Die Industrialisierung der Lebensmittelherstellung im deutschen Südwesten

Werbeplakat der Zichorienkaffee-Fabrik Heinrich Franck und Söhne in Ludwigsburg, 1911, Quelle: Landesarchiv BW, StAL PL 4 Ae 11b 01
Werbeplakat der Zichorienkaffee-Fabrik Heinrich Franck und Söhne in Ludwigsburg, 1911, Quelle: Landesarchiv BW, StAL PL 4 Ae 11b 01

Es ist gar nicht so leicht, eben mal fünf Lebensmittel aus Baden-Württemberg zu nennen, denn viele regionale Marken, die wir noch in unserer Jugend kannten, sind schlicht verschwunden. Aber auch Markennamen wie Maggi, Knorr oder Birkel gehören mittlerweile internationalen Lebensmittelkonzernen wie Nestlé, Unilever oder Kraft Foods.

Es begann alles damit, eine Methode für die Konservierung großer Mengen an Nahrung für die Armeen von Frankreich und England zu finden. Um 1810 lagen zwei unterschiedliche Lösungen vor: Der französische Koch Nicolas Appert füllte die sterilisierte Nahrung in Glasflaschen, die luftdicht abgeschlossen und ähnlich stabil wie Champagnerflaschen waren. In England präsentierte Peter Durand eingemachte Speisen in verlöteten Blechbehältern. In Produktion ging die Konservendose erstmals 1813 in England. In Deutschland setzte sich die britische Methode ab 1845 durch. Der Braunschweiger Klempnermeister Heinrich Züchner konservierte erstmals Spargel in selbst gefertigten Blechdosen, von denen sich mit Blechschere, Hammer und Lötlampe etwa fünf Stück pro Stunde herstellen ließen. Im Großherzogtum Baden war es die Schwetzinger Firma Max Bassermann & Cie., gegründet 1875, die Spargel-, Bohnen-, Erbsen- und andere Gemüsekonserven produzierte. Die Dosen wurden von Hand verlötet und auf 100° C erhitzt.

Um 1900 wurden in den Konservenfabriken zusätzlich Blanchierkessel, Sterilisieröfen, Dosenverschlussmaschine und Etikettiermaschine eingesetzt, um eine schnellere und höhere Produktion zu ermöglichen. Doch der Ruf der Dosenkonserven war bis in die 1920er Jahre nicht der beste: Zu teuer, nicht besonders appetitlich und man wusste nicht, was eigentlich drin war.

Auch bei den aus Hülsenfruchtmehlen (Leguminose) hergestellten Tütensuppen zogen die Verbraucher nicht so mit, wie sich die Erfinder das vorgestellt hatten. Dabei sollten die Leguminosesuppen ein Ersatz für eiweißreiche Nahrung sein, an der es bei armen und kinderreichen Bevölkerungsschichten mangelte.

Die Renner der frühen Lebensmittelindustrie waren denkbar einfache Produkte, die ihren Erfolg der Idee der portionierten und abgepackten Menge sowie der Werbung und dem Vertriebssystem verdankten: Etwa das zunächst über Apotheken vertriebene, aus zermahlenem Zwieback, Zucker und Milchpulver hergestellte und in Dosen abgepackte Kindermehl von Nestlé, die im Heer erprobte und im Zivilleben weiter goutierte Erbswurst (ein getrocknetes Konzentrat aus Erbsenmehl mit Speck- und Gewürzanteil in Wurstform), der Brühwürfel und die Speisewürze von Maggi, das für 500 gr. Mehl portionierte und in Tütchen verpackte Treibmittel Backin von Dr. Oetker oder Liebig's Fleischextrakt, eine aus Rindfleisch hergestellte Paste, die zunächst als Kraftbrühe für Kranke gedacht war.

Neben den Gemüsekonserven von regionaler Provenienz wie Bassermann oder Hengstenberg zählten verpackte Trockenprodukte wie Nudeln (Schüle, Zabler und Birkel), Hafermehle wie Hohenlohe und Kaffeesurrogate wie Franck Zichorienkaffee zu den Erzeugnissen der frühen südwestdeutschen Lebensmittelindustrie. Die ersten Konservenfabriken siedelten sich auf dem Land in unmittelbarer Nähe zum Rohstoff an. So sparte man Transportwege und konnte der Bevölkerung eine Verdienstmöglichkeit anbieten. Der Absatz erfolgte über die kleinen Lebensmittelläden in der Region. Ein Beispiel ist das Unternehmen Hengstenberg in Esslingen am Neckar, das Richard Alfried Hengstenberg 1876 gründete. Die verarbeiteten Gemüse stammen auch heute noch zu 90 Prozent aus dem Umland von Esslingen.

Die ersten Nudelfabriken gingen aus kleinen Betrieben hervor, etwa aus einer Bäckerei wie Schüle in Plüderhausen (1854) oder aus einem Fachhandel für Müllereiprodukte, wie etwa Birkel in Schorndorf (1874). Wiederum war es die Zeitersparnis, die badische und schwäbische Hausfrauen zu den portionierten Fertignudeln greifen ließ. 2010 standen in der Lebensmittelbranche in Baden-Württemberg – gemessen an der Anzahl der Betriebe – die Hersteller von Back- und Teigwaren an erster Stelle, gefolgt von den Fleischereien. An dritter Stelle allerdings mit weniger als 200 Betrieben standen die Mahl- und Schälmühlen bzw. die Hersteller von Stärkeerzeugnissen, die Ölmühlen, die Molkereien und die Obst- und Gemüseverarbeitung mit 120 Betrieben.

Angesichts der weltweit steigenden Rohstoffpreise und Personalkosten wird der Schrumpfungsprozess bei den mittelständigen Betrieben hin auf wenige Großkonzerne auch zukünftig anhalten.

 Kai Budde

Quelle: Archivnachrichten 53 (2016), S.4-6.

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