Arbeitervereine - Vorläufer von Gewerkschaften und Parteien

Plakat mit Warnhinweisen für die Arbeit an Feinspinnmaschinen, 1870er Jahre – Quelle LABW (HStAS E 146 Bü 6089, Bild 2)
Plakat mit Warnhinweisen für die Arbeit an Feinspinnmaschinen, 1870er Jahre – Quelle LABW (HStAS E 146 Bü 6089, Bild 2)

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der in Fabriken oder Manufakturen beschäftigten Arbeiter und Handwerksgesellen langsam aber stetig zu. Neben den auf parlamentarischer Ebene und im bürgerlichen Milieu zeitgleich geführten Diskussionen über eine politische Teilhabe des Dritten Standes an der Gesellschaft, die Form dieser Teilhabe und den dazu zu beschreitenden Weg, artikulierten sich die sozialen und politischen Hoffnungen des Vierten Standes in anfänglich bescheidener, nichtsdestotrotz unüberhörbarer Art und Weise. Mitte der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts waren so in ganz Deutschland verstreut und unter unterschiedlichen Vorzeichen Arbeiter- und Arbeiterbildungsvereine entstanden. Gehör fanden diese in erster Linie beim linken Flügel des Liberalismus, der recht früh als eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Reformen im politischen System eine Änderung in der Sozial- und Wirtschaftsverfassung der Gesellschaft erkannt hatte.

Zu den ersten Zusammenschlüssen von Arbeitern in Südwestdeutschland kam es in Mannheim. Dort hatte sich schon im Jahre 1844 – möglicherweise Bezug nehmend auf schon in den 30er Jahren gegründete Vereinigungen von deutschen Arbeitern und Gesellen im benachbarten Ausland – ein Gesellenverein gebildet, der sich der Unterstützung von reisenden Handwerksgesellen verschrieben hatte. Der Ort des Zusammenschlusses war sicher kein Zufall, gehörte doch Mannheim als Endpunkt der Rheinschifffahrt und mit seiner Eisenbahnstation zu den prosperierendsten Handels- und Gewerbestädten des Großherzogtums Baden. Seine rasante wirtschaftliche Entwicklung hatte ein liberales Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum entstehen lassen, das in Stadt und Land nach aktiver politischer Betätigung und Teilhabe an der Macht strebte. Die dort schon entwickelten industriellen oder zumindest protoindustriellen Produktionsformen hatten jedoch auch erste Ansätze eines Industrieproletariats hervorgebracht und damit die Diskussionen über dessen zukünftigen Platz im gesellschaftlichen Miteinander. Dass unter diesen Rahmenbedingungen der Mannheimer Gesellenverein, wie alle liberalen oder sozialistischen Arbeiterbildungsvereine, von einer Einrichtung zur Unterstützung und gegenseitigen Bildung der Handwerker und Arbeiter schnell zu einem politischen Verein mutierte, der Bildung, Unterstützung, auskömmlichen Lohn und erträgliche Arbeitsbedingungen als gesamtgesellschaftlichen Anspruch und Verpflichtung erhob, verwundert nicht. Schließlich hatte er in Friedrich Hecker und Gustav Struve zwei Protagonisten des linken Flügels der Liberalen als Unterstützer gefunden, die sich als sociale Democraten verstanden und die Integration des Vierten Standes in die Gesellschaft und dessen soziale und rechtliche Sicherstellung auf ihre politischen Fahnen geschrieben hatten. Grund genug, die staatlichen Überwachungsbehörden auf den Plan zu rufen, die generell alle vereinsmäßigen Zusammenschlüsse, mit besonderer Akribie jedoch die politisch ausgerichteten Vereine kontrollierten und beobachteten. Der Beobachtung unterlagen selbst die Gesellenvereine, die auf konfessioneller Grundlage ebenfalls in den 1840er Jahre entstanden waren, zielte doch deren Intention, an der Lösung sozialer und gesellschaftlicher Probleme teilzuhaben, in dieselbe Richtung.

Schon früh suchten alle Gesellenvereine, sich untereinander zu vernetzen und den Zusammenschluss auf nationaler Ebene zu realisieren. Dies gelang den katholischen Gesellenvereinen, seit 1847 mit ihrem Motor Adolph Kolping an der Spitze, mit nachhaltiger Wirkung bis heute. 1848 entstanden auch die ersten evangelischen Gesellen- und Meistervereine.

Die Organisation der nicht konfessionell gebundenen Arbeiterbildungsvereine entstand auf einem Kongress in Berlin im August 1848. Dabei wurde Heidelberg als Bezirksvorort für Baden festgelegt. Dort bestand einer der ersten Arbeiterbildungsvereine Deutschlands, dem zudem die Ehre zuteil wurde, den Provinzial-Arbeiterkongress für Süd-West- Deutschland im Januar 1849 zu beherbergen. Am Ende dieses Kongresses stand ein Vereinigter Arbeiterausschuss für ganz Deutschland mit Sitz in Leipzig, in dem sich die zwei unterschiedlichen Konzeptionen von Arbeiterbildung und Wahrnehmung der Interessen zusammenfanden: die des Karl Georg Winkelblech, der die notwendigen socialen Reformen innerhalb der Schranken der bestehenden Gesellschaft realisieren wollte und die des Schriftsetzers Stefan Born, der von der Wirkungslosigkeit von Reformbestrebung ohne gleichzeitige sociale Revolution überzeugt war. Unabhängig von diesen Auseinandersetzungen gaben sich alle zwölf nachweisbaren demokratischen Arbeitervereine im Großherzogtum (Baden-Baden, Bruchsal, Freiburg, Gernsbach, Heidelberg, Karlsruhe – Handwerkerverein und Arbeiterverein, Konstanz, Lahr, Mannheim – Arbeiterbildungsverein und Arbeiterverein sowie Rastatt) feste Organisationsstrukturen durch Statuten, Mitgliedsbeiträge, regelmäßige Versammlungen und gemeinsame Aktivitäten. Für Württemberg muss möglicherweise eine größere Zahl von Arbeitervereinen angenommen werden. Denn schon zum ersten Verbandstag der württembergischen Arbeiterverbrüderung im März 1848 in Göppingen waren elf Vertreter von Arbeitervereinen anwesend. Sie wählten Ulm zum Bezirksvorort von Württemberg und den Leiter des dortigen Arbeitervereins, den Journalisten Georg Bernhard Schifterling, examinierter Theologe aus Creglingen, zum 1. Vorsitzenden. Innerhalb kurzer Zeit zählte die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung nahezu 15.000 Mitglieder in ganz Deutschland.

Der Pfarrer und Revolutionsführer Georg Bernhard Schifterling (1815-1880), Lithographie von Bühier – Quelle Gemeinde Alfdorf

Der evangelische Pfarrer Georg Bernhard Schifterling (1815-1880). Schifterling wurde als einer der Anführer der Revolution in Baden und Württemberg 1848/49 verurteilt und floh anschließend zunächst in die Schweiz, dann wie viele seiner Schicksalsgenossen, nach Amerika. Lithographie von Bühier, um 1850 – Quelle Gemeinde Alfdorf. 

Nach dem Scheitern der Reichsverfassungskampagne im Frühsommer 1849 und der Besetzung des Großherzogtums Baden durch preußische Truppen wurden auch die Arbeitervereine – wie alle anderen Vereine im Lande – verboten. Wenige Monate darauf erfolgte deren Verbot auch in Württemberg. Die Idee der Association, des freien und freiwilligen Zusammenschlusses von Menschen zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele, war der Obrigkeit – einmal mehr – ein Dorn im Auge. Im Juli 1854 erneuerte der Frankfurter Bundestag die Verpflichtung seiner Mitgliedsländer zur weiterhin verschärften Verfolgung aller Arbeiter- und Arbeiterbildungsvereine. Erst mit Beginn der Neuen Ära in Preußen und nach Erlass verschiedener Amnestiegesetze wegen Beteiligung an der Deutschen Revolution der Jahre 1848/49 kam es in bewusster Anlehnung an frühere Organisationsformen zu Neugründungen von Arbeiter- und Arbeiterbildungsvereinen sowie Zusammenschlüssen von Arbeitern einzelner Branchen. Der geografische Schwerpunkt lag nunmehr allerdings in den neu entstandenen industriellen Zentren des Rheinlandes und Sachsens. In Leipzig gründete sich im Jahre 1863 als erste gesamtdeutsch orientierte Arbeiterpartei der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADV) unter Ferdinand Lassalle an der Spitze. Im selben Jahr entstand in Frankfurt der Verbandstag Deutscher Arbeitervereine als Dachverband der deutschen Arbeitervereine, aus dem 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), eine weitere Vorläuferorganisation der Sozialdemokratischen Partei hervorgehen sollte. Parallel zu diesen politischen Organisationsbestrebungen wurde von sowohl von ADV wie SDAP die Gründung von Gewerkschaften vorangetrieben. Damit wurde auch der wachsenden Bedeutung des Arbeitskampfes für die Durchsetzung zentraler Forderungen zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter Rechnung getragen. Im Mai 1875 vereinigten sich beide Gruppierungen in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei, aus der 1890 – nach Aufhebung des Sozialistengesetzes – die Sozialdemokratische Partei Deutschlands entstehen sollte. Ihre Vorläufer, die Arbeitervereine und Arbeiterbildungsvereine, waren die ersten dezidiert politischen Interessensorganisationen des Vierten Standes, der Industrie- und Landarbeiter sowie der Handwerksgesellen in Deutschland. Sie gehören somit zum Traditionsschatz der politischen Kultur, gerade im deutschen Südwesten, in dem sie besonders zahlreich vertreten waren. 

                                                                                          Kurt Hochstuhl

Literatur:

  • Uwe Schmidt: Georg Bernhard Schifterling: Taglöhner, Pfarrer, Journalist und Revolutionär, in: Schwäbische Heimat 49 (1998), S. 175–185.
  • Frolinde Balser: Die Anfänge der Erwachsenenbildung in Deutschland vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1848/49,1957.
  • Frolinde Balser: Sozial-Demokratie 1848/49–1863: die 1. deutsche Arbeiterorganisation „Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung" nach der Revolution,2 Bde., Stuttgart1966.
  • Kurt Hochstuhl, Regine Schneider: Politische Vereine in Baden 1847–1849,in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 146 (1998), S. 351–436.

Quelle: Archivnachrichten 46 (2013), S. 4-6.

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