null

Was sind Spruchkammerakten?

Spruchkammerakten entstanden im Zuge der Entnazifizierungsverfahren nach 1945 und versammeln verschiedene Dokumente, die unter anderem Auskunft über persönliche Daten, die berufliche Laufbahn, Aktivitäten in nationalsozialistischen Organisationen und die jeweilige Einstufung nach dem „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946 als Entlasteter, Mitläufer, Minderbelasteter, Belasteter oder Hauptschuldiger geben. Die Einstufung war — mit Ausnahme der Kategorie Entlasteter — mit entsprechenden Sanktionen versehen, die von einfachen Geldstrafen bis hin zur Haft im Arbeitslager reichten.

Die Spruchkammern waren auf Grund der Menge an Meldebögen jedoch ständig überlastet. Die Auswertung der 13 Millionen abgegeben Bögen blockierte monatelang die eigentliche Arbeit der Spruchkammern und für eine intensive Bearbeitung eines schweren Falles blieb kaum Zeit. Zudem wurden erst die leichteren Fälle bearbeitet, da dort die Beweislage eindeutiger schien und vor allen Dingen die Masse der von den Amerikanern entlassenen Mitläufer auf eine rasche Wiedereinstellung hoffte. So passierte es, dass die komplizierten, schweren Fälle erst später bearbeitet wurden und die Betroffenen aufgrund einer veränderten weltpolitischen Lage milder behandelt wurden. Diese Praxis erregte allgemein großen Unmut. In einer Umfrage im Jahre 1949 sprachen sich mehr als 70 % der Bevölkerung gegen Entnazifizierung aus.

Der beginnende Kalte Krieg ließ die Entnazifizierung lange vor ihrem Ende endgültig erstarren. Die Kammern stellten zum 31. Oktober 1953 ihre Tätigkeit ein, nachdem schon ab Ende Juli 1953 neue Verfahren gar nicht mehr eröffnet worden waren.

Spruchkammerakten stellen insbesondere für die lokale und regionale zeitgeschichtliche Forschung als auch für Familienforscher unverzichtbare Quellen dar, um Lebensdaten und weiterführende Informationen zu Biographien im Zeitraum zwischen 1931 und der Nachkriegszeit zu ermitteln. Insbesondere die Angaben des Betroffenen im Fragebogen bieten zahlreiche biographische Details, jedoch können auch die in den beigefügten Leumundszeugnissen genannten Details zum Handeln und Wirken des Betroffenen während der NS-Zeit wertvolle Informationen über die Lebensumstände liefern. Gleichzeitig sind gerade diese Dokumente und alle jene darin enthaltenen Informationen, welche auf eine NS-Belastung hindeuten könnten, als im Wahrheitsgehalt problematisch anzusehen und daher einer genauen Quellenkritik zu unterziehen. Nicht selten wurden im Fragebogen Angaben zu Mitgliedschaften in NS-Organisationen, zum politischen Wirken und den Einkommensverhältnissen weggelassen, beschönigt oder gänzlich gefälscht. Noch problematischer sind die Aussagen zum Betroffenen in den in den meisten Akten mehr oder weniger zahlreich enthaltenen sogenannten „Persilscheinen“, wie die Leumundszeugnisse bald im Volksmund genannt wurden. Hierin wurde dem Betroffenen häufig nicht sein Handeln während der NS-Zeit, sondern vielmehr sein Nicht-Handeln im Sinne der NS-Ideologie bescheinigt, etwa kritische Äußerungen Dritter nicht gemeldet bzw. einen politischen Gegner nicht verfolgt zu haben oder nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein. Ausgestellt wurden diese Persilscheine nicht nur von Freunden, Bekannten und Nachbarn, sondern auch von Personen des öffentlichen Lebens wie Geistlichen und Lehrern sowie von nachgewiesenen NS-Gegnern und NS-Verfolgten. Daher geben diese zeittypischen Dokumente wesentlich mehr über die Nachkriegsgesellschaft mit ihren alten und neuen Netzwerken und der sich rasch ausbreitenden Ablehnung einer Auseinandersetzung mit persönlicher und kollektiver Schuld preis, und weniger Auskunft über das tatsächliche Handeln Einzelner in der Zeit des Dritten Reichs.

Mehr über die Spruchkammerakten erfahren Sie auch in den Artikeln zu den Entnazifizierungsakten im LEO-BW-Themenmodul "Südwestdeutsche Archivalienkunde" sowie im Themenzugang des Staatsarchivs Ludwigsburg.

00

More Blog Entries

thumbnail
thumbnail
Suche

LEO-BW-Blog

Logo LEO-BW-Blog

Herzlich willkommen auf dem LEO-BW-Blog! Sie finden hier aktuelle Beiträge zu landeskundlichen Themen sowie Infos und Neuigkeiten rund um das Portalangebot. Wir freuen uns auf Ihre Kommentare zu den einzelnen Posts.

Über den folgenden Link können Sie neue Blog-Beiträge als RSS-Feed abonnieren: 

https://www.leo-bw.de/web/guest/blog/rss