Mattheiß, Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 18.06.1893;  Ludwigstal/Tuttlingen
Sterbedatum/-ort: 01.07.1934;  Ellwangen, erschossen
Beruf/Funktion:
  • Jurist, SA-Standartenführer, Leiter des Württ. Politischen Landespolizeiamts
Kurzbiografie: Bis 1911 Volksschule, Realschule, Oberrealschule und Abitur in Tuttlingen und Stuttgart
1911–1912 Militärdienst
1912–1914 Studium der Rechtswiss. in Tübingen
8/1914–2/1919 Militärdienst an der Westfront, zuletzt Leutnant der Reserve, EK I und EK II
1919–1922 Wiederaufnahme des Studiums, erste und zweite höhere Justizprüfung und Promotion über „Die Entwicklung des Grundbuchs in Württemberg“
6/1922–9/1925 verschiedene Tätigkeiten in Verwaltungen und Gerichten in Schorndorf, Stuttgart und Balingen
9/1925–12/1926 Vollhilfsrichter beim Amtsgericht Balingen
1/1927–4/1933 Amtsrichter in Oberndorf
19.3.1933 Unterkommissar für die Oberämter Balingen, Horb, Oberndorf, Rottweil, Spaichingen, Sulz und Tuttlingen
19.4.1933 Sonderkommissar beim Innenministerium, zuständig für „Schutzhaft“ und „Schutzhaftlager“
28.4.1933 Leiter der Württ. Politischen Polizei (im Januar 1934 umbenannt in Württ. Politisches Landespolizeiamt, im Oktober 1936 umbenannt in Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Stuttgart)
11/1933 Ernennung zum Oberregierungsrat
11.5.1934 aus dem Amt entlassen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. 1922 Anna Fanny Kossmann (Scheidung 1927)
2. 1928 Charlotte Egelhaaf (geboren 31.5.1909)
Eltern: Vater: Hermann Friedrich Mattheiß (20.2.1865–10.5.1947), Lehrer
Mutter: Melanie Sofia Augusta, geb. Lebholz (26.1.1872)
Geschwister: 3: Melanie (geboren 1894); Natalie (geboren 1895); Willy (geboren 1902)
Kinder: 4:
aus 1. Ehe: Hermann (geboren 1923);
aus 2. Ehe 3: Ingeborg (geboren 1929); Jürgen (geboren 1931); Hermann Dietrich (geboren 1934)
GND-ID: GND/14211085X

Biografie: Friedemann Rincke (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 142-144

Mit dem Abitur hatte sich der aus einem protestantischen Elternhaus stammende Mattheiß das Recht erworben, seine Wehrpflicht als sogenannter Einjährig-Freiwilliger abzuleisten. Sofort nach seiner Entlassung als Unteroffizier schrieb er sich zum Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen ein. Keine zwei Jahre später unterbrachen die Mobilmachung und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges seine Ausbildung und Mattheiß rückte als Artillerist ins Feld, wo er bereits im Dezember 1914 zum Leutnant befördert wurde.
Seine militärischen Vorgesetzten attestierten ihm, „sehr energisch in seiner Wesensart“ und „im Kameradenkreis sehr geschätzt“ zu sein. Die leise Kritik, er würde „gegen Untergebene den Vorgesetztenstand recht stark betonend“ auftreten, darf als Hinweis auf Mattheiß’ Hang zum herrischen Auftreten und seine Ungeduld gelten, die gegen Ende der Weimarer Republik immer deutlicher hervortraten.
Noch 1919 konnte Mattheiß nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst die erste höhere Justizprüfung ablegen und 1922 mit der zweiten Prüfung seine akademische Ausbildung beenden. Es folgten als Stationen der praktischen Weiterbildung verschiedene Tätigkeiten in Schorndorf, Stuttgart und Balingen. Zum 1.1.1927 wurde Mattheiß zum Amtsrichter in Oberndorf ernannt.
Mattheiß’ Impulsivität und Kompromisslosigkeit führten nun verstärkt zu Reibungen mit seinem Umfeld. Es kam zu sich hinziehenden juristischen Auseinandersetzungen mit der Württembergischen Anwaltskammer und Privatpersonen. Dauer und Schärfe dieser Streitigkeiten resultierten nicht zuletzt aus Mattheiß’ sich verfestigender Neigung, eine subjektiv empfundene Abweisung schnell als verschwörerisches Wirken größerer Kreise gegen seine Person zu interpretieren. Notgedrungen zogen diese Fehden durch Mattheiß’ Kompromisslosigkeit immer weitere Kreise bis hin zum Landgericht Rottweil, von wo aus kritisch über Mattheiß an das Justizministerium berichtet wurde. Landgerichtspräsident Koch schlug vor, Mattheiß durch Beförderung oder Versetzung an ein anderes Gericht zu bringen, konnte aber auch nicht umhin, eine Befähigung für höhere Aufgaben in Zweifel zu ziehen. Mattheiß’ Chimäre von einem Kampf gegen mächtige Gegner fand so nur neue Nahrung.
Ob diese Haltung Mattheiß in die Arme der rücksichtslos mit Projektionen und Trugbildern arbeitenden NSDAP trieb oder umgekehrt von dort befeuert wurde, muss dahingestellt bleiben. Als „Alter Kämpfer“ mit niedriger Parteimitgliedsnummer und SA-Angehöriger setzte sich Mattheiß immer offener für die NSDAP ein und war bald auch bereit, seine berufliche Existenz für die „Bewegung“ zu riskieren. Von der NSDAP-Ortsgruppe Lauterbach ließ er sich im April 1932 für eine Versammlung als Redner aufstellen. Mit einer derart unverblümten Parteinahme setzte Amtsrichter Mattheiß alles auf eine Karte – und gewann.
Nachdem die NSDAP nach der Reichstagswahl am 8. März 1933 auch in Württemberg die Macht erlangt hatte, wurde Mattheiß am 15. März vom Reichskommissar für das Polizeiwesen in Württemberg und SA-Gruppenführer Dietrich von Jagow zum Unterkommissar ernannt. Mattheiß legte letzte Reste von Zurückhaltung ab und ließ im NS-Kurier verlautbaren, er werde jeden, gegen den auch nur der Verdacht aufkam, „gegen die Regierung oder die deutsche Bewegung“ zu arbeiten, zur Zwangsarbeit einziehen und „körperlich ausrotten“.
Am 19. April ernannte der neue Staatspräsident Wilhelm Murr ihn zum Sonderkommissar im Innenministerium und übertrug ihm die Aufsicht über das Instrument der Schutzhaft und das neu errichtete Schutzhaftlager Heuberg. Dieser Posten war nur ein Intermezzo, denn bereits am 28. April verfügte das Innenministerium die Herauslösung der Politischen Polizei aus dem Stuttgarter Polizeipräsidium. Mattheiß wurde zum Leiter der nun „Württembergische Politische Polizei“ genannten Institution bestellt. Er besaß keine tieferen Kenntnisse über die Polizeiarbeit. Er hatte lediglich, wie in Württemberg üblich, als Richter 1928 einen Monat im Stuttgarter Polizeipräsidium hospitiert. Er entsprach aber als promovierter Jurist dem später üblichen Anforderungsprofil als Leiter einer regionalen Politischen Polizei bzw. Gestapo-Dienststelle.
Innerhalb kürzester Zeit wurde die „Württembergische Politische Polizei“ ebenso wie die Politischen Polizeien der anderen Länder mit den Machtmitteln ausgestattet, die sie zu einer zentralen Stütze des NS-Regimes machten. Ihr wurde die Durchführung der sogenannten Reichstagsbrandverordnung, also die Aufhebung der Grundrechte, übertragen, ihr wurde das Instrument der Schutzhaft in die Hand gegeben und die Schutzhaftlager unterstellt.
Mattheiß machte von diesen Mitteln Gebrauch. Die erste Verhaftungswelle politischer Gegner war schon über Württemberg gerollt und Mattheiß trug seinen Teil dazu bei, dass das Schutzhaftlager Heuberg schon früh kaum noch Häftlinge aufnehmen konnte. Im Jahr 1933 wurden dort rund 3500 Männer inhaftiert.
Mattheiß’ zweite Aufgabe war die Neuorganisation der Politischen Polizei selbst. Er war entschlossen, aus der in der Tendenz eher reagierenden Politischen Polizei der Weimarer Republik eine aggressive und eigeninitiativ vorgehende Organisation zu machen, deren Aufgaben weit über den klassischen Staatsschutz hinausgehen sollten. Für diese neuen Aufgaben reichte das Personal der Politischen Polizei nicht aus. Anfang 1933 arbeiteten dort lediglich 63 Männer und Frauen. Zudem galten einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als politisch unzuverlässig und wurden entlassen oder zu anderen Polizeidienststellen versetzt. Mattheiß erhöhte die Personalstärke innerhalb weniger Monate um mehr als das Dreifache. Vor allem aus den Reihen der Kriminalpolizei und aus anderen Verwaltungsbereichen rekrutierte Mattheiß das neue Personal. Hinzu kamen 56 sogenannte Hilfspolizeibeamte, arbeitslose SS-Männer, die später weitgehend in ein Angestelltenverhältnis übernommen wurden.
Mattheiß machte sich mit diesem Vorgehen nicht nur Freunde. Die Kosten der Politischen Polizei stiegen rasant und die Haushaltsplaner sahen nicht ein, warum es der Politischen Polizei erlaubt sein sollte, ihren Stellenplan derart auszuweiten. Sie lehnten die Forderungen Mattheiß’ rundweg ab. Auch das Innenministerium in Berlin, welches die Polizeikosten der Länder bezuschusste, wollte einen derartigen Ausbau des Personals nicht mittragen. Mattheiß reagierte wieder kompromisslos und setzte sein neues Personal einfach in Tätigkeit.
Wieder zeigte sich Mattheiß unfähig, die Reaktionen auf ihn und sein Handeln richtig einzuschätzen und vermutete stattdessen eine planmäßige Sabotage seiner Arbeit. Gerade im Innenministerium, dem seine Politische Polizei unmittelbar unterstand, vermutete er eine „versteckte passive Resistenz“. Mattheiß missfiel die Bestrebung innerhalb der NSDAP, nach der für viele überraschend reibungslos verlaufenden Konsolidierung der Macht das Bündnis mit den alten Eliten nicht dadurch zu gefährden, indem man dort Existenzängste auslöste. Er war offenbar auch nicht bereit, sich mit seiner eigenen Rolle als Beamter zufrieden zu geben. Die geheimen Lageberichte, die er entweder selbst verfasste oder wenigstens konzipiert haben dürfte, sind gespickt mit Ausführungen und Überlegungen, die eine deutliche politische Ambition durchblicken lassen. Der Lagebericht vom November 1933 gibt auch Auskunft über Mattheiß’ politische und ideologische Radikalisierung. Zur „Judenfrage“ heißt es dort, die „einfachste und primitivste Lösung wäre die physische Ausrottung [der Juden]“. Sie wird zwar sogleich aus praktischen Gründen verworfen, doch ist die Bereitschaft zur Aufgabe der Humanität unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.
Es waren aber letztlich die Reibereien mit dem Innenministerium, die zur Ablösung von Mattheiß führten. Auf Weisung von Reichsstatthalter Wilhelm Murr teilte Innenminister Jonathan Schmid ihm am 7. Mai 1934 mit, dass er mit Wirkung vom 11. Mai ab seines Amts enthoben sei. Walter Stahlecker stehe bereits als sein Nachfolger fest, dem er die Amtsgeschäfte zu übergeben habe.
Mattheiß wurde in den Urlaub geschickt, bis über seine weitere Verwendung entschieden sei. Dazu kam es nicht mehr. Am 30. Juni verhafteten SS-Männer Mattheiß. Er muss zuvor davon erfahren haben, dass im ganzen Reich bereits führende SA-Männer im Zusammenhang mit der später als sogenannter Röhm-Putsch bekannt gewordenen Mord-Aktion verhaftet worden waren, denn er unternahm einen erfolglosen Fluchtversuch. Mattheiß wurde am frühen Morgen des 1. Juli in Ellwangen erschossen.
Warum Mattheiß ermordet wurde, ob es auf Befehl Himmlers geschah oder ob einer seiner Gegner im Südwesten die Gelegenheit nutzte, sich eines Widersachers zu entledigen, ist nicht geklärt.
Quellen: Personalakte im HStAS EA 4/150 Bü 734. Zur Entwicklung der Politischen Polizei in Württemberg und der Rolle Mattheiß’ nach der Machtübergabe vgl. u. a. HStAS E 151/1 Bü 793 und 794.

Literatur: Jürgen Schuhladen-Krämer, Die Exekutoren des Terrors: Hermann Mattheiß, Walter Stahlecker, Friedrich Mußgay. Leiter der Geheimen Staatspolizeileitstelle Stuttgart, in: Michael Kißener/Joachim Scholtyseck (Hg.), Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 2), 1997, 405-443, hier 405 und 407-416.
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