Tod eines Schülers

Prügelstrafe in der Schule von Dertingen bei Wertheim

Vom 18. April 1741 stammt das Einstellungsdekret für Nicolaus Roeser. Danach erhielt er von der Gemeinde für den Schuldienst und die Gerichtsschreiberei neben verschiedenen Naturalien und Nutzungsrechten 15 Gulden Bargeld, von jedem Schulkind pro Quartal 10 Kreuzer. Quelle: Landesarchiv BW, StAWt-S O3 Nr. 152
Vom 18. April 1741 stammt das Einstellungsdekret für Nicolaus Roeser. Danach erhielt er von der Gemeinde für den Schuldienst und die Gerichtsschreiberei neben verschiedenen Naturalien und Nutzungsrechten 15 Gulden Bargeld, von jedem Schulkind pro Quartal 10 Kreuzer. Quelle: Landesarchiv BW, StAWt-S O3 Nr. 152

Am Dienstag, den 8. Februar 1746 zeigte ein Centschöffe von Dertingen der löwensteinischen Herrschaft in Wertheim an, dass am Montag abends zwischen fünf und sechs Uhr Andreas, der sechsjährige Sohn des verstorbenen Caspar Schmidt, Stiefsohn des Georg Götzel mann, überraschend gestorben sei. Der Pfarrer weigerte sich, das Kind zu beerdigen, da es am vorangegangenen Samstag früh in der Schule von dem Schulmeister Nikolaus Roeser geschlagen worden war. Für die daraufhin angeordnete Obduktion begaben sich am Tag danach Dr. Johann Heinrich Assum und der vereidigte Chirurg Daniel Betschler in Begleitung des Stadtschreibers Christoph von Olnhausen nach Dertingen. In Anwesenheit der beiden Centschöffen von Dertingen, Andreas Klein und Hans Andreas Baumann, und des Pfarrers öffneten und untersuchten die beiden den Leichnam. Außerdem gab es eine Zeugenbefragung: Der Stiefvater Georg Götzelmann und die Mutter Margaretha sagten dabei aus, dass ihr verstorbenes Kind am Samstagmorgen noch frisch und gesund in die Schule gegangen, jedoch betrübt nach Hause gekommen sei. Auf die Fragen der Eltern habe der Junge nicht geantwortet, seine Schwester verriet ihnen jedoch, dass er vom Lehrer geschlagen worden sei. Er klagte über Kopfschmerzen und war sehr durstig bei gleichzeitiger Appetitlosigkeit. Als sein Vater ihn am Sonntag zur Kirche schicken wollte, gab er zu verstehen, er wolle lieber sterben […] als ferner in die Schul gehen. Seine Traumatisierung – so würden wir es heute nennen – fand darin Ausdruck, dass er sich büschelweise das Haar ausriss. Obwohl die Eltern glaubten, dass ihr Kind noch leben würde, wäre es nicht gezüchtigt worden, gaben sie sich in Gottes Hand und klagten den Lehrer nicht an.

Über die Obduktion fertigte Assum einen dreiseitigen, ausführlichen Bericht, aus dem zu entnehmen ist, dass keine äußeren Verletzungen festzustellen waren. Er war vielmehr der Meinung, dass die Ursache der Krankheit in einem heftigen Schrecken, und innerlichen Zorn, so sich bey dem Kind eingefunden, zu suchen sei. Der Junge war furchtsamer Natur und entwickelte nach Meinung des Arztes durch das so strenge und unerlaubte Verfahren des Schulmeisters verschiedene Entzündungen im Körper, die schließlich zum Tode führten. Dieser war also nach Meinung des Arztes nicht aufgrund von Verletzungen durch die Schläge verursacht: Es konnten nicht einmal Beulen festgestellt werden.

Was ist mit dem Lehrer passiert? Darüber geben die Akten leider keine Auskunft. Es folgen jedoch mehrere Seiten überschrieben mit Fanatischer Unfug deß Rössners, die zwar nicht unterschrieben, aber vermutlich vom Pfarrer in Dertingen verfasst wurden. Er interpretierte die Untersuchungsergebnisse des Arztes als Beweis dafür, dass die Schläge zum Tod des Schülers führten. Im Benehmen des Lehrers sah er Vorsatz.

Am 19. Februar schließlich ging eine schriftliche Aussage der Centschöffen bei der Herrschaft ein. Sie hatten die Kinder, die bei der Züchtigung von Andreas dabei gewesen waren, befragt. Der Roeser habe den Jungen geschlagen, weil er ein wenig geblaudert habe. Sie brachten auch Beispiele von anderen betroffenen Kindern, die nach erhaltenen Schlägen geblutet hätten.

Was heute in so einem Fall passieren würde, ist klar. Doch hat die richtende Herrschaft damals eher auf den Arzt gehört oder auf die vielen eindeutigen Zeugenaussagen? Dies kann heute leider nicht mehr festgestellt werden.

Martina Heine

Quelle: Archivnachrichten 55 (2017), S. 14.

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