Das aschkenasische Judentum

von Uri R. Kaufmann

Die kultisch kulturelle Ausstattung früher jüdischer Gemeinden im Südwesten bis 1350
Die kultisch kulturelle Ausstattung früher jüdischer Gemeinden im Südwesten bis 1350 [Quelle: Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen. Kommentiertes Kartenwerk, 3 Bde., hg. von Alfred Haverkamp, Hannover 2002 (Forschungen zur Geschichte der Juden A 14), hier Bd. 3: Karten]

Nach einer jüdischen Tradition wanderten jüdische Fernkaufleute aus der Stadt Lucca in Norditalien im 10. Jahrhundert in den oberrheinischen Raum ein. In den Bischofsstädten Mainz (erster Beleg 917), Worms (1012) und Speyer (1084) entwickelten sich bald darauf blühende jüdische Gemeinden mit bedeutenden Gelehrten, Dichtern und Talmudhochschulen. Das „aschkenasische“ Judentum entstand. Die rabbinische Literatur des 10./11. Jahrhunderts bezeichnete mit diesem Ausdruck aus Genesis 10,3 das Gebiet nördlich der Alpen. Herausragend waren Rabbi Schlomo Jzchaki („Raschi“, 1040–1105), der die Bibel und große Teile des Talmuds (antike jüdische Rechtssammlung) kommentierte, Rabbenu Tam (gest. um 1171), der Rechtsgelehrte Meir ben Baruch („Maharam“) aus Rothenburg (um 1220–1293) und der Mystiker Jehuda he-Chassid (1140–1217).

Die Bischöfe waren als Stadtherren an der Wirtschaftsförderung interessiert. Vom rheinischen Zentrum aus siedelten sich Juden bis 1348 in Süddeutschland und dem Elsass an. Viele Juden waren Geldhändler, weil ihnen im mittelalterlichen Reich kaum andere Berufe offen standen. In einigen Städten erreichte ihr Anteil vermutlich an die fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung.

Anlässlich des ersten Kreuzzuges 1096 kam es zu ersten Ausschreitungen gegen Juden mit etwa 2.000 Toten. Die seelische Auseinandersetzung damit führte zur Entstehung einer jüdischen Martyriologie. 1298 kam es zu Übergriffen in Franken, die bis an den Neckar ausstrahlten. An 130 Orten wurden 3.500 bis 5.000 Juden getötet. „Armleder“-Banden trieben 1336–1338 ihr Unwesen in Franken, Schwaben und im Elsass und mordeten bis Bretten und Ettenheim. Einen tiefen Einschnitt in die Siedlungsgeschichte der Juden bildeten danach die europaweiten Verfolgungen zur Zeit der Beulenpest („Schwarzer Tod“) 1348/51. Juden wurde unter- stellt, die Brunnen vergiftet zu haben. Über 400 jüdische Gemeinden wurden vernichtet. Viele Christen entledigten sich durch Mord ihrer Gläubiger. Einzelne Vertreter der Kirche wandten sich gegen die Verfolgungen, so Papst Clemens VI. im Jahr 1348.

Nach 1349 bildeten Juden erneut städtische Gemeinden, doch waren sie weniger bedeutend. Ein wichtiger Gelehrter war Rabbiner Jakob Molin in Mainz (gest. 1427), der die religiösen Bräuche aufschreiben ließ. Vielen Stadträten waren die rechtliche Verbindung der Juden zum Kaiser und ihre wirtschaftliche Konkurrenz jedoch lästig. Aus 334 Städten des Deutschen Reiches wurden sie bis 1510 erneut vertrieben. Der Schwerpunkt jüdischer Siedlung verlagerte sich ins Königreich Polen-Litauen. Andere fanden in Norditalien Zuflucht. Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit entstanden ländliche jüdische Gemeinden im Elsass und in Süddeutschland, besonders in Dörfern der Reichsritter.

Im Bereich Karten finden Sie detaillierte Informationen zu Gemeindegründungen, der kultisch-kulturellen Ausstattung der Gemeinden, Vertreibungen und Verfolgungen, sowie zur Regionalorganisation jüdischer Gemeinden im Südwesten zwischen dem 11. und dem 16. Jahrhundert.

Literatur

  • Toch, Michael, Die Juden im mittelalterlichen Reich, München 1998.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 22 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Das aschkenasische Judentum, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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