»Der Erbfeind christlichen Namens«

»Türkengefahr« und »Türkenfurcht« in der Frühneuzeit

 

Kaiser und Sultan im Kampf um den Donauraum. Titelkartusche einer Landkarte von Willem Janszoon Blaeu, nach 1635. Vorlage: LABW, GLAK Hfk Pläne Be 5 rot. Zum Vergrößern bitte klicken.
Kaiser und Sultan im Kampf um den Donauraum. Titelkartusche einer Landkarte von Willem Janszoon Blaeu, nach 1635. Vorlage: LABW, GLAK Hfk Pläne Be 5 rot. Zum Vergrößern bitte klicken.

Die Nachricht von der Eroberung Konstantinopels durch osmanische Truppen am 29. Mai 1453 verbreitete sich schnell in Westeuropa. In drastischen Bildern wurde die Grausamkeit der Eroberer beschrieben. Das Szenario einer existenziellen Bedrohung der lateinischen Christenheit durch die Türken wurde in den nächsten Jahrzehnten durch Predigten und in Druckschriften schnell verbreitet. Mit der Türkensteuer hatten die Untertanen einen finanziellen Beitrag zu den Kriegskosten zu leisten. Das Läuten der Türkenglocke rief die Gläubigen täglich zur Mittagszeit bis in die entlegensten Dörfer dazu auf, für die Rettung vor dem Erbfeind christlichen Namens zu beten.

Die Türken waren mehr als nur ein militärischer Gegner. Der Begriff »Türke« wurde zum Synonym für Islam und Muslime und zugleich zum Inbegriff des Fremden schlechthin. Die Konstruktion des Anderen in Abgrenzung zum eigenen Selbst – die Kulturwissenschaften sprechen dabei von Alteritätsdiskursen – bestimmte das Reden und Schreiben über »den« Türken bis in das frühe 18. Jahrhundert. Der Diskurs über die »Türkengefahr« löste eine »Türkenfurcht« aus – und dies war durchaus so gewollt. Denn Angst lässt sich instrumentalisieren: etwa zur Durchsetzung eines militärischen Engagements oder zur Absicherung des eigenen konfessionellen Bekenntnisses.

Der Flussgott Danubius wendet sich bittend an die Personifikation des habsburgischen König­ und Kaisertums. Kartusche einer Landkarte von Sigmund von Birken und Jacob von Sandrart, Nürnberg 1683. Vorlage: Badische Landesbibliothek, Karlsruhe R 2. Zum Vergrößern bitte klicken.
Der Flussgott Danubius wendet sich bittend an die Personifikation des habsburgischen König­ und Kaisertums. Kartusche einer Landkarte von Sigmund von Birken und Jacob von Sandrart, Nürnberg 1683. Vorlage: Badische Landesbibliothek, Karlsruhe R 2. Zum Vergrößern bitte klicken.

Prägnante Gegensatzpaare beschrieben den Türken als den Anderen und unterstrichen dabei zugleich die eigene Überlegenheit: Unglauben versus Glauben, Barbarei versus Zivilisation, Despotie versus Gerechtigkeit, Grausamkeit versus Barmherzigkeit und Güte.

Dieser Alteritätsdiskurs vollzog sich nicht nur in Bildern und Texten, sondern wurde auch mit den Möglichkeiten der Kartografie förmlich in die Landschaft eingeschrieben. Der Donauraum – von den Quellen bis zu den Mündungen (der Plural entspricht den geografischen Gegebenheiten) – wurde so zu dem Projektionsraum, in dem die Kontrahenten, personifiziert in dem Gegensatzpaar Kaiser und Sultan, aufeinanderstießen.

In der Kartusche einer gedruckten Donaukarte, vermutlich aus der Offizin des Willem Janszoon Blaeu (1571–1638) stehen sich Kaiser Ferdinand III. und Sultan Murad IV. mit gezücktem Schwert bzw. Säbel gegenüber. Die Begleiterin des Sultans, wohl die Personifikation des Islams, tritt verachtungsvoll auf das Kreuz. Der üppige Ausschnitt ihres Kleides steht in deutlichem Gegensatz zu der züchtig gekleideten Begleiterin des Kaisers, die das Kreuz in ihrer Rechten hält. Als Personifikation der Kirche sucht sie hinter dem Rücken des Kaisers als des Verteidigers des Glaubens Zuflucht.

In einer Karte von Sigmund von Birken (1626–1681) und Jacob von Sandrart (1630– 1708), die 1683, also im Jahr der zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen, erschien, wird das Gegensatzpaar von Kaiser und Sultan in lateinischen Versen ausgeführt. Der Flussgott Danubius fleht die bekrönte Personifikation der habsburgischen Herrschaft an, sich endlich seiner zu erbarmen und den gesamten Flusslauf von Unglauben und Barbarei zu befreien. Die penibel in der Karte notierten Schlachten zwischen Christen und Türken verleihen der Bitte des Flussgottes räumliche und zeitliche Tiefenschärfe.

Mit der wachsenden militärischen Dominanz der Habsburger über die Osmanen nach der Befreiung von Wien 1683 wandelt sich das Bild des Türken. Die »Türkenfurcht« tritt hinter der Inszenierung des Triumphes über den Gegner zurück. Der »Türkenspott« löste die »Türkengefahr« ab. Am Grabmal von Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (1655–1707), der als Türkenlouis auf dem Balkan glänzende Siege über die Osmanen errungen hatte, stürzen die Gegner bezwungen in die Tiefe oder flehen um Gnade. Auf anderen Monumenten steht der siegreiche christliche Feldherr triumphierend auf dem Körper des unterlegenen Gegners. Doch auch als bezwungener Gegner blieb er der Andere, der Fremde.

Wolfgang Zimmermann

Quelle: Archivnachrichten 63 (2021), Seite 20-21.

Suche