Fretter-Pico, Maximilian 

Geburtsdatum/-ort: 06.02.1892;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 04.04.1984; Kreuth/Tegernsee, beigesetzt Invalidenfriedhof Berlin
Beruf/Funktion:
  • General der Artillerie
Kurzbiografie: 1910 Abitur am Humanistischen Gymnasium Karlsruhe
1910-1914 Feldartillerieregiment „Großherzog“ (1. Badisches) Nr. 14; zuletzt Regimentsadjutant
1914-1918 Westfront; Adjutant 56. Landwehr-Infanteriebrigade; Ord.-Offizier 14. Infanteriedivision; Ausbildung zum Generalstabsoffizier bei HGr Herzog Albrecht von Württemberg; 2. Generalstabsoffizier 19. Reservedivision, Oktober 1918 Hauptmann i. G., Eisernes Kreuz I. und II. Klasse, Orden vom Zähringer Löwen, Hanseatenkreuz Hamburg
1919-1921 Hilfsoffizier Ia Wehrkreiskommando I Königsberg; Führerstabsoffizier Truppenamt
1921-1927 Ausbildung als Trigonometer, Topograph und Fotogrameter an TH Charlottenburg (bis 1923); anschließend Dienst in der Operationsabteilung des Truppenamts in Berlin
1927-1930 Batteriechef Artillerieregiment 6, Hannover
1930-1935 2. Generalstabsoffizier der 1. Kavalleriedivision und 1. Generalstabsoffizier der 3. Infanteriedivision in Frankfurt a. d. Oder; Major
1935-1938 Generalstab des Heeres, Abteilung Fremde Heere Ost; Oberstleutnant, Oberst
1938/39 Chef des Generalkommandos Saarpfalz, Kaiserslautern
1939/40 Chef des Stabes XXIV. Armeekorps (motorisiert) im Westfeldzug
1941 April/Dezember Kommandeur 97. Jägerdivision im Ostfeldzug; Generalmajor; Ritterkreuz
1942-Juli 1944 KG XXX. Armeekorps an der Ostfront; Generalleutnant, General der Artillerie 1942; Deutsches Kreuz in Gold, Rumänischer Militärorden „Michael der Tapfere“, Eichenlaub zum Ritterkreuz
1944 Juli/Dezember Oberbefehlshaber der neuaufgestellten 6. Armee in Rumänien und Ungarn
1944 Dezember Führerreserve Oberkommando des Heeres, April 1945 Stellvertretender Befehlshaber Wehrkreis-Kommando IX. Kassel
1945-1948 US-Kriegsgefangenschaft; Mitarbeit in der „Historical Division“
1948-1956 Treuhänder-Tätigkeit in der Industrie
1956 Umzug von Heidelberg nach Berlin
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1924 Berlin, Gertrude, geb. Soltmann (geb. 1901 in Berlin)
Eltern: August Fretter-Pico (1859-1923), Königlich Preußischer Oberstleutnant
Auguste, geb. Graeff (1863-1936)
Geschwister: Otto, Generalleutnant (1893-1966)
Annemarie (1894-1982)
Cornelia (1897-1968)
Kinder: Heilwig Gräfin von der Recke (geb. 1925)
Jürgen Fretter-Pico (1928-1945, vermißt als Luftwaffenhelfer)
GND-ID: GND/Fretter-Pico

Biografie: Heinrich Bücheler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 138-140

Der Vater, August Fretter-Pico, kam aus einem im Raum um Heidelberg beheimateten alten badischen Geschlecht; dem Sohn wurde er Leitbild bei der Wahl des Berufs und der Waffengattung. Nach dem 1. Weltkrieg, den er überwiegend mit badischen Truppenteilen an der Westfront erlebte, führte Fretter-Picos Laufbahn in der Reichswehr in die Garnisonen Königsberg, Frankfurt a. d. Oder und besonders nach Berlin. Dort lernte Fretter-Pico in den zwanziger Jahren seine Lebensgefährtin kennen, eine Cousine der Frau des späteren Chefs des Generalstabs Ludwig Beck. Berlin wurde seine zweite Heimat.
In Frankfurt a. d. Oder erlebte Fretter-Pico die Machtübernahme Hitlers und die ersten Jahre seiner Herrschaft. Dem Bemühen der Partei, auch auf die Truppenteile der Garnison Einfluß zu gewinnen, widersetzte er sich engagiert. Der damalige SA-Brigadeführer Boese berichtete darüber, daß man die Abneigung des Ia der Kommandantur in Frankfurt a. d. Oder „habe mit Händen greifen können“. Fretter-Pico schrieb darüber nach dem Krieg: „Ich war Soldat und lehnte jede militärische Soldatenspielerei politischer Verbände scharf ab, da sie im Ausland uns schadete und mit Wehrerziehung und Wehrsport nichts zu tun hatte.“ Zu einer Mitwirkung in den späteren Staatsstreichplänen, die ihm 1938 und vor allem 1939/40 wohl nicht verborgen blieben, konnte Fretter-Pico sich indes nicht durchringen. Während seiner Tätigkeit in der Abteilung „Fremde Heere Ost“ des Generalstabs unter General Carl-Heinrich von Stülpnagel, einem engen Mitarbeiter Becks, wurde Fretter-Pico ein guter Kenner des Balkans und der Türkei. Um die Jahreswende 1937/38 diente er dem Diplomaten Albrecht von Kessel auch als militärischer Mittelsmann bei dem Versuch, die auf die Ausschaltung des Generalobersten von Fritsch zielenden Pläne Himmlers zu durchkreuzen. Wie von Kessel 1947 in einer eidesstattlichen Erklärung feststellte, habe er sich auf Fretter-Picos „lautere Gesinnung“ stets verlassen können.
Im Westfeldzug 1940 war Fretter-Pico Chef des Stabes des XXIV. Armeekorps (motorisiert) unter dem aus dem Stuttgarter Eberhard-Ludwig-Gymnasium und den Königsdragonern hervorgegangenen General der Panzertruppe Geyr von Schweppenburg, den er später seinen „Lehrmeister“ nannte. Mit Beginn des Ostfeldzuges fand Fretter-Pico als Truppenführer fast ausschließlich an der Ostfront Verwendung. Bis Ende Dezember 1941 befehligte er im Südabschnitt sehr erfolgreich die 97. Jägerdivision und anschließend über zweieinhalb Jahre das XXX. Armeekorps, mit welchem er sich auf der Krim, im Mittelabschnitt und an der Leningrader Front auszeichnete. Wie seine Generalstabsoffiziere übereinstimmend berichteten, war es stets Fretter-Picos oberster Grundsatz, Erfolge mit möglichst geringen Verlusten zu erringen und blutsparend zu führen. Besondere Beachtung schenkte er der Truppenseelsorge und unterstützte seine Wehrmachtpfarrer, wo immer er konnte. Am 19. Juli 1944 wurde Fretter-Pico Oberbefehlshaber der neuaufgestellten 6. Armee. Durch Abgaben an die zusammengebrochene Heeresgruppe Mitte sehr geschwächt, wurde die 6. Armee im August 1944 durch den mit starken Panzerkräften vorgetriebenen sowjetischen Zangenangriff in Bessarabien überflügelt und mußte schwere Verluste hinnehmen. Eine vom Chef des Generalstabs Guderian angeordnete Untersuchung der „Bessarabien-Katastrophe“ konnte keinerlei Fehler oder Versäumnisse des Armeeoberkommando 6 feststellen. Heute ist erwiesen, was Fretter-Pico schon kurz nach dem Kriege notierte: „Die schicksalhafte 6. Armee wurde auch in Bessarabien das Opfer starrköpfiger, gewissenloser oberster Führung wie in Stalingrad.“ Seine Reibungen mit der obersten Führung wiederholten sich im Herbst 1944 beim sowjetischen Stoß in die ungarische Tiefebene. Wieder hatte Fretter-Pico die drohenden Gefahren rechtzeitig erkannt; er warnte vor einer neuen Überforderung der Truppe, insbesondere einer verlustreichen Verteidigung der ungarischen Hauptstadt als „Festung Budapest“. Am 1.12.1944 jedoch erhielt das Armeeoberkommando 6 ein Fernschreiben der Heeresgruppe, „die Stadt Budapest auf Befehl des Führers bis zum letzten Haus zu verteidigen“. Als Fretter-Pico in den folgenden Wochen immer wieder darauf hinwies, daß Budapest mangels Infanterie nicht zu halten und die Besatzung, einmal eingeschlossen, auch nicht mehr zu befreien war, wurde er am 23.12.1944 als O.B. der 6. Armee abgelöst. Generalmajor von Grolman, damals Ia der vorgesetzten Heeresgruppe, erklärte später eidesstattlich, Fretter-Pico sei abgelöst worden, „weil er an höchster Stelle nicht mehr genehm war“.
Vom Heeres-Personalamt Mitte März 1945 als Vorsitzender Richter bei einer kriegsgerichtlichen Verhandlung gegen General der Panzertruppe Walter Fries nach Torgau befohlen, erfuhr Fretter-Pico, daß Hitler und Keitel ein Todesurteil erwarteten, weil sie Fries die Schuld am schnellen sowjetischen Durchstoß zur Oder im Januar 1945 anlasteten. Fretter-Pico stellte dagegen fest, daß nicht der hochdekorierte, durch außerordentliche Tapferkeit aus dem Unteroffizierkorps aufgestiegene General Fries die Katastrophe ostwärts der Oder verschuldet hatte, sondern die oberste Führung mit ihren wirklichkeitsfernen Befehlen. Er sprach General Fries frei, ungeachtet des Risikos, welches er damit für sich und seine Familie einging. Obwohl er schon eine Armee geführt hatte, mußte Fretter-Pico dann im April 1945 das IX. stellvertretende Generalkommando in Kassel übernehmen. Er sollte den Weser-Fulda-Abschnitt einschließlich Kassel halten und die Verbindung zum Ruhrkessel wieder herstellen. Im Einvernehmen mit der 11. Armee konnte Fretter-Pico seine Absicht verwirklichen, bis zum Waffenstillstand unter größtmöglicher Schonung der Truppe und Zivilbevölkerung zu operieren. Bad Lauterburg, Göttingen und andere Orte im vorgesehenen Operationsgebiet haben es vor allem den badischen Generälen Fretter-Pico und Hitzfeld zu danken, daß sie vor Zerstörungen in den letzten Kriegstagen verschont blieben. In amerikanischer Gefangenschaft arbeitete Fretter-Pico 1945 an einer Denkschrift deutscher Generäle für General Eisenhower und dann kriegsgeschichtlich in der „Historical Division“ mit. Von der Spruchkammer Stuttgart 1 wurde er 1948 als „nicht belastet“ eingestuft. Ab 1956 widmete sich Fretter-Pico in Berlin vor allem dem „Verband deutscher Soldaten“, der „Gesellschaft für Wehrkunde“ und, 1958-1968 als Vorsitzender, dem Soldatenverband „Kyffhäuser“. Sein Buch „Mißbrauchte Infanterie“, schon im Kriege geplant, „um der deutschen Infanterie als Trägerin der Hauptlast im Kampfe ein Denkmal zu setzen“, widmete er dann in überarbeiteter Form seinem einzigen Sohn Jürgen, dem letzten des Geschlechts, der als 16jähriger Luftwaffenhelfer seit Kriegsende vermißt ist.
Quellen: Nachlaß (NL 419) im BA-MA; Auskünfte von Fretter-Picos Tochter Gräfin von der Recke, Jagdhaus von der Recke, A-5742 Wald/Pinzgau
Werke: Die Operationen des Führungsstabes stellvertretendes Generalkommando IX vom 2.4.1945-22.4.1945, beginnend vom Fall Kassels bis in das Zentrum des Harzes (Generalslager Allendorf, März 1947, für „Historical Division“. Bundesarchiv-Militärarchiv, BA-MA, N 419/v. 4); Verhältnis Wehrmacht und Partei (Denkschrift, Oktober 1951. BA-MA, N 419/v. 19); Selbstbiographie ab 1.10. 1921 (handschriftlich, BA-MA, N 419/v. 34); Mißbrauchte Infanterie. Deutsche Infanterie-Divisionen im osteuropäischen Großraum von 1941-1944. Erlebnisskizzen, Erfahrungen und Erkenntnisse, 1957; Verlassen von des Sieges Göttern, 1969
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in Familienbesitz sowie in den Büchern „Mißbrauchte Infanterie“ und „Verlassen von des Sieges Göttern“

Literatur: Kurt von Tippelskirch, Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, 3. Aufl. 1956; Hans Kissel, Die Panzerschlachten in der Puszta im Oktober 1944, 1960; Walter Görlitz, Model. Strategie der Defensive. Von Rußland bis zum Ruhrkessel, 1975
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