Heinsheim
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
Bis 1806 war der größere, evangelische Teil des Dorfes Heinsheim im Besitze der Familie von Racknitz, der kleinere, katholische Teil gehörte dem Deutschorden. 1806 fielen beide Teile an Baden.
Im Jahre 1681 sind erstmals Juden in Heinsheim erwähnt. Da es sich bereits um neun Familien handelt, ist anzunehmen, dass die ersten von ihnen schon geraume Zeit ansässig waren. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs ihre Zahl weiter an. Dann nahm sie durch Abwanderung in die Industriestädte allmählich wieder ab. 1825 zählte die jüdische Gemeinde 100 (11,9 Prozent von 838 Einwohnern) Seelen.
1836 war mit 118 Seelen die höchste Zahl erreicht. 1875 wohnten 72, 1900 82 und 1925 21 Juden in Heinsheim. Im Ersten Weltkrieg fielen Heinrich Strauß und Karl Zeilberger.
Seit 1827 gehörte die israelitische Gemeinde Heinsheim zum Rabbinatsbezirk Mosbach. Schon 1796 hatte sie sich in der Ortsmitte an der Schlossgasse eine eigene Synagoge erbaut. Der Friedhof wurde schon bei der Entstehung der Gemeinde im 17. Jahrhundert angelegt. Er liegt auf der Höhe Zimmerhof, etwa 3 Kilometer außerhalb der Ortschaft an der Grenze zwischen den ehemaligen Ländern Baden und Württemberg. Mit einer Fläche von über einem Hektar ist er einer der größten jüdischen Verbandsfriedhöfe Süddeutschlands, auf dem im Laufe von Jahrhunderten weit über tausend Israeliten aus vielen Gemeinden in Baden und Württemberg ihre letzte Ruhe gefunden haben. Während des Dritten Reiches sollte die politische Gemeinde den altehrwürdigen Friedhof erwerben, einebnen und landwirtschaftlich nutzen. Nach langem Widerstreben von Seiten der Gemeinde wurde 1944 zwischen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und der Gemeinde Heinsheim ein Kaufvertrag abgeschlossen, der jedoch im Grundbuch nicht eingetragen wurde. Die Gräber wurden nicht angetastet. Nicht einmal das schmiedeeiserne Tor wurde abmontiert und der Verwertung für Rüstungszwecke zugeführt, wie es befohlen worden war.
Ottenheimer, Strauß und Zeilberger waren die alteingesessenen Familien. Ein Jude besaß ein Lebensmittelgeschäft . Die anderen ernährten sich hauptsächlich vom Handel mit Vieh, Pferden und teilweise mit Textilien in den umliegenden Landkreisen. Gleich den übrigen Einwohnern lebten sie in bescheidenen Verhältnissen. Nur der Pferdehändler Jakob Strauß, der nebenher eine Weinschenke betrieb, war etwas wohlhabender.
In Heinsheim kam es nach 1933 zu keinen Ausschreitungen gegen die Juden. Eugen Ottenheimer war sogar mit einem SA-Sturmbannführer befreundet. Da aber nach 1935 die jüdischen Viehhändler immer seltener Geschäfte abschließen konnten, verkaufte auch in Heinsheim eine Familie nach der anderen ihr Eigentum und wanderte aus. Von den 24 Juden, die bei der Volkszählung 1933 erfasst wurden, und 4 späteren Zuzüglern fanden 16 in Argentinien, der Schweiz, den USA und Palästina eine neue Heimat. 2 starben bis 1937. Am 8. November 1937 wurde wegen der geringen Seelenzahl die Isralitische Religionsgemeinde Heinsheim aufgelöst. Das rituelle Bad war schon 1935 an die katholische Kirchengemeinde veräußert worden. Ein Teil der Synagoge wurde 1936, der Hauptteil 1938 verkauft. In der Kristallnacht im November 1938 gab es weder eine Synagoge noch jüdische Geschäfte zu zerstören. Die von auswärts gekommenen organisierten SA-Leute mussten in fünf jüdischen Haushaltungen Fenster, Mobiliar und Hausrat zerschlagen, um ihrer „spontanen" Empörung über die Ermordung des Gesandtschaftsrats vom Rath Ausdruck zu verleihen. Menschen wurden dabei nicht angegriffen. 1939 lebten nur noch 6, 1940 4 Juden in Heinsheim. Moses Ottenheimer, seine Tochter Hedwig und seine Enkelin Anna Freudenthaler wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Die 15jährige Anna wurde bald aus dem Lager befreit. Ihr Großvater starb 1942 im Lager Rivesaltes. Ihre Mutter Hedwig Freudenthaler wurde im gleichen Jahr in Auschwitz ermordet. Annas 14jährige Schwester Hilde wurde von Heilbronn aus 1942 nach Theresienstadt deportiert. Über Auschwitz und Buchenwald kam sie später nach Bergen-Belsen, wo sie am 25. April 1945 befreit wurde. 1946 wanderte sie nach den USA aus. Von den 6 nach 1933 aus Heinsheim verzogenen Juden starben 3 in Auschwitz, Theresienstadt und Recebedou.
In Heinsheim leben heute keine Juden. In der ehemaligen baufälligen Synagoge befindet sich eine Reparaturwerkstätte. Der jüdische Friedhof im Gewann Schlierbach wurde 1954 mit Bäumen und Ziersträuchern neu bepflanzt.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Festschrift zur Tausendjahrfeier der Gemeinde Heinsheim am Neckar, 1956.
- Neuwirth, Gustav, Geschichte des Dorfes Heinsheim, 1954.
Ergänzung 2023:
2012 gründete sich ein Verein zur Erhaltung der Synagoge. Dieser erwarb das alte Gebäude 2013 und leitete dessen Renovierung in die Wege.
Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Heinsheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 101-109.
- Die Ehemalige Synagoge in Heinsheim. Eine Leidens- und Überlebensgeschichte, 2017.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Petzold, Rudolf, Die Jüdische Gemeinde Heinsheim, in: Bad Rappenauer Heimatbote Nr. 26 (Heimatgeschichtliche Veröffentlichung des Heimat- und Museumsvereins Bad Rappenau sowie der Stadt Bad Rappenau, 25. Jg) 2015, S. 73-81.
- Rothenhöfer, Michael, „Förmliche Kirchenfenster“ für eine „nur tolerierte Sekte“. Die Synagoge von Heinsheim am Neckar und ihre Schicksale, in: Kraichgau 14 (1995), S. 151-164.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 319-320.