Der Westfälische Frieden (14./24.10.1648)
von Alexander Staib und Aaron Bauer
3.205.219 Reichstaler kosteten die Unterredungen, an deren Ende der Westfälische Friede stand. Zum Aushandeln des „Frieden[s] der Superlative“[1] – die Parteien tagten länger als mancher Krieg dauerte – waren 82 Gesandtschaften zu unterhalten. In Münster und Osnabrück wurden insgesamt drei Friedensverträge geschlossen: zwischen den nördlichen Niederlanden und Spanien, zwischen Frankreich und dem Kaiser sowie zwischen letzterem und Schweden, inklusive der jeweiligen Verbündeten. Die beiden Orte stehen zudem für einen Staatenkongress und für eine Reichsversammlung; entsprechend wurde eine europäische Friedensordnung erzielt und ein Reichsgrundgesetz erlassen. Überdies korrigierte und modifizierte der Westfälische Frieden den Augsburger Religionsfrieden (1555) und löste den Prager Frieden (1635) ab. Die Friedensverträge der nächsten 150 Jahre bezogen sich auf die hier gefundenen Lösungen. Verhandlungen in Köln zu einem allgemeinen Frieden im Reich kamen 1636/37 nicht über das Stadium von Vorverhandlungen hinaus. 1641 wurden dann Münster für die katholische und Osnabrück für die protestantische (lutherische und calvinistische) Seite als Kongressorte festgelegt. Der große Friedensprozess selbst fing auf ganz pragmatischem Weg durch die allmähliche Anreise von Diplomaten seit 1643 an. Zu dieser Zeit herrschten auf Seiten des Kaisers noch Bedenken gegen den Kongress vor. Unter dem Eindruck der schwedischen Überlegenheit im Verlauf des Feldzugs von 1645 fiel seine Entscheidung jedoch zugunsten der Verhandlungen aus. Die wichtigste Phase des ‚Universalfriedenskongresses‘ begann dabei Ende desselben Jahres durch die Einladung des Kaisers an alle Reichstände. Nach 18 Monaten lagen alle wesentlichen Punkte vor, die in die Friedensverträge eingingen; ein Konsens ließ aber noch weitere Monate auf sich warten. Dabei ist daran zu erinnern, dass der Krieg unermüdlich weitergeführt wurde, da kein Waffenstillstand herrschte.
Woher kam die Einsicht der kriegsführenden Parteien in die Notwendigkeit eines Friedens? Zum einen ist dies auf die Verrohung der Kriegsführung zurückzuführen. Zunehmend setzte sich die Einsicht durch, dass die zerstörerischen Kräfte befriedet werden müssten, um die Totalkonfrontation zu überwinden. Zum anderen kam es zur Erkenntnis, dass keine der nach Vorherrschaft in Mitteleuropa strebenden Kräfte (Schweden, Habsburg, Frankreich) eine solche Stellung durchsetzen konnte: Jede Seite musste ihre Ansprüche reduzieren und die anderen als gleichberechtigt anerkennen. .
Für das Alte Reich standen drei Themen im Mittelpunkt der Verhandlungen: erstens die politische Landkarte, zweitens das Verhältnis der Konfessionen und drittens die Kompetenzverteilung im Gefüge des Reiches. Für die Darstellung der Auswirkungen des Westfälischen Friedens auf die Kriegsparteien Schweden und Frankreich sowie die weiteren Territorien und die diversen Unterregelungen und Ausnahmen, die den Frieden fein austarierten, sei auf die untenstehende Literatur verwiesen.
Eine Lösung bot das ‚Normaljahr 1624‘. Dabei wurde die konfessionelle Situation vom 1. Januar 1624 festgeschrieben; alle protestantischen Erwerbungen zwischen 1552 und 1624 – seien es Klöster oder Hochstifte – wurden hierdurch legalisiert und im entsprechenden konfessionellen Stand festgeschrieben; das Restitutionsedikt von 1629 wurde zurückgenommen. Für die südwestdeutschen Stände bedeutete dies, dass die Territorien Württemberg und Baden restituiert und die Reichsstädte Biberach, Ravensburg, Augsburg und Dinkelsbühl fortan paritätisch regiert wurden. Zugleich bedeutete dies die Relativierung des ‚ius reformandi‘ des Augsburger Religionsfriedens (populärer unter der Formel ‚cuius regio, eius religio‘ – wessen Gebiet, dessen Religion). Konfessionelle Nischen, die es zum Stichdatum gab, konnten weiter bestehen. Der Konfessionswechsel des Landesherrn zog nun nicht mehr den Konfessionswechsel der Untertanen nach sich. Die calvinistische Hauptmacht des Alten Reiches, die Kurpfalz, wurde mit Ausnahme der Oberpfalz restituiert und erhielt die neu geschaffene achte Kurwürde. Zur Entschärfung des konfessionellen Problems schloss man fortan die Calvinisten als Augsburgische Bekenntnisverwandte in den nun geltenden Reichs- und Religionsfrieden ein. Im Reichstag herrschte fortan Verfahrensparität, im Reichskammergericht und dem Reichshofrat Zahlenparität – allerdings nicht entsprechend des heutigen Verständnisses; beispielsweise waren den zwölf Katholiken im Reichshofrat sechs Protestanten an die Seite gestellt. Neben der normalen Beratung nach den verschiedenen Kurien konnte der Reichstag nun, wenn eine der beiden Konfessionsparteien dies beantragte, nach Religionskorpora auseinandertreten (‚itio in partes‘) und den Gegenstand entsprechend getrennt beraten. Die Korpora mussten dann wiederum miteinander eine gütliche Einigung finden (‚compositio amicabilis‘). Die Spannungen zwischen den Konfessionen wurden so nicht vollständig ausgeräumt, aber in politisch bearbeitbare Bahnen gelenkt.
Durch den Frieden erlangten die Reichsstände keine Souveränität, aber Landeshoheit nach innen. Im Kern wurden die (tatsächlich herrschenden) Zustände vor 1618 bekräftigt: Die Fürsten durften mit den Nachbarstaaten Bündnisse schließen, jedoch nicht gegen Reich und Kaiser (‚Reichsvorbehalt‘).
Der Reichstag wurde als zentrale Institution des Reiches bestätigt. Für die Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik war der Kaiser auf dessen Zustimmung angewiesen. Viele Entscheidungen hinsichtlich des Reiches wurden auf den nächsten Reichstag verschoben, wo sie – so das Kalkül des Kaisers – dem Zugriff Schwedens und Frankreichs entzogen waren. Der Westfälische Frieden schuf – entgegen seiner Selbstbezeichnung als ewiger Frieden – keine dauerhafte Abwesenheit von Kriegen zwischen den Parteien. Der Pfälzische Erbfolgekrieg oder der Siebenjährige Krieg bieten hierfür anschauliche Beispiele. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf die Altlasten der Universalidee und auf Nachzügler im Staatensystem wie Preußen.
Bei den Zeitgenossen stand der wiedergefundene Frieden in hohem Ansehen. Am Ende des Alten Reiches, um das Jahr 1800, erfolgte ein radikaler Meinungsumschwung. Zunehmend galt er als ‚Symbol der Schwäche‘ und der ‚Dekadenz‘; das Reich leide durch ihn unter ‚Zersplitterung‘ und gleiche einem ‚Flickenteppich‘. Heute wird dagegen die Vielgestaltigkeit des Alten Reiches nach 1648 betont und dessen erstaunliche Stabilität. Einen vorläufigen Höhepunkt bietet das 350-jährige Jubiläum, zu dem der Frieden enthusiastisch gelobt wurde.
Anmerkungen
[1] Burkhardt, Das größte Friedenswerk, S. 592
Literatur in Auswahl
- Arndt, Johannes Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648 (Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 18642), Stuttgart 2017.
- Burkhardt, Johannes, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. 92015 [ND 1992].
- Burkhardt, Johannes, Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 (1998), S. 592-612.
- Gotthardt, Axel, Das Alte Reich. 1495-1806, 5. durchges. und bibliogr. erg. Aufl., Darmstadt 2013.
- Kampmann, Christoph, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2013.
- Neuburger, Andreas, Im Windschatten von Osnabrück. Die südwestdeutschen geistlichen Stände als mindermächtige Bittsteller?, in: Die Schweden im deutschen Südwesten. Vorgeschichte – Dreißigjähriger Krieg – Erinnerung, hg. von Volker Rödel/ Ralph Tuchtenhagen (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde, Reihe B Forschungen, 225. Band), Stuttgart 2020, S. 233-254.
- Schindling, Anton, War ‚1648‘ eine katholische Niederlage?, in: Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, hg. von Horst Carl, Berlin 2004, S. 257-277.
- Schmidt, Georg, Der Westfälische Friede als Grundgesetz des komplementären Reichs-Staats, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textbd. 1, hg. von Klaus Bußmann / Heinz Schilling (Europaratsausstellungen, Bd. 26), München 1998, S. 447-454.
- Tischer, Anuschka, Art. Westfälischer Friede, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 14, Darmstadt 2011, Sp. 1020-1029.
Zitierhinweis: Alexander Staib und Aaron Bauer, Der Westfälische Frieden, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 19.08.2022.