„Erlebte“ Gewalt im Dreißigjährigen Krieg

von Moritz Beeching

Plünderung und Brandschatzung des Dorfs Spanckeren bei Arnheim durch die Spanische Reiterei während des Frieslandzugs des Grafen Heinrich von dem Bergh, 1624; Illustration aus dem Theatrum Europaeum, Bd. 1 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek]
Plünderung und Brandschatzung des Dorfs Spanckeren bei Arnheim durch die Spanische Reiterei während des Frieslandzugs des Grafen Heinrich von dem Bergh, 1624; Illustration aus dem Theatrum Europaeum, Bd. 1 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek]

Die Epoche der Frühen Neuzeit gilt als besonders gewalttätige und kriegerische Zeit. Dies zeigt sich insbesondere im Dreißigjährigen Krieg, welcher sich als kollektives Trauma im kulturellen Gedächtnis manifestiert hat, beispielsweise in Form von Liedern und Literatur. Gewalt gehörte in der Frühen Neuzeit zwar zur alltäglichen Lebenswelt der Menschen, der Dreißigjährige Krieg jedoch wurde bereits von den Zeitgenossen als besonders brutale Zeit erlebt. Der Begriff „Gewalt“ hatte im 17. Jahrhundert hauptsächlich zwei Bedeutungen: „potestas“ als staatliche Herrschaftsdurchsetzung und „violentia“ als individuelle Gewaltfähigkeit bzw. -tätigkeit. Beide Definitionsarten der Gewalt hatten eine legitime Grenze zur illegitimen Gewalt, die dem frühneuzeitlichen Menschen bewusst war. Um herauszufinden, wie die Bevölkerung Gewalt während des Dreißigjährigen Kriegs erlebte, eignen sich Selbstzeugnisse hervorragend als historische Quelle. Ein in der Frühneuzeitforschung bekannter Verfasser eines solchen Selbstzeugnisses ist der protestantische Schuhmacher Hans Heberle aus dem Dorf Neenstetten bei Ulm. In seiner Chronik, genannt „Zeytregister“, überliefert er seine Erfahrungen in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

Den Begriff „Gewalt“ verwendete Hans Heberle äußerst selten, aber Beschreibungen von Gewalttaten finden sich in seiner Chronik zuhauf. Dabei werden unterschiedliche Formen der Gewalt geschildert. Am häufigsten beklagte der Schuhmacher die plündernden Soldaten, welche nicht vor Gewalttaten und Mord gegenüber der ländlichen Zivilbevölkerung zurückschreckten. Oftmals war der Chronist gezwungen, den Soldaten Quartier in seinem Haus zu geben. Gerade bei Gegenwehr der Bevölkerung kam es zur Eskalation der Gewalt. In der gesamten Chronik wird lediglich eine friedliche Einquartierung erwähnt. Neben Plünderungen und körperlicher Gewalt sah sich der protestantische Chronist auch als Opfer religiöser symbolischer Gewalt. Die katholische Übernahme evangelischer Kirchen oder Besitztümer und deren Nutzung für die Ausübung des katholischen Glaubens stellten für Heberle eine schwere Verletzung seiner konfessionellen Überzeugung dar, die er durchaus als symbolische Gewalterfahrung wahrnahm. Auch Spott in Verbindung mit Gewalt war für ihn eine ähnlich verletzende Erfahrung, wie er an mehreren Stellen des Selbstzeugnisses explizit vermerkte. Die Eroberung und Verwüstung Magdeburgs durch kaiserliche Truppen im Jahr 1631, heute ein Sinnbild für ein Massaker, hielt Heberle für ein denkwürdiges Ereignis. Der Begriff „Massaker“ existierte in der Frühen Neuzeit noch nicht, die „Magdeburger Hochzeit“ wurde jedoch von dem Chronisten in dieser Weise wahrgenommen. Die Betonung Heberles bei der Beschreibung der gewaltvollen Eroberung lag auf dem massenhaften Töten von Menschen, das in seinen Augen keineswegs Teil der normalen Kriegsgewalt war. Die Bewertung von Kriegsgewalt in Heberles Chronik fiel im Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs immer negativer aus. Während zu Beginn des Krieges Gewalt etwas war, das ihm selbst hauptsächlich durch gegnerische Truppen widerfuhr, wurde die Gewalttätigkeit mit zunehmender Dauer des Krieges aus seiner Sicht zur schlechten Eigenschaft eines jeglichen Soldaten beziehungsweise jedweder Kriegspartei. Beim Kriegseintritts Schwedens 1630 begrüßte er diese noch als Verteidiger des protestantischen Glaubens. Für das Jahr 1633 bemerkte er noch milde, dass die Schweden beim Zug durch das Ulmer Land Schäden verursachten, um die kaiserlichen Truppen in die Flucht zu schlagen. Im Sommer des nächsten Jahres kam es zu gewaltvollen Auseinandersetzungen mit Toten zwischen der sich wehrenden Landbevölkerung und schwedischen Soldaten unter General Gustav Horn. Daraufhin waren für Heberle Freund und Feind nicht mehr zu unterscheiden, was ihm besonders zu schaffen machte.

Unmittelbar nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs folgte daraus eine verallgemeinernde negative Haltung des Chronisten gegenüber Soldaten. Bei Hans Heberle hat man es also mit einem Opfer von Gewalt zu tun, der Gewalt dementsprechend negativ bewertete. Vor allem seitdem ihm bewusst geworden war, dass sowohl gegnerische als auch eigene Truppen mit rücksichtsloser Gewalt gegen die ländliche Zivilbevölkerung vorgingen, verurteilte er Gewalthandlungen im Sinne der „violentia“. Interessant ist jedoch die Tatsache, dass Heberle nie ausdrücklich von unmittelbarer Gewalt direkt gegen sich und seine Familie berichtete. Nur gegen Andere gerichtete Gewalthandlungen werden detailliert geschildert. Ausgenommen hierbei ist sexualisierte Gewalt, was jedoch für die Frühe Neuzeit nicht ungewöhnlich ist, bedenkt man, welch eine große Ehrverletzung diese Art der Gewalt für die betroffenen Familien auch noch viele Jahre später bedeutete. Sobald der Chronist direkt von Gewalttaten betroffen sein musste, verfällt er in das kollektive „Wir“ der protestantischen Dorfgemeinschaft und erzählt, wie das gesamte Dorf unter Durchmärschen und Einquartierungen zu leiden hatte. So erfährt man an keiner Stelle des Selbstzeugnisses, wie sich beispielsweise die Einquartierungen in Heberles eigenem Haus gestalteten. Dies ist bei seiner unmittelbaren Nähe zu den Gewaltgeschehnissen des Dreißigjährigen Krieges bemerkenswert. Aber womöglich war es dem Verfasser des Selbstzeugnisses nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Nähe zur Kriegsgewalt und den damit einhergehenden persönlichen Entwürdigungen nicht möglich, gegen ihn selbst ausgeübte Gewalt in Einzelheiten zu schildern.

Insgesamt bestätigt Hans Heberles Selbstzeugnis die moderne Forschung zur Gewalt im Dreißigjährigen Krieg. Eine solche mikrohistorische Untersuchung zeigt, dass das kollektive Trauma des Dreißigjährigen Krieges nicht lediglich das Ergebnis einer Legendenbildung ist, welche sich durch die Rhetorik von Tod und Zerstörung als nicht allzu ernstzunehmendem Topos zeitgenössischer Quellen entwickelte. Dieser Krieg war tatsächlich eine besonders gewaltvolle Zeit in einer ohnehin schon gewaltvollen Epoche und wurde von den Zeitgenossen auch solchermaßen erlebt.

Quellen in Auswahl

  • Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles ,Zeytregister' (1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten, hg. von Gerd Zillhardt (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 13), Stuttgart 1975.

Literatur in Auswahl

  • von Greyerz, Kaspar / Siebenhüner, Kim (Hg.), Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen (1500-1800) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 215), Göttingen 2006.
  • von Krusenstjern, Benigna/ Medick, Hans (Hg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 148), Göttingen 1999.
  • Medick, Hans, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018.
  • Meumann, Markus / Niefanger, Dirk (Hg.), Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997.

 

Zitierhinweis: Moritz Beeching, Gewalterfahrung, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 28.08.2022

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