldorf/Inn (Nichten). Geschäftsverteilungsplan des Arbeitsamts Freiburg 1947 ff., Badische Zeitung vom 09.02.1984 Nr. 33 S. 15, Nachruf
Nachweis: Bildnachweise: Im Nachlaß und bei Hochreuther

Literatur: Max Weber: Bevölkerungsgeschichte im Hochschwarzwald. Quellen und Forschungen aus dem Raum von Lenzkirch, o. J. (1953), Sp. 227-230; Verwaltungsjahrbuch für die Beamten und Angestellten der Arbeitseinsatzverwaltung 1941 ff. Amtliches Handbuch des 4. Deutschen Bundestages. Paul-Ludwig Weinacht/Tilman Mayer (Hg.), Ursprung und Entfaltung christlicher Demokratie in Südbaden, Eine Chronik 1945-1981, 1982, bes. 339 ff. und passim; Ina Hochreuther: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. 1992. S. 174 f.
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