Württemberg, Karl, König 

Geburtsdatum/-ort: 06.03.1823;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 06.10.1891;  Stuttgart; begr. in der Schlosskirche Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1846 Olga Nikolajewna, geb. von Russland
Eltern: Vater: König Wilhelm I. von Württemberg (27.9.1781-25.6.1864)
Mutter: Pauline, geb. Prinzessin von Württemberg (4.9.1800-10.3.1873)
Geschwister: Marie Friederike Charlotte (30.10.1816-4.1.1887)
Sophie Friederike Mathilde (17.6.1818-3.6.1877)
Katharina (24.8.1821-6.12.1898)
Auguste Wilhelmine Henriette (4.10.1826-3.12.1898)
GND-ID: GND/120210053

Biografie: Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen (Autor)
Aus: Lexikon Haus Württemberg, S. 319-323.

Die Erziehung und Bildung Karls entsprach dem hohen Anspruch Wilhelms I. an seinen Nachfolger. Es zeigte sich jedoch zur Enttäuschung seines Vaters bald, daß Karl diesen Anforderungen nicht genügte. Auf ein Jahr an der Kriegsschule in Ludwigsburg folgten ein zweisemestriger Besuch der Universität Tübingen (mit der Promotion zum Doktor der Philosophie) und danach noch ein Aufenthalt von zwei Semestern an der Universität Berlin. Unter den Tübinger Professoren sei Robert von Mohl herausgehoben, anerkannter Kommentator der Verfassung des Königreichs Württemberg, in dessen Haus Karl auch wohnte; für Berlin seien genannt: Leopold Ranke, Alexander von Humboldt und Bernhard Kugler, zu denen er auch in den folgenden Jahrzehnten Verbindung hatte. Sein geselliger Verkehr ging über den Kreis fürstlicher Verwandtschaft hinaus. Mit Bettina von Arnim diskutierte er über die Aufgaben von Monarchen, wobei sie meinte, Karl fehle in der für fürstliche Personen ohnehin schwierigen Zeit zur Verwirklichung seines idealen Strebens die Willensstärke – in dieser Ansicht stimmte sie mit dessem Vater überein. In Stuttgart lernte Karl im literarischen Zirkel seines Sekretärs Friedrich Wilhelm Hackländer, eines bekannten Schriftstellers dieser Zeit, Emanuel Geibel kennen, mit dem er politische Fragen erörterte.
1843 trat Karl als Prinz des Königlichen Hauses in die Erste Kammer des Landtags ein und wurde auf die ständische Verfassung vereidigt. Er nutzte seitdem die Möglichkeit, über wichtige Fragen des Königreichs mit zu beraten und damit erste Pflichten zu erfüllen, doch verhinderte die starke Persönlichkeit des Vaters, daß er hieraus eine eigenständige Haltung entwickelte. Ohne größere Bedeutung war sein schneller Aufstieg in der militärischen Hierarchie, der ihn binnen weniger Jahre 1853 zum Rang eines Generalleutnants führte, ohne daß wirklicher Dienst in der Truppe oder in Stäben Grundlage hierfür gewesen wäre. Ganz den Bereichen von Kunst und Wissenschaft zugewandt, hat Karl nie die Neigung zu einem kontinuierlichen Dienst in der Armee verspürt, wie er im 19. Jahrhundert für Prinzen regierender Häuser üblich war und durch den die hohe Stellung sich rechtfertigen ließ.
Die Heirat des Kronprinzen mit der Zarentochter Olga Nikolajewna erneuerte 1846 die mehrfache dynastische Verbindung der Häuser Württemberg und Romanow. Dieser Bund mit dem mächtigen russischen Zaren im Hintergrund konnte sich für das Königreich insgesamt nur günstig auswirken. Dagegen hatte die verwandtschaftliche Nähe zu den Königen von Preußen, Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., keinen größeren Nutzen.
Während der ersten – offenbar glücklichen – Ehejahre besuchte das Kronprinzenpaar die wichtigsten europäischen Höfe und Kulturstätten, während in Stuttgart mit den abschließenden Bauten am Kronprinzenpalais und dem Bau der Villa Berg die architektonischen Voraussetzungen für ein eigenständiges Wirken von Karl und Olga entstanden, das einmal an die Stelle des Hofes von Wilhelm I. treten mußte. Allerdings legte sich über die glücklichen Anfänge bald lähmend die Gewißheit der Kinderlosigkeit der Kronprinzessin. Der Ausweg, die Petersburger Nichte Wera 1863 nach Stuttgart zu holen, den Karl voll billigte und seine Beteiligung an ihrer „Adoption“ im Jahre 1870 konnte den Schicksalsschlag nur schwach abwehren.
Die politische Entwicklung Württembergs nach der Revolution von 1848/49 verfolgte Karl kritisch. In den außenpolitischen Fragen, die durch den wechselvollen Gang der europäischen Politik bestimmt wurden, war eine Festlegung nicht möglich und ihm fehlte auch jede Möglichkeit des Einwirkens; so teilte er die Grundanschauungen seines Vaters. Dagegen kritisierte er den innenpolitischen Kurs des Ministers Joseph Freiherr von Linden, der dem Wunsch des Königs entsprechend eine Wiederherstellung der meisten vorrevolutionären Verhältnisse, auch die Rückkehr zur alten Verfassung anstrebte und weitgehend Erfolg hatte. Kritisch sah Karl auch die restriktive Gesetzgebung gegenüber der Presse und dem Versammlungswesen, welche die Entwicklung des politischen Lebens hemmte und als ein Zeichen für die Verhärtung in der Politik des alternden Königs gewertet wurde.
Als Karl im Sommer 1864 die Regierung antrat, erfüllte er in gewisser Weise die Hoffnungen liberaler Kreise. Der stärkste und wirksamste Schritt war die Ablösung des Ministers Freiherr von Linden, der in seiner Gesamtpolitik der restaurativen Ära zuzurechnen war, die Wilhelm I. als Antwort auf die revolutionären Ereignisse für richtig gehalten hatte. Der Nachfolger Lindens, Karl Freiherr von Varnbüler, war ein vielseitig gebildeter, in der staatlichen Verwaltung und der Leitung eines industriellen Betriebs erfahrener Politiker, der als ritterschaftlicher Abgeordneter auch die Parlamentsarbeit kannte. Er erwies sich als eine glückliche Wahl des Königs, da er lange Zeit mit dessen Anschauungen übereinstimmte und den schwierigen außenpolitischen Entscheidungen, die zu erwarten waren, gewachsen schien.
Die Grundeinstellung der deutschen Politik, zu der Karl und die württembergische Regierung, aber auch Landtag und Volk Stellung zu nehmen hatten, war seit langem abzusehen gewesen; König Karl hatte nie einen Zweifel darüber gelassen, daß er die Entwicklung zu einem deutschen Nationalstaat begrüßte, daß er ihr zumindest nichts in den Weg legen werde. Im Streit um die nähere Ausgestaltung des künftigen deutschen Staates sah Karl Württemberg an der Seite Österreichs – wie große Teile der politisch aktiven Bevölkerung Württembergs, des Bürgertums, auch des Stuttgarter Hofs. Andererseits – die Entwicklung der nächsten Jahre ist in ihren Einzelheiten hier nicht darzustellen – setzte sich immer mehr die Einsicht durch, daß die geschichtliche Entwicklung dieser Jahre zugunsten Preußens sprach und den Widerstrebenden, zu denen auch König Karl zählte, Schritt für Schritt eine Entscheidung für Preußen abforderte – bis hin zu einem kleindeutschen Reich unter Preußens Führung und Ausschaltung Österreich-Ungarns.
Beim Ausbruch des Deutsch-Französischen Kriegs 1870 zögerte Karl nicht einen Augenblick, die württembergische Armee dem preußischen Oberbefehl zu unterstellen, versicherte danach aber dem französischen Gesandten in der Abschiedsaudienz unter Tränen, wie sehr er es bedaure, daß Württemberg und Frankreich nun im Krieg gegeneinander stünden. Als es im November 1870 darum ging, sich zu einem deutschen Bundesstaat zusammenzuschließen, war Karl der letzte Monarch, der seine Zustimmung gab, ja er entzog sich den Unterhändlern mehrere Tage lang, um möglichst viele württembergische Rechte zu erhalten. In den Jahren danach wurde Karl bewußt – und Königin Olga empfand hier in gleicher Weise wie er –, daß ihre Befürchtungen wegen des künftigen Entzugs wesentlicher Rechte und Aufgaben durchaus berechtigt gewesen waren. Besonders deutlich war dies in den auswärtigen Beziehungen, für die Württemberg nur mit wenigen nichtdeutschen Staaten Gesandtschaften weiterführte. Die den Bundesfürsten zugestandene Mitsprache im Bundesratsausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat Karl ebenso wenig intensiv wahrgenommen wie die anderen Regierungen, wobei die überlegene Führung der Geschäfte durch Bismarck den Verzicht nahelegte, doch wurde hier ein Recht preisgegeben, das in der Spätphase des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg für eine sorgfältige und sachkundige auswärtige Politik fehlte. Für den Monarchen war besonders spürbar der Übergang eines großen Teils der Gesetzgebung an das Reich; die Beratung im Bundesrat war kein ausreichender Ersatz für jemanden, der für die gleichen Gegenstände in der Gesetzgebung das ausschließliche Initiativrecht gehabt hatte. Im Vergleich dazu fiel die Übertragung militärischer Kompetenzen an den Bundesfeldherrn weniger ins Gewicht und leuchtete ein: für den Oberbefehl im Kriege mußten schon im Frieden die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Angesichts dieser Ausschaltung aus den wesentlichen Funktionen resignierte Karl und zog sich weitgehend aus den Geschäften zurück. Die Arbeit des Ministerpräsidenten Freiherr von Mittnacht im Bundesrat und im Reichstag genügte nicht als Ersatz. König Karl suchte sich Aufgaben, mit denen er Württemberg in besonderer Weise dienen wollte. Die von ihm schon bisher mit besonderem Ernst ausgefüllte Stellung als Summepiskopus der württembergischen evangelischen Kirche bot ihm die Möglichkeit, mit der Erinnerung an Herzog Christoph und Herzog Ulrich dem Lande eine besonders wertvolle Tradition vor Augen zu führen. Das 400jährige Jubiläum der Universität Tübingen gab ihm Gelegenheit, sein Interesse für die Wissenschaft zu bekunden. Die Zusammenarbeit mit Königin Olga auf den Gebieten der Krankenpflege, der sozialen Fürsorge, der Behindertenpflege und der Erziehung der weiblichen Jugend verstärkte er nun zu dem Eindruck, daß diese Bereiche eine gemeinsame Aufgabe des Königpaares seien. In dem gemischt-konfessionellen, ursprünglich ganz durch die evangelische Kirche geprägten Königreich lagen ihm die Rechte der Katholiken besonders am Herzen, so daß er dem Ausbau ihrer Rechtsstellung besondere Sorgfalt widmete und dem Land einen „Kulturkampf“ ersparte. Ähnliches galt für Einrichtungen der Sozialpolitik.
In seinem sechsten Lebensjahrzehnt war Karls Lebensführung durch zunehmende Kränklichkeit gekennzeichnet, der er auf Rat der Ärzte durch Klimawechsel abhelfen oder vorbeugen wollte. Innerhalb Württembergs bot Friedrichshafen günstige Verhältnisse, doch bald bevorzugte Karl die französische Riviera, vor allem Nizza.
Die häufige Abwesenheit Karls von der Residenz – zunächst mit Verständnis für die gesundheitliche Notwendigkeit erklärt und hingenommen, bald aber als Vernachlässigung der Regentenpflichten kritisiert – führte zu einer gewissen Entfremdung zwischen Monarch und Volk – ein Verhältnis, dem wegen einer gewissen Menschenscheu des Königs die Herzlichkeit gefehlt hatte. So wurde schließlich das Jahr 1868 für Karl überschattet durch Vorwürfe gegen sein persönliches Verhalten, das sich aus seinen im Alter stärker hervorgetretenen homophilen Neigungen entwickelt hatte. Ein seit 1883 als Vorleser des Königs angestellter junger Amerikaner hatte durch extreme Forderungen (Standeserhöhungen, Kammerherrenwürde) und anmaßendes Verhalten gegen Persönlichkeiten in der Umgebung des Königs Kritik auf sich gelenkt. Von der Presse angegriffen und Gegenstand diplomatischer Korrespondenz bildeten diese Verhältnisse die Grundlage eines schweren Konfliktes zwischen König und Ministerpräsident, der angesichts beiderseitiger Unnachgiebigkeit zur Staatskrise zu werden drohte, die erst durch eine Intervention des Reichskanzlers und des württembergischen Thronfolgers mit der Entlassung des Günstlings beendet wurde.
Einen versöhnlichen Abschluß erhielt die Regierungszeit Karls im Sommer 1889. Der Blick auf fünfundzwanzig Jahre eines „milden“ und „gütigen“ Regiments wurde verknüpft mit einer befriedigenden Gesamtschau auf die württembergische Geschichte im 19. Jahrhunderts, in dem sich auf kleinagrarischen Verhältnissen eine blühende Wirtschaft mit vorbildlichem Eisenbahnnetz entwickelt hatte. Der Anteil Karls hieran wurde, wenn auch vorwiegend durch Gewährenlassen, hoch eingeschätzt: seine glückliche Auswahl der leitenden Minister, zunächst des jüngeren Varnbüler, dann vor allem Mittnachts, der sowohl im Lande als auch in der Reichshauptstadt das Hineinwachsen des Bundesstaats Württemberg in den Nationalstaat Deutsches Reich – geschickt und durchaus auf den Vorteil Württembergs bedacht – erreicht hatte.
Quellen: HStA Stuttgart, E- und G Bestände.
Nachweis: Das Haus Württemberg: ein biographisches Lexikon / hrsg. von Sönke Lorenz ... In Zusammenarbeit mit Christoph Eberlein ... und dem Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Stuttgart; Berlin; Köln 1997

Literatur: Günther Franz (Hrsg.), Deutsche Führungsschichten der Neuzeit Bd. 14 (Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1980), Boppard 1983.
NDB 11 (1977), S.269f.
Georg H. Kleine, Der württembergische Ministerpräsident Frhr. Herrmann von Mittnacht (1825–1909), Stuttgart 1969.
Dieter Langewiesche (Hrsg.), Das Tagebuch Julius Hölders 1877-1880, Stuttgart 1977.
Eugen Mack, König Karl I. von Württemberg und die deutsche Frage, Rottenburg 1925.
Eberhard Naujoks, Württemberg im diplomatischen Kräftespiel der Reichsgründungszeit (1866/70). Zur Problematik der deutschen Politik des Freiherrn von Varnbüler, in: ZWLG 30 (1971), S. 201–240.
ADB 51 (1971), S. 57-65.
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