Elektronische Akten

von Christoph Popp

Bildschirmkopie DOMEA Vorgang (Dienstbesprechung vom 12.01.2007) mit sechs Dateien: drei Word-Dokumente, eine E-Mail und ein gescanntes Dokument sowie der sog. Historie als Beispiel für die Metadaten eines einzelnen Dokuments
Bildschirmkopie DOMEA Vorgang (Dienstbesprechung vom 12.01.2007) mit sechs Dateien: drei Word-Dokumente, eine E-Mail und ein gescanntes Dokument sowie der sog. Historie als Beispiel für die Metadaten eines einzelnen Dokuments

Definition der Quellengattung

Elektronische Akten sind – als Nachfolger der klassischen Papierakten – digitale Unterlagen der Verwaltung, bei denen einzelne Dokumente (Textdateien, Bilder, Tabellen, audiovisuelle Dateien, eingescannte Dokumente etc.) samt und in ihrem Entstehungskontext vorliegen. Der Entstehungskontext und der Geschäftsgang sind entweder über eigene Dokumente / Informationseinheiten (Aktenvermerke, Notizen, Laufwegsinformationen, Zeichnungen etc.) oder über Metadaten dokumentiert. Elektronische Akten gliedern sich in Vorgänge, die in der Bearbeitung einzelner Geschäftsabläufe entstanden sind, und sind über den Aktenplan systematisiert.

Die Führung von elektronischen Akten der öffentlichen Verwaltung setzt Revisionssicherheit voraus, die wiederum durch DMS-Systeme gewährleistet wird, die nach einem Standard wie DOMEA, GEVER, ELAK oder dem Organisationskonzept Elektronische Verwaltungsarbeit (EVA) aufgebaut sind. Außerdem setzt die Führung glaubwürdiger elektronischer Akten die entsprechenden dienstlichen Regelungen der Behörde voraus, die sich an der DIN ISO 15 489-1 orientieren müssen.[1] Die Führung elektronischer Akten ist immer ein Zusammenwirken von technischen und organisatorischen Maßnahmen.

Davon abzugrenzen sind Sammlungen von elektronischen Dateien, die in Dateiablagen oder Kollaborations-Werkzeugen abgelegt worden sind. Meistens sind diese Ablagen nach Themen bzw. nach individuellen Ordnungsstrukturen gegliedert. Auch wenn diese Unterlagen mitunter als elektronische Akten bezeichnet werden, fehlen ihnen entscheidende Funktionalitäten wie Revisionssicherheit, Vollständigkeit und die Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns.[2] Zudem ist der archivische Aufwand bei der Bestandsbildung hoch.[3]

Ebenfalls von elektronischen Akten abzugrenzen sind elektronische Fachverfahren, mit denen einzelne Verwaltungsaufgaben unterstützt worden sind, z.B. die Führung des Melderegisters, Erstellung von Standesamturkunden, Steuererhebung etc. Fachverfahren sind Datenbanken und damit eigenständige archivische Objekte. Daten aus elektronischen Fachverfahren und andere flüchtige Informationen (z.B. von Webseiten oder sog. Sozialen Medien) können in elektronische Akten eingebunden sein und sind damit – mit einem bestimmten Sachstand – quasi eingefroren und in diesem Zeitschnitt veraktbar.

Historische Entwicklung

Für Deutschland ist der Umzug der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin und damit die Entwicklung des DOMEA-Konzepts (Version 1.0 im Jahre 1999) Ausgangspunkt der elektronischen Akte, weil seit diesem Zeitpunkt die Funktionalitäten der elektronischen Akte nachvollziehbar dokumentiert sind und die ersten Software-Lösungen auf den Markt kamen. Auch wenn es seit der Neufassung durch das „Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit“ (2012) keine Produktzertifizierung mehr gibt, sind doch genügend Produkte auf dem Markt, die im Zusammenwirken mit einer fachgerechten Einführung und Begleitung für aussagekräftige elektronische Akten sorgen können. Das Produkt allein garantiert allerdings noch nicht die Führung glaubwürdiger elektronischer Akten.

Aufbau und Inhalt

Elektronische Akten bestehen immer aus den drei Schriftgutobjekten bzw. den Ebenen Akte, Vorgang und Dokument. Das einzelne Dokument ist die Repräsentation einer Datei und bedarf zur Betrachtung eines Viewers. Mögliche Repräsentationen sind der Original-Dateityp der Entstehung oder Nutzungsformen aus der Behörde bzw. dem Archiv, in den diese Datei migriert worden ist. Eine typische Nutzungsform entsteht durch die Umwandlung in ein pdf/a – Dokument.

Zu jedem Dokument gibt es Metadaten, aus denen der Vorgangs- bzw. Aktenbezug (Aktenzeichen, Aktentitel, Vorgangsbetreff etc.) hervorgeht sowie Informationen zur Genese (Entstehung, Veränderungen), zu Organisation und Geschäftsgang (Berechtigungen, Lesezugriffe, Vermerke und Verfügungen, Zeichnungen bzw. Mitzeichnungen). Daneben gibt es technische Metadaten (zum Verfahren, zur Datenablage, zur Übernahme, zu Migration bzw. zur archivischen Bearbeitung).

Die Dokumentation der dienstlichen Anweisungen zur Aktenführung einschließlich der verwendeten Dokumenttypen, Bezeichnungen, Vorlagen und Geschäftsgangsvermerke kann die im 20. Jahrhundert eingetretene Ausdifferenzierung und den teilweisen Verlust von Klarheit der Schriftgutverwaltung im günstigsten Fall kompensieren.[4]

Bildschirmkopie eines Vermerkes auf einer eingegangenen und zum Vorgang genommenen E-Mail, Datum und Paraphe automatisch eingefügt; die Wiedervorlageverfügung am Ende der E-Mail ist nicht abgebildet
Bildschirmkopie eines Vermerkes auf einer eingegangenen und zum Vorgang genommenen E-Mail, Datum und Paraphe automatisch eingefügt; die Wiedervorlageverfügung am Ende der E-Mail ist nicht abgebildet

Eine typische elektronische Akte ist bspw. die Akte zu den Dienstbesprechungen einer Behörde. Sie trägt das entsprechende Aktenzeichen und den Titel „Dienstbesprechungen“. Vorgänge sind dann die einzelnen Besprechungen, deren Vorgangsbetreff das Datum enthält. Während bei der Papierakte der Aktenband mechanisch gebildet wird, gibt es bei elektronischen Akten keine Aktenbände – die Gliederung der Vorgänge kann freigewählt erfolgen; bei Dienstbesprechungen wohl chronologisch. (Abb. oben)

Innerhalb des Vorgangs zu einer Dienstbesprechung finden sich dann die zu erwartenden Dokumente (Einladung, Tagesordnung, Anwesenheitsliste, Anlagen, Protokoll etc.), ursprünglich in verschiedenen Dateiformaten (E-Mails, Word-Dokumente, Excel-Tabellen, Scans); zusätzlich können Bearbeitungsvermerke (Eingangsstempel, Zeichnungen etc.) vorliegen. Gerade für Schriftgutobjekte, die aus archivischer Sicht problematisch sind wie E-Mails, bieten elektronische Akten die Möglichkeit, diese als Teil des Vorgangs integriert abzulegen und damit die bestehende Zersplitterung auch der digitalen Überlieferung aufzuheben. Zumeist werden Dokumente in Versionen abgespeichert, so dass elektronische Akten wieder den gesamten Geschäftsgang vom Entwurf über die Bearbeitungsschritte bis zum Beschluss der Ausfertigung zeigen. (Abb. links, Vergrößerung durch Mausklick)

Bildschirmkopie der Historie der Dienstbesprechung vom 23.06.2016 mit Einträgen zu allen Bearbeitungsschritten von der Anlage des Vorgangs bis z.d.A.-Schreibung und dem Übergang ins Zwischenarchiv
Bildschirmkopie der Historie der Dienstbesprechung vom 23.06.2016 mit Einträgen zu allen Bearbeitungsschritten von der Anlage des Vorgangs bis z.d.A.-Schreibung und dem Übergang ins Zwischenarchiv

Die Metadaten zum Dokument liegen in der Regel listenförmig vor und reichen von der Anlage des Dokuments über alle Bearbeitungsschritte einschließlich Lesezugriffen, Ausdrucken, Verlinkungen bis zu den archivischen Bearbeitungen. Auch für die Interpretation dieser Metadaten ist eine saubere Dokumentation unerlässlich. (Abb. rechts, Vergrößerung durch Mausklick)

Überlieferungslage und vorarchivische / archivische Bearbeitungsschritte

Im Gegensatz zu den oben erwähnten Sammlungen von elektronischen Unterlagen, deren Überlieferung, sofern überhaupt archivreif, sehr rudimentär ist, kann bei elektronischen Akten von einer geordneten Anbietung, Bewertung und Übernahme ausgegangen werden. Dies verdankt sich weniger der Qualität der behördlichen Registraturen, als vielmehr der Konzeption der elektronischen Akten seit DOMEA: Aufbewahrungsfristen und eine geordnete Anbietung an das zuständige Archiv sind vorgeschrieben und softwaretechnisch verankert. Die in Papierform üblichen Überlieferungsverluste sind damit reduziert. Anbietung, Bewertung, Übernahme sind für die Archive komplexe Tätigkeiten, die Verzeichnung kann bei guter Führung der Metadaten (z.B. der Vorgangsbetreffe) deutlich erleichtert sein.

Während der Aufbewahrung im Archiv ist neben der permanenten Pflege der Daten auch mit regelmäßigen Migrationen der Dateiformate zu rechnen. Dabei werden die Originaldateien nicht kassiert, sondern als eine Repräsentation weiterhin vorgehalten. Elektronische Akten können im Archiv mit den üblichen Findmitteln verzeichnet und recherchiert werden; es ist eine archivische Entscheidung, ob schon auf Findmittelebene nur die Aktenplaneinträge oder auch die Vorgangsbetreffe recherchierbar sind. Ausschlaggebend ist hierbei die Entscheidung zwischen Übersichtlichkeit und Vollständigkeit. Tiefergehende Recherchen, z.B. nach einzelnen Dokumenten oder Begriffen, sind dann im Viewer möglich.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Da bei elektronischen Akten alle Bearbeitungsschritte protokolliert werden einschließlich aller Versionen und selbst der Löschungen, sind die überlieferten Informationen im großen Umfang nachprüfbar und damit glaubwürdig.

Für die Benutzung ist die Suchmöglichkeit über die Metadaten eine zusätzliche Möglichkeit, die allerdings Kenntnisse der Umstände der Entstehung der Unterlagen in der Behörde voraussetzt. Damit sind dann Auswertungen quer über die klassische Ablagelogik möglich; im Zweifelsfall sogar ein „googeln“ in den Akten, wobei der Quellenwert des ergoogelten Ergebnisses extrem kritisch zu sehen ist.

Durch die Gliederung der Akten in Vorgänge ist eine detailliertere Suche möglich; das zu sichtende Material kann dadurch präziser bestimmt werden.

Die Benutzung erfolgt nicht im Originalsystem, da dieses zum einen zu komplex wäre und zum anderen für das Archiv laufende Lizenzkosten anfallen würden, abgesehen von der Unmöglichkeit, ein DMS dauerhaft aufrecht zu erhalten. Als Viewer kann, sofern dies vom Anbieter vorgesehen und ermöglicht ist, eine Lese-Instanz des Produkts dienen oder ein archivischerseits eingesetzter Viewer, z.B. der DFG-Viewer. Dieser kann, entsprechende archivische Vorarbeiten vorausgesetzt, alle Dokumente und Metadaten strukturiert anzeigen. Die Überprüfung und Auswertung der Zusatzinformationen jenseits der Einsicht in die Dateien erfordert aber ein tiefgehendes Einarbeiten in die Funktionalitäten eines DMS und Informationen über die Aussagekraft der vorliegenden Metadaten. Dazu sind die behördeninternen Regelungen (Anweisungen, Vorlagen, Abkürzungen etc.) wichtig.

Hinweise zur Benutzung

Elektronische Akten sind Akten mit den verwaltungsrechtlich üblichen Benutzungsauflagen: Die Sperrfristen richten sich nach der Rechtslage; die Benutzung nach den Archivgesetzen, Sperrfristverkürzungen sind nach den archivischen Richtlinien möglich. Die Recherchemöglichkeit nach personenbezogenen Informationen ändert im Grundsatz nichts an den Sperrfristen von Sachakten. Parallel zu den Schwärzungen bei der Vorlage von Papierakten kann auch bei elektronischen Akten ein Teil der Akten von der Benutzung ausgeschlossen werden.

Im Regelfall wird zur Benutzung vorgelegt eine digitale Kopie der Akte bzw. des Vorganges; ob diese nur lokal vorgelegt wird oder über das Netz zugänglich gemacht wird, entscheidet sich aus eventuellen Benutzungsauflagen. Wie bei allen digital vorliegenden Unterlagen sind die Auswertungs- und Kopiermöglichkeit im Vergleich zu Papierunterlagen qualitativ umfangreicher.

Forschungslage / Editionen / Literatur

Da die Einführung der elektronischen Akte in der Verwaltung entgegen den Absichtserklärungen auf allen Ebenen nur schleppend verläuft und gerade die elektronische Aktenführung im Bereich der normalen Sachbearbeitung sehr viel mühsamer in Gang kommt als die Einführung von elektronischen Fachverfahren, gibt es kaum elektronische Akten, die bereits dem Archiv angeboten worden wären, übernommen wurden und zur Einsicht vorliegen. Das Inventar der digitalen Unterlagen im Landesarchiv Baden-Württemberg zeigt den Überhang an Daten aus Fachverfahren und elektronischen Sammlungen.[5]

Anmerkungen

[1] Das DOMEA-Konzept sowie das Organisationskonzept Elektronische Verwaltungsarbeit ist greifbar über www.verwaltung-innovativ.de; das GEVER-Konzept über www.bar.admin.ch, ELAK über www.digitales.oesterreich.gv.at. Zur DIN ISO 15489-1 vgl. Schriftgutverwaltung nach DIN ISO 15489-1.
[2] KLA-Tagung: Kreative digitale Ablagen und die Archive, München 2016. Tagungsband im Erscheinen.
[3] Knobloch/Naumann, Digitale Sammlung.
[4] Moderne Aktenkunde.
[5] https://www.landesarchiv-bw.de/web/50811, zuletzt abgerufen am 30.06.2017.

Literatur

  • KLA-Tagung: Kreative digitale Ablagen und die Archive, München 2016. (Tagungsband im Erscheinen)
  • Knobloch, Corinna/Naumann, Kai, Digitale Sammlung der Johannes-Wagner-Schule Nürtingen, in: Archivnachrichten Baden-Württemberg 54 (2007), S. 44.
  • Moderne Aktenkunde, hg. von Holger Berwinkel/Robert Kretzschmar/Karsten Uhde (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Hochschule für Archivwissenschaft 64), Marburg 2016.
  • Schriftgutverwaltung nach DIN ISO 15489-1. Ein Leitfaden zur elektronischen Aktenführung, hg. von Alexandra Lutz, Berlin/Wien/Zürich 2012.
 

Zitierhinweis: Christoph Popp, Elektronische Akten, in: Südwestdeutsche Archvalienkunde, URL: […], Stand: 06.07.2017.

 

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