Stürme, Wolkenbrüche, Seuchen

Die Unwetterkatastrophe vom 31. Juli 1508 in Stuttgart

David Wolleber, Württembergische Chronik, mit Berichten zu den Jahren 1507 und 1508 (Ausschnitt). Vorlage LABW (HStAS J 1 Bd. 2, S. 754).
David Wolleber, Württembergische Chronik, mit Berichten zu den Jahren 1507 und 1508 (Ausschnitt). Vorlage LABW (HStAS J 1 Bd. 2, S. 754). Zum Vergrößern bitte klicken.

Anno 1508, Montags den 31. Julii, am tag Hermanni, kam gegen Abend zwischen 3 und vier Uhr unversehens ein solch Regenwaßer durch ein Wolkckenbruch dz Heßlacher thal herab gehn Stuttgarten, dz es selbiges gar überschwempt, und von einem Berg zum andern gieng, und gar vil Heüser, Scheüren und Ställ vor und in St. Leonharts Vorstatt zerrißen und sampt einem Stuck der ußern Stattmauren unden hinweg genommen; in wölcher waßernott 11 persohnen, Alt und Jung, jämerlich umbkommen und ertruncken. Dergleichen schad soll Stuttgarten nichmehl begegnet sein …

So berichtet der württembergische Chronist Johann Jakob Gabelkover (1578–1635) in seiner Chronik von Stuttgart. Eine Unwetterkatastrophe, wie sie Stuttgart nicht mehr erleben sollte, hatte dieser 31. Juli des Jahres 1508 gebracht. Im Heslacher Tal war gegen Abend ein solcher Wolkenbruch niedergegangen, dass der ganze Stuttgarter Talkessel, von einem Berg zum andern, binnen kürzester Zeit überflutet war. Häuser, Scheunen und Ställe vor allem in der Leonhardsvorstadt wurden zerstört, ein großes Stück der Stadtmauer wurde weggerissen. Elf Personen ertranken in der Flut – ein furchtbares Unglück für die ganze Bürgerschaft. Andere Geschichtsschreiber wissen noch weitere Details von dieser Flutkatastrophe zu berichten, die bei ihren Zeitgenossen mächtigen Eindruck hinterlassen haben muss. Gabelkover und andere sammelten hierzu die zeitnahen Berichte, wie sie die älteren lateinischen Chroniken boten. Denn diese alten Gelehrten, wie Nikolaus Baselius (um 1470–um 1532), der Humanist und Hirsauer Mönch, mussten es wissen, wenn sie beschrieben, wie die Wassermassen die Häuser in der Stadt im Nu volllaufen ließen, wie die nahen Weinberge und Viehweiden über­ flutet, die Bäume entwurzelt und weggerissen wurden. Ein Reimspruch zur Stuttgarter Katastrophe wurde in Pforzheim sogar als Flugblatt gedruckt und weit verbreitet. Die Naturgewalt erregte Aufsehen weit über Württemberg hinaus.

Wie ging man mit einer solchen Katastrophe um? Hier war breite Unterstützung gefragt. Gleich erließ Herzog Ulrich von Württemberg den Stuttgarter Einwohnern die Jahressteuer, damit sie die Unwetterschäden beseitigen und ihre Gebäude wiederaufbauen konnten. Dazu kam eine Welle der Hilfsbereitschaft aus den benachbarten Klöstern und Städten: nachbarliche Hilff mit pferdten, leuthen, früchten und anderm, wie Gabelkover weiß. Fuhrwerke mit Hilfsmannschaften zum Aufräumen und Nahrungsmittel wurden gestellt. Die Unwetterschäden in der fürstlichen Residenzstadt Stuttgart konnten so mit nachbarlicher Hilfe bald beseitigt werden, aber die kollektive Erinnerung an diese Umweltkatastrophe und ihre gemeinsame Bewältigung blieb lange erhalten.

Im umwelthistorischen Kontext wird die Be sonderheit des Ereignisses deutlich: Hochwasser und Überflutungen des Nesenbachs waren in Stuttgart immer wieder aufgetreten, und noch 16 Jahre zuvor, 1492, hatte ein Wolkenbruch das Tal überschwemmt; aber ohne vergleichbare Folgen. Mit Blick auf die längerfristigen Witterungserscheinungen dieser Jahre um 1500 fällt die damalige Anhäufung der Wetterextreme durchaus auf, wie etwa die württembergische Chronik von David Wolleber von 1588 berichtet:

Inn gemeltem Jar  [1507] Entstuende der gross Wind in Teutschland, der Riss nit allein viel Boum uß deer Erden, viel gepew und heusser darnider, sonder decket auch Thürm und Tächer ab. So erfolget Anno etc. 1508 der Naß Summer, und darauff ain grosser Vieh und schwein sterbendt …

Auf ein Jahr mit schweren Sturmschäden in ganz Deutschland folgte dieser nasse Sommer 1508, der eine große Vieh- und Schweineseuche zur Folge hatte. Es war aber vor allem die Un­ wetterkatastrophe vom 31. Juli in Stuttgart, die im Gedächtnis bleiben sollte.

Peter Rückert

Quelle: Archivnachrichten 60 (2020) S. 14-15.
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