Schmidt, Martin 

Geburtsdatum/-ort: 12.12.1863; Aschersleben
Sterbedatum/-ort: 14.01.1947; Blankenburg
Beruf/Funktion:
  • Geologe, Direktor des Württ. Naturkundemuseums, (damals Naturaliensammlung, volkstümlich Naturalienkabinett)
Kurzbiografie: 1870–1876 Grundschule und erstes Gymnasialjahr am Stephaneum in Aschersleben
1882 Abitur am Domgymnasium in Halberstadt
1882–1887 Studium der Zoologie, Geologie und Geographie in Heidelberg, Berlin und Göttingen
1891 Assistent am Geolog. Inst. und Museum der Univ. Göttingen bei Prof. Adolf von Koenen
1893 Dissertation
danach Unterricht an der höheren Schule Oldenburg
1895–1901 Preuß. Geolog. Landesamt, Kartierung in Pommern
1901 mit der Holländischen Petroleum Gesellschaft als Geologe auf Borneo
1903 Gast der Geolog. Landesanstalt Berlin, bearbeitet den oberen Jura in Pommern
1903–1918 Statist. Landesamt Stuttgart, geolog. Abteilung als Helfer, später Landesgeologe
1907 Habilitation, Lehrberechtigung an der TH Stuttgart
1912 Ernennung zum ao. Prof.
1914–1918 Hauptmann der Landwehr, Kriegsgeologe
1919–1925 Konservator der geologischen Abteilung und Direktor der Württ. Naturaliensammlung
1925 Umzug nach Tübingen, bearbeitet Fossilien der deutschen Trias, kartiert weiter
1929–1931 drei Forschungsreisen nach Spanien
danach Umzug nach Quedlinburg
1935–1946 Wohnsitz Aschersleben, betreut dort die geologische Sammlung, urgeschichtliches Interesse
1937 Eintritt in die NSDAP
1946 Umzug nach Blankenburg zu Pfarrer Uhl
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: ledig
Eltern: Vater: Adolf Wilhelm Ferdinand Schmidt (1812–1899), ev. Geistlicher, Mineraloge, Dr. h. c.
Mutter: Helene Wilhelmine Caroline, geb. Uhl (1832–1888)
Geschwister: 5 Brüder, 3 aus erster, 2 aus zweiter Ehe des Vaters
Kinder: keine
GND-ID: GND/142516414

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 201-203

Zweimal gab Schmidt wohldotierte Beamtenstellen auf, um sich persönlichen Freiraum für Forschungsprojekte zu schaffen. 1901, in Preußen eben zum Bezirksgeologen ernannt, begleitete er eine Arbeitsgruppe der Niederländischen Petroleumgesellschaft auf die Südseeinsel Borneo. 1925 schied er aus seinem Amt als Direktor des Württembergischen Naturkundemuseums, vollendete sein wichtiges Werk „Die Lebewelt unserer Trias“ und ging im Sommer wieder ins Gelände zum „Kartieren“: Den zehn geologischen Karten im Maßstab 1 : 25 000, die er seit 1903 als Landesgeologe gefertigt hatte, folgten die Blätter Tübingen, Mössingen, Metzingen und Mengen-Sigmaringen. Beim Abbilden von Fossilien wie beim Kartieren kam ihm sein Zeichentalent zugute. Die Verbindung zu seiner Geburtsstadt Aschersleben in Sachsen-Anhalt, damals Bestandteil des Königreichs Preußen, ließ er nicht abreißen. Die doppelte Staatsangehörigkeit stand nicht nur in den amtlichen Papieren. Er hatte viel übrig für das preußische Militär und hielt seinen Offiziersstatus durch regelmäßige Teilnahme an Übungen auf aktuellem Stand mit dem Erfolg, dass er 1914 als Hauptmann der Landwehr Verwendung fand.
Aufgewachsen ist er in der bildungsfreundlichen Atmosphäre eines evangelischen Pfarrhauses als vierter Sohn seines Vaters, der neben seinem Kirchenamt über Landschnecken und Kieselalgen forschte. Die Grundschule und das erste Gymnasialjahr absolvierte Schmidt in Aschersleben. Das Stephaneum in der Heimatstadt führte jedoch nur zur fachgebundenen Hochschulreife, weshalb Schmidt ab 1876 das Domgymnasium in Halberstadt besuchte. Er studierte Naturwissenschaften in Heidelberg, Berlin und Göttingen und schloss nach fünf Jahren mit dem „Oberlehrerexamen“ ab. Er unterrichtete am Stephaneum in Aschersleben, dann als Hauslehrer in Berlin. Ernsthaft strebte er das Lehramt an einer höheren Schule nicht an. Mit 28 Jahren kehrte er zurück an die Universität Göttingen, um sich bei Adolph von Koenen, der eng mit dem Preußischen Geologischen Landesamt zusammenarbeitete und diesem Fachleute zuführte, ganz der Geologie zu widmen. Nebenbei sammelte er Erfahrung im paläontologischen Museum, das zu Koenens Institut gehörte. Nach einer Wartezeit, die er mit Schuldienst in Oldenburg überbrückte, erhielt er eine Stelle am Geologischen Landesamt und den Auftrag, in Pommern zu kartieren. Dass der pommersche Jura nur unzureichend erforscht war, ließ ihn nicht ruhen. Nach seiner anderthalbjährigen Borneo-Expedition griff er das Thema wieder auf und veröffentlichte „eine ausgezeichnete größere Monographie über den oberen Jura in Pommern und seine Fossilien“ (Berckhemer, vgl. Literatur, XXVII). Die Hauptarbeit erledigte er als „Gast“ der geologischen Landesanstalt in Berlin, was besagt, dass er zwar die Fachräume und die Bibliothek benützen durfte, aber kein Salär bezog.
1903 erhielt er – inzwischen 40 Jahre alt – eine der beiden reichsweit ausgeschriebenen Stellen an der eben gegründeten geologischen Abteilung des Statistischen Landesamtes in Stuttgart mit der Zielsetzung, den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstellten „geognostischen Atlas“ im Maßstab 1 : 50 000 durch ein neues Kartenwerk 1 : 25 000 zu ersetzen, um über den Landesuntergrund besser Bescheid zu wissen, seine Tücken zu kennen und eventuelle Rohstoffe zu finden. Schmidt arbeitete am Schwarzwaldrand und im Gebiet Bodensee- Oberschwaben und überzeugte durch seine Leistung. Im Nachgang zu Aufnahmen im Oberamt Freudenstadt vertiefte er die Untersuchung des dort anstehenden unteren Muschelkalks und publizierte seine Ergebnisse über „Das Wellengebirge der Gegend von Freudenstadt“ 1907 als Habilitationsschrift, mit der er sich die Lehrberechtigung für die TH Stuttgart erwarb. Im Winter las er dort Paläontologie und richtete eine Lehrsammlung ein. 1912 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Er lebte sich in Stuttgart rasch ein und wurde Mitglied im „Steigenklub“, den Wissenschaftler und Laien zur Erforschung der Versteinerungen der Schwäbischen Alb 1871 gegründet hatten. Mit Gründungsmitglied Pfarrer Theodor Engel (1842 – 1933), dem Verfasser des heute noch zitierten geologischen Exkursionsführers durch Württemberg, war Schmidt freundschaftlich verbunden.
1916 gratulierte er ihm „aus dem Felde gesandt“ mit Versen à la Wilhelm Busch zum 50jährigen Promotionsjubiläum. Als akademischer Lehrer war Schmidt anregend und beliebt. Berckhemer, sein späterer Mitarbeiter und Nachfolger im Naturalienkabinett, erinnert sich an eine Exkursion in die Normandie 1913 im letzten Friedensjahr. Bei Kriegsbeginn tat Schmidt Dienst als Hauptmann der Landwehr, erhielt aber bald den Auftrag, Kriegsgeologen auszubilden. Einsatzgebiet sei das Kreidegebiet in Nordfrankreich und Belgien gewesen. Anzunehmen, dass er den Ingenieur Dr. Walter Kranz (1873 – 1954), Pionieroffizier und Vordenker der modernen Kriegsgeologie, während des Krieges getroffen hat. Kranz arbeitete nach dem Krieg als württembergischer Landesgeologe und erforschte das Steinheimer Becken.
Am Kriegsende kehrte Schmidt nach Stuttgart zurück. Er nahm das Angebot an, zum staatlichen Naturkundemuseum zu wechseln und dort gleich zwei Positionen zu übernehmen: Konservator der geologischen Abteilung als Nachfolger des verstorbenen Eberhard Fraas (1862 – 1915) und Direktor als Nachfolger von Kurt Lampert (1859 – 1918), der das Amt jahrzehntelang ausgeübt hatte. Schmidt ging mit Schwung an die neue Aufgabe trotz widriger Umstände durch die Inflation, verstand etwas von Öffentlichkeitsarbeit und ordnete und vermehrte die Bestände um „einige großartige Schaustücke aus dem Lias von Holzmaden“. Die Seelilien auf einem Stück Treibholz bezaubern die Besucher bis heute. Auch seiner Heimatstadt ließ er interessante Stücke aus dieser reichen Fundstelle in Schwaben zukommen. Der vier Meter lange Fischsaurier ist im Städtischen Museum Aschersleben eine werbewirksame Attraktion.
Begründet mit gesundheitlichen Rücksichten beantragte Schmidt mit 63 Jahren den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand. Die Formulierung lässt erkennen, dass es nicht um akute Einschränkungen ging. Beschwerlich war ihm die Präsenzpflicht im Büro und er vermisste die Arbeit im Gelände. Vielleicht wollte er auch seinem Nachfolger Max Rauther, der seit 1919 die zoologische Abteilung leitete, den Weg frei machen. Schmidt zog nach Tübingen, erhielt einen Arbeitsplatz im Geologischen Institut der Universität und brachte 1928 die eindrucksvolle Monographie „Die Lebewelt unserer Trias“ mit über tausend eigenen Zeichnungen heraus.
1929 eröffnete sich ihm eine faszinierende Forschungsmöglichkeit: drei ausgedehnte Forschungsreisen nach Spanien. Unter dem Titel „Fossilien der spanischen Trias“ legte er 1935 das Gesamtergebnis vor. Dankbar erwähnt er im Vorwort spanische Kollegen und weitere Zuträger aus ganz Europa, aber auch die Geld gebenden Institutionen: die Preußische Akademie der Wissenschaften und die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, die „in liberalster Weise Mittel bereitgestellt“ haben. Zur Aufarbeitung der in Spanien gesammelten Fossilien war er auf Arbeitsräume mit zweckdienlicher Ausstattung angewiesen, auch auf die Erreichbarkeit einer Fachbibliothek. Freundliche Aufnahme fand er in Halle und Göttingen. Zum Vergleich seiner Funde suchte er die Sammlungen in Berlin, Heidelberg, Stuttgart und Basel auf. In dieser von häufigem Ortswechsel geprägten Zeit verlegte Schmidt seinen Hauptwohnsitz von Tübingen nach Quedlinburg, bald danach nach Aschersleben, wo mittlerweile die von ihm zusammengetragene erdgeschichtliche Sammlung des Museums soweit Gestalt angenommen hatte, dass er 1935 einen Museumsführer publizieren konnte. Wesentliche Unterstützung, seine etwa 13 000 Stücke zählende Fossilien- und Mineraliensammlung in seiner Geburtsstadt in einer Schule unterzubringen, hatte er von Stadtbaurat Dr. Hans Heckner (1878 – 1949) erhalten. Der Haupttransfer fand wohl 1928 statt, worauf ein Dankschreiben des Magistrats schließen lässt. Seine letzte Veröffentlichung gilt einem Gebiet, in das er sich neu eingearbeitet hatte: den Artefakten der Altsteinzeit. Im Mai 1937 wurde er in die NSDAP, Ortsgruppe Aschersleben, aufgenommen. Die Eintragungen auf seiner Mitgliedskarte sind etwas widersprüchlich: Aufnahme beantragt 5.9.37, Aufnahme 1.5.37.
Die letzten Lebensmonate verbrachte Schmidt wieder in einem Pfarrhaus bei einem Vetter mütterlicherseits in Blankenburg. Im Februar 1947 teilte dessen Ehefrau Irmgard Uhl dem Kultministerium in Stuttgart mit, dass Schmidt am 14. Januar nach kurzer Krankheit an einem Gehirnschlag verstorben sei. Da die Personalakte bei einem Fliegerangriff vernichtet worden war, erbat das Ministerium vom Museum Daten für ein Kondolenzschreiben und erhielt eine Kurzfassung des Nachrufs mit der Anmerkung, dass es keine Witwe gäbe, an die man ein Kondolenzschreiben richten könnte, da Schmidt zeitlebens ledig war. In Stuttgart lebe eine Großnichte, die Diplom-Mathematikerin Margarete Schäffer. Ob an diese oder nach Blankenburg ein Schreiben abging, ist nicht ersichtlich.
Quellen: HStAS EA 3/150 Bü 2099; BA Berlin, NSDAPZentralkartei, Mitglied Nr. 6043542; mündliche und schriftliche Mitteilungen von Luisa Töpel, Archiv- und Museumsleiterin, und Dr. Wolf-Dieter Ostermann, beide Aschersleben; Bereitstellung einer Sonderdrucksammlung durch Susanne Schuble, Bibliothekarin am Geolog. Institut der Univ. Freiburg.
Werke: Bibliographie mit 45 Titeln bei den Nachrufen, vgl. Literatur. Gedicht zu Ehren des Theologen und Geologen Theodor Engel (1842 – 1933), in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 72 (1916), 49-51.
Nachweis: Bildnachweise: Fotografie o. J. (Altersbild) bei Berckhemer, Waidenbach und Ostermann (vgl. Literatur); Porträt in Uniform bei Reiff (vgl. Literatur, 39).

Literatur: Max Rauther, Rückblick auf das Werden der Württ. Naturaliensammlung, vornehmlich auf die jüngst vergangenen 50 Jahre. Zum 150jährigen Bestehen der Württ. Naturaliensammlung in Stuttgart, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 96 (1941), 21, 26, 44-46; Fritz Berckhemer, Martin Schmidt zum Gedächtnis, in: ebd., 106 (1950), 26-34; Fritz Waidenbach, Nachruf für Schmidt, in: Geolog. Jb. für das Jahr 1950 (1952), 25-28; Karl Staesche, Ein Jahrhundert Paläontologie in Württemberg, in: Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 113 (1957), 23-59; Alfred Schochardt, Professor Martin Schmidt, in: Zeitung „Freiheit“, Lokalausgabe Aschersleben vom 12.12.1963; Winfried Reiff, Zur Geschichte des Geologischen Landesamts B-W, in: Jahreshefte des Geologischen Landesamts B-W 34 (1992), 39-40, 47 f; Wolf-Dieter Ostermann, Martin Schmidt, in: Lebensbilder aus Harz und Börde, Bd. 1, 1999, 83-90. Hermann Häusler, Johann Samuel Gruner (1766 – 1824) und Dr. Walter Kranz (1873 – 1953) – die Begründer der Militärgeologie im deutschsprachigen Raum, 2012.
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