Berthold Auerbach und seine „Schwarzwälder Dorfgeschichten“

Ein Gesellschaftbild à la Balzac

von Beate Stegmann

Berthold Auerbach, Stahlstich, vor 1865. [Quelle: Unibibliothek Tübingen]
Berthold Auerbach, Stahlstich, vor 1865 [Quelle: Unibibliothek Tübingen]

1842 veröffentlichte Berthold Auerbach mit Der Tolpatsch die erste seiner Schwarzwälder Dorfgeschichten. In den folgenden 40 Jahren entstanden insgesamt 27 Texte, die anhand der Charaktere der handelnden Personen das Leben in Auerbachs Heimatdorf Nordstetten porträtieren. Der Ort gehört heute zur Gemeinde Horb am Neckar und liegt mehr am Rand als direkt im Schwarzwald. Eine mögliche Erklärung ist die Zugehörigkeit der damaligen Oberamtsstadt Horb zum Schwarzwaldkreis, einer Verwaltungseinheit des Königreichs Württemberg. Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten die rund 350 jüdischen Einwohner von Nordstetten zusammen mit den benachbarten Landgemeinden einen regionalen Schwerpunkt. Hier wurde eine der ersten jüdische Elementarschulen des 19. Jahrhunderts in Württemberg eröffnet. Berthold Auerbach kam 1812 als Moses Baruch Auerbacher zur Welt. Auf Wunsch seiner Familie sollte er Rabbiner werden und besuchte zunächst die Talmudschule in Hechingen, später wechselte er nach Karlsruhe. Er absolvierte die für das Studium benötigte Aufnahmeprüfung in Stuttgart und schrieb sich an der Uni Tübingen ein, wo er als einziger Student jüdische Theologie belegte. Weil er der verbotenen Burschenschaft Germania angehörte, stand er unter polizeilicher Beobachtung und musste seinen Studienort mehrmals verlegen. Strafen und schließlich die Verbüßung einer Haft auf dem Hohenasperg 1837 machten die Rabbinerlaufbahn unmöglich. Bereits einige Jahre zuvor hatte Auerbach, auch aus finanziellen Gründen, mit der Veröffentlichung von Texten begonnen. Die Dorfgeschichten, die eine eigene literarische Gattung bilden, wurden durch seine Schilderungen überaus populär und erreichten innerhalb kurzer Zeit eine internationale Leserschaft. Dazu mag die differenzierte, naturalistische Darstellungsweise beigetragen haben, die Stereotype vermeidet und den Menschen ihre Würde lässt. Das Material bezog Auerbach, der fern der Heimat lebte und auch den Wohnsitz öfter wechselte, von seinem ehemaligen Dorfschullehrer. Ähnlich wie Honoré de Balzac in seinem Romanzyklus Die menschliche Komödie, wollte Auerbach ein detailliertes Gesellschaftsbild wiedergeben, wobei er das dörfliche, volkstümliche Leben in den Mittelpunkt stellte. Typisch sind die wiederkehrenden Figuren, deren Wege sich im Verlauf der Geschichten kreuzen. Obwohl er den Dialekt nicht in den Mittelpunkt seiner schriftstellerisch Arbeit stellte, knüpfte Auerbach bewusst an Johann Peter Hebel an und verflocht viele originale Ausdrücke in seine Werke. Auerbach verstand sich als Volksaufklärer, der die einfacheren Leute erreichen wollte. Eine seiner erfolgreichsten Veröffentlichungen ist das 1856 erschienene Barfüßele.

Auerbach, der zu einem der bekanntesten deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts wurde, ließ sich Ende der 1850er-Jahre in Berlin nieder. Als demokratisch gesinnter Vertreter eines liberalen, emanzipierten Judentums mit patriotischen Zielen sah er sich im höheren Lebensalter mit zunehmendem Antisemitismus und dem Scheitern seiner Ideale konfrontiert. Gesundheitlich geschwächt starb Auerbach am 8. Februar 1882 während eines Klinikaufenthaltes in Cannes. Einige Wochen später wurde er auf dem jüdischen Friedhof von Nordstetten beigesetzt. Durch den Nationalsozialismus geriet die Bedeutung Auerbachs in Vergessenheit. Seit den 80er-Jahren befindet sich im Schloss von Nordstetten eine Dauerausstellung, die von der Arbeitsstelle für Literarische Museen in Marbach betreut wird, siehe dazu auch die Gedenkstätten in Baden-Württemberg.

Zitierhinweis: Beate Stegmann, Berthold Auerbach und seine „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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