„Schlichtheit und Repräsentation im besten Sinne“

Der Neubau des Hauptstaatsarchivs Stuttgart vor 50 Jahren

Grundsteinlegung am 5. Juli 1965. Vorlage: LABW, HStAS Bibl. Xb 1 Nr. 32.
Grundsteinlegung am 5. Juli 1965. Vorlage: LABW, HStAS Bibl. Xb 1 Nr. 32.

Von den schweren Luftangriffen, denen Stuttgart im Februar und September 1944 ausgesetzt war, blieb auch das Hauptstaatsarchiv Stuttgart nicht verschont. Wie die meisten anderen Verwaltungsgebäude in der Landeshauptstadt, war das Archivgebäude, das 1822/26 nach Plänen von Gottlob Georg Barth in klassizistischer Bauweise an der damaligen Neckarstraße errichtet worden war, von schweren Zerstörungen gezeichnet. Glücklicherweise hatte man vorsorglich die meisten Archivbestände ausgelagert, sodass die Verluste mit etwa drei Prozent des archiveigenen Bestandes verhältnismäßig gering ausfielen. In den ersten Nachkriegsjahren war das Archiv in wechselnden Provisorien, verteilt auf mehrere Standorte, beherbergt. Die Entscheidung über seine zukünftige Unterbringung zog sich lange hin, da verschiedene Optionen im Spiel waren. Schließlich fasste im Juni 1957 der Ministerrat den Beschluss, die große Lösung des Gesamtkomplexes Neues Schloss, Landtagsneubau und obere Anlagen in Angriff zu nehmen, verbunden mit einem Neubau für Landesbibliothek und Staatsarchiv.

Von vornherein war man sich darüber einig, dass das neue Gebäude auf dem bisherigen, zentral gelegenen Grundstück errichtet werden solle. 1962 wurde mit dem Abbruch der Archivruine begonnen. Die Planung und Durchführung des Bauprojektes lag beim Staatlichen Hochbauamt Stuttgart I. Bei den Beratungen über die Gestalt des Gebäudes spielte das vom Leiter der Hochbauabteilung des Finanzministeriums, Horst Linde, entwickelte städtebauliche Konzept zur Stuttgarter Kulturmeile eine wichtige Rolle. Wegen der Nachbarschaft zu historischen Gebäuden, insbesondere dem Wilhelmspalais und dem Neuen Schloss, sollte der Neubau niedrig gehalten werden.

Aufgrund der mit 3.500 Quadratmetern geringen Größe des Grundstücks waren Untergeschosse einzuplanen für die Magazinräume mit Kapazitäten für 18 km Archivgut. Zu den weiteren Anforderungen gehörten die Trennung von öffentlichem und internem Bereich, ein gut ausgestatteter Lesesaal mit Platz für 50 Nutzer, ein Ausstellungs- und Vortragsraum sowie Restaurierungs- und Fotowerkstatt. Bei der Umsetzung musste die Architektengemeinschaft einen eigenständigen Weg beschreiten, da nach 1945 noch kein vergleichbarer Archivbau in Deutschland erstellt worden war. Am 5. Juli 1965 wurde der Grundstein gelegt, nach insgesamt viereinhalbjähriger Bauzeit konnte der Neubau bezogen werden.

Das Hauptstaatsarchiv präsentiert sich als flach gedeckter, zweigeschossiger, kubischer Bau auf rechteckigem Grundstück. Drei der insgesamt fünf Geschosse des Gebäudes befinden sich unter der Erde, wobei Magazingeschosse die beiden untersten Stockwerke einnehmen. Das Erdgeschoss ist gegenüber dem Obergeschoss zurückgesetzt, was Letzterem einen beinahe schwebenden Charakter verleiht. Mit den über der Erde befindlichen Geschossen zeigt sich das Archiv als funktionaler Verwaltungsbau, der sowohl eine Forschungs- als auch eine moderne Dienstleistungsinstitution darstellt. Für den Innen- wie Außenbau wählte man wenige hochwertige, für die Architektur der 1960er Jahre typische Materialien wie Sichtbeton, Klinkermauerwerk, Holz, Kupfer und Glas. Sie vermitteln Schlichtheit und Repräsentation im besten Sinne, wie Finanzminister Gleichauf bei der Einweihung des Gebäudes im Juli 1969 betonte. Der Bau sei außen wie innen geprägt von nobler Klarheit; jeder übertriebene Aufwand wurde vermieden. Als ein bedeutendes Dokument für die Entwicklung und den Ausbau der Infrastruktur der Landeshauptstadt wurde dem Hauptstaatsarchiv 2014 die Eigenschaft eines Kulturdenkmals zugesprochen.

Nicole Bickhoff

Quelle: Archivnachrichten 59 (2019), S. 48.

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