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„Die Macht des Gesanges“

Lieder für Demokratie und Miteinander

Ansicht gegen Plochingen und die Alb um 1820 , Grafik von Carl Dörr, Quelle: Württembergische Landesbibliothek, Graphische Sammlung Schef.qt.6154 

Am 4. Juni 1827 fand in Plochingen das erste schwäbische Liederfest statt, eine große Veranstaltung mit rund zweihundert Sängern und vielen weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Als der Esslinger Lehrer und Historiker Karl Pfaff (1795-1866) seine berühmte, politisch ausgerichtete Festrede hielt, kam das zwar unerwartet aber nicht überraschend. Längst hatten sich Forderungen nach Mitbestimmung und Verbesserung der sozialen Verhältnisse erhoben, die nicht mehr zu unterdrücken waren. Eine Schlüsselstellung kam dabei den Vereinen zu, die den Rahmen boten um sich auszutauschen und zu organisieren. Gesangsvereine  eröffneten außerdem die Möglichkeit, Inhalte über Liedtexte zu vermitteln, ein Vorteil gegenüber den ebenfalls politisch aktiven Turn- und Schützenvereinen.

Singen war „in“ und schon der allseits verehrte Schiller hatte 1796 in seinem Gedicht „Die Macht des Gesanges“ verkündet: „Wer kann des Sängers Zauber lösen/Wer seinen Tönen widerstehn?“ In seiner Rede ging Karl Pfaff zwar nicht direkt darauf ein, doch nahm er Passagen aus anderen Liedern und Gedichten auf, die die Anwesenden aufhorchen ließen. Zitate aus Gustav Schwabs „Der Gesang“ bildeten den Kern seiner Botschaft: „Niedersinken vor des Gesanges Macht der Stände lächerliche Schranken/Eine Familie, vereint in Eintracht, Freude und Begeisterung bildet der ganze Chor.“ Deutlicher ging es fast nicht.

Auch andere Schriftsteller wie Wilhelm Hauff hatten sich gesellschaftskritisch geäußert. Wesentliche Impulse für das südwestdeutsche Sangeswesen kamen jedoch aus der Schweiz. Der Zürcher Musikpädagoge, Komponist und Verleger Hans Georg Nägeli hatte 1824 den „Appenzellischen Sängerverein“ ins Leben gerufen. Eine Vortragsreise durch Süddeutschland im selben Jahr führte ihn auch nach Stuttgart. Hier trafen seine Ideen auf langgehegte Wünsche und Hoffnungen, denn Nägelis Vorstellungen reichten weit über die bloße Freude am Singen hinaus. Der Chorgesang, erst recht mit den entsprechenden Liedtexten, sollte verbindend, geradezu völkerverbindend und „demokratisch“ wirken. Gleich 1824 wurde der erste „Liederkranz“ in Stuttgart gegründet, der seinen Namen in Abgrenzung zur norddeutschen „Liedertafel“ erhielt. Als weiterer zentraler Begriff der Bewegung wirkte sich die „Eintracht“ namensgebend bei den Vereinsgründungen aus.

Und noch ein Ereignis der Musik- und Chorgeschichte fiel ins Jahr 1824. Am 7. Mai, rund einen Monat vor den Ereignissen in Plochingen, war in Wien die berühmte 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens uraufgeführt worden. Mit der Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“, dargebracht von Solo- und Chorsängern im vierten Satz, hatte der Komponist die erste bekannte Sinfoniekantate geschaffen.

„Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt.“

Zu den zahlreichen, nach 1824 entstandenen Gesangsvereinen gehört der Liederkranz in Esslingen, der 1827 von Karl Pfaff mitbegründet wurde. Das erste Schwäbische Liederfest in Plochingen leitete viele weitere ein, auf denen Pfaff für Einheit, Recht und Freiheit in ganz Deutschland sprach. Er war 1831 Mitbegründer der Esslinger Bürgergesellschaft und federführend bei der Entstehung des Schwäbischen Sängerbunds, zu dem sich die südwestdeutschen Gesangsvereine 1849 zusammenschlossen. 

Zum Weiterlesen:

  • Einen ausführlichen Beitrag zu Karl Pfaff und der Sängerbewegung finden Sie im Portal „Demokratie geschichten“ (Teil I und II - externe Links)
  • Eindrücke von Liederfesten, wie dem an Pfingsten 1840 in Heilbronn, wurden gerne bildlich festgehalten

 

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