Das Fußvolk

von Marius Wieandt

Reiterei und Fußsoldaten mit aufgestellten Piken, Ausschnitt aus einer Darstellung der Schlacht bei Wimpfen, Kupferstich, 1625 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Graph. Sammlung Schef.qt.11243].
Reiterei und Fußsoldaten mit aufgestellten Piken, Ausschnitt aus einer Darstellung der Schlacht bei Wimpfen, Kupferstich, 1625 [Quelle: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Graph. Sammlung Schef.qt.11243]

Im Laufe des 15. und vor allem des 16. Jahrhunderts vollzog sich eine Revolution des Kriegswesens. Die kostenintensive und kaum disziplinierte schwere Reiterei, allen voran die Ritterschaft, verlor ihre Rolle als schlachtentscheidende Waffengattung in relativ kurzer Zeit an dichte Formationen von Fußvolk, die nach Schweizer Vorbild diszipliniert in geschlossenen Reihen fochten und mit langen Spießen ausgerüstet waren. Daneben fanden im 16. Jahrhundert Handfeuerwaffen rasche Verbreitung, die wegen ihrer mangelhaften Genauigkeit in massiven Salven abgefeuert werden mussten, um einen Effekt auf dem Schlachtfeld zu zeigen. Bis zum Dreißigjährigen Krieg und darüber hinaus führten diese Entwicklungen zu einer stark zunehmenden Bedeutung des kosteneffizienten Fußvolkes, das schnell und mit vergleichsweise niedrigem Ausbildungsaufwand aufgeboten werden konnte. Auch spielte das Fußvolk bei den häufigen Belagerungen von befestigten Orten, bei Schanzarbeiten ebenso wie bei der Erstürmung von Mauern, eine wichtige Rolle.

„Pikeniere“ waren eine für die Verteidigung im Nahkampf ausgelegte Waffengattung. Mit der hohen Reichweite des 4 bis 5 Meter langen Spießes, der Pike, konnten Pikenierformationen den Feind effektiv auf Abstand halten und auch die hinteren Reihen hatten die Möglichkeit, mit ihren Piken am Kampf teilzunehmen. Daneben trugen Pikeniere eine Seitenwaffe, etwa ein Rapier oder ein kurzes Schwert, für den Kampf auf kürzere Distanz. Geschützt waren die meisten Pikeniere durch einen gepanzerten Harnisch, der hauptsächlich Kopf und Torso bedeckte.

Die Hauptwaffe der „Musketiere“ dagegen war die namensgebende Muskete, ein schwerer Vorderlader, der wegen des hohen Gewichts zum Feuern meist auf einen Gabelstock aufgelegt wurde, um die Treffsicherheit zu erhöhen. Um die lange Muskete bedienen zu können, bei der das Pulver und die Kugel vorn im Lauf mithilfe eines Ladestocks eingeführt wurden, mussten Musketiere vergleichsweise groß sein. Im Laufe des Dreißigjährigen Krieges gelang es, leichtere Musketen zu konstruieren, die den unhandlichen Gabelstock überflüssig werden ließen. Außerdem verwendeten in kleinerem Umfang insbesondere die Schweden erste Patronen, bei denen Pulver und Kugel in einem Papierpäckchen zusammengefasst waren, was den Nachladeprozess deutlich beschleunigte. Da Musketiere dem Feind auf die Entfernung zusetzen sollten, waren sie nur leicht gerüstet, trugen oft nur einen Helm oder verzichteten ganz auf Rüstung. Daneben führten sie noch eine Beiwaffe für den Nahkampf, ein Rapier oder eine andere Klingenwaffe etwa, da die Musketen der Zeit noch zu schwerfällig waren, um ein Bajonett daran zu montieren.

Für gewöhnlich wurden beide Waffengattungen kombiniert eingesetzt. Die mit Musketen ausgerüsteten Soldaten sollten den Feind auf Distanz bekämpfen, waren aber wegen des langwierigen Ladeprozesses auf den Schutz durch Pikeniere angewiesen. Insbesondere gegen Angriffe von schwerer Reiterei waren die Musketiere anfällig, weshalb sie sich zum Nachladen ihrer Waffen häufig hinter die Pikeniere zurückzogen. Die Qualität des Zusammenspiels beider Waffengattungen in geschlossenen Verbänden, die sich gegenseitig schützen und verstärken konnten, konnte über Sieg und Niederlage entscheiden und war ein wesentlicher Vorteil von kampferfahrenen und gut ausgebildeten Verbänden.

Die Spanier und die Kaiserlichen setzten bei der Kombination der Waffengattungen dabei auf sogenannte Tercios, große quadratische Formationen, in denen Pikeniere und Schützen in durchmischten Formationen aufgestellt waren, aus denen die Schützen herausschießen konnten und zugleich hinter dem Wald aus nach außen gerichteten Piken vor Angriffen geschützt waren. Diese „wandelnden Festungen“ waren durch ihre quadratische Aufstellung nach allen Seiten hin vor Angriffen, vor allem durch Reiterei, geschützt. Niederländer und Schweden dagegen bevorzugten längere und weniger tief gestaffelte Formationen des Fußvolks, wodurch mehr Schützen gleichzeitig am Gefecht teilnehmen und ihre Waffen abfeuern konnten.

Wegen der technischen Neuerungen bei den Feuerwaffen und Veränderungen in der Taktik verloren die Pikeniere während des Krieges, wie auch schon in den Jahrzehnten zuvor, stetig an Bedeutung. So schrieb Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1622-1676) etwas zugespitzt: „der einen Pikenierer niedermacht (den er sonst verschonen könnte) einen Unschuldigen ermordet (…) Sie tun doch for sich selbst niemand kein Leid und geschicht dem allererst recht, der einem oder dem andern in seinen langen Spieß rennet. In Summa, ich habe mein Tage viel scharpfe Okkasionen gesehen, aber selten wahrgenommen, daß ein Pikenierer jemand umgebracht hätte.“[1] Je länger der Krieg währte, desto kleiner wurde der Anteil von Pikenieren an der Gesamtzahl der Söldner. Ab 1630 bildeten die Schweden sogar reine Musketierregimenter ohne den Schutz durch Pikeniere.

Anmerkungen

[1] Grimmelshausen, Springinsfeld, S. 76

Quellen in Auswahl

  • von Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel, Der seltzame Springinsfeld, hg. von Klaus Haberkamm, Stuttgart 1976.

Literatur in Auswahl

  • Beaufort-Spontin, Christian, Harnisch und Waffe Europas. Die militärische Ausrüstung im 17. Jahrhundert (Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde, Bd. 57), München 1982.
  • Borus, Josef, Die Haupttendenzen der Waffenentwicklung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, in: Kleinlandschaft und Türkenkriege. Das südliche Burgenland zur Zeit der Bedrohung durch die Türken im 16. und 17. Jahrhundert, hg. von Rudolf Kropf/Wolfgang Meyer, Eisenstadt 1983.
  • Hughes, Basil, Feuerwaffen. Einsatz und Wirkung 1630-1850, Thun 1980.
  • Krenn, Peter, Was leisten die alten Feuerwaffen? Ergebnisse einer Ausstellung des Landeszeughaus in Graz, in: Waffen- und Kostümkunde 32/3 (1990), S. 35-52.
  • Kroener, Bernhard, Militärgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis 1648. Vom Lehnskrieger zum Söldner, in: Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Bd. 1: Historischer Überblick, Freiburg 1993, S. 13-37.
  • Ortenburg, Georg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Landsknechte (Heerwesen der Neuzeit, Bd. 1,1), Koblenz 1984.
  • Wohlfeil, Rainer, Das Heerwesen im Übergang vom Ritterheer zum Söldnerheer, in: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, hg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen, Bd. 28), Berlin 1986.

Zitierhinweis: Marius Wieandt, Das Fußvolk, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 11.08.2022

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