Investiturprotokolle
Von Tobias Binkert
Definition der Quellengattung
Investiturprotokolle sind von der Verwaltung eines Bistums angelegte Verzeichnisse über die vergebenen Pfründen. Sie dienten zur Vereinfachung des Vergabeverfahrens und zur besseren Übersicht über die besetzten Stellen.
Historische Entwicklung
Seit dem 13. Jahrhundert herrschte in der Verwaltung des Bistums Konstanz die Praxis, für bestimmte Rechtsakte Urkunden in zweifacher Ausfertigung auszustellen. Während eine Urkunde dem Empfänger überreicht wurde, verblieb die zweite Ausfertigung als Nachweis des Rechtsaktes in der Kanzlei. Bei der großen Zahl der von Konstanz aus zu besetzenden Pfründen und dem komplexen Besetzungsverfahren, an denen die Inhaber von Nominations- und Patronatsrechten, der Bischof oder seine Stellvertreter, die nachgeordneten kirchlichen Behörden sowie die örtlichen Pfarreien beteiligt waren, suchte die Verwaltung nach Wegen, um dieses Verfahren zu vereinfachen. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts beließ man es deshalb bei der Ausfertigung der Urkunde an den Empfänger und vermerkte die Ausstellung der Urkunde in einem Amtsbuch. Es handelt sich bei den Investiturprotokollen also um ein sogenanntes Auslaufregister.[1] Die Einträge dienten der Rechtssicherheit, der Übersicht über die Pfründeinhaber und als schriftliche Grundlage für die Abrechnung der fälligen Gebühren.[2]
Im Erzbistum Mainz wurden die Pfründen nicht zentral, sondern von der Verwaltung der Archidiakonate vergeben. Im Mainzer Archidiakonat St. Marien in Erfurt wurde dabei anstelle der Registraturausfertigungen die Präsentationsurkunden beim Offizialat verwahrt und erst im frühen 16. Jahrhundert mit der Führung eines Protokolls über die Investituren begonnen.[3] Die Verwaltung des Bistums Würzburg verwahrte ebenfalls bis ins 16. Jahrhundert Registraturausfertigungen der Urkunden auf, die dann durch Eintragung in die sogenannten Libri collationum zusammengefasst wurden.[4]
Aufbau und Inhalt
Der weitgehend standardisierte Text der Ernennungsurkunden wurde bei dem Eintrag in die Investiturprotokolle auf die Sachangaben zusammengekürzt. Die Einträge enthalten in der Regel das Datum der Proklamation, den Namen des Bewerbers, die Bezeichnung der Pfründe, den Grund der Vakanz, den Namen des vormaligen Pfründeinhabers, den Inhaber des Präsentations- bzw. Nominationsrechts und Angaben zur fälligen Verwaltungsgebühr. Durch die verkürzten Eintragungen in den Investiturprotokollen lassen sich die einzelnen Verfahrensschritte nicht mehr vollständig nachvollziehen. Die jeweiligen Verfahrensstufen und beteiligten Stellen lassen sich durch erhaltene Einzelurkunden und über serielle Quellen (z. B. Präsentationsbücher und Generalvikariatsprotokolle) rekonstruieren.[5]
Überlieferungslage und (vor)archivische Bearbeitungsschritte
Die Überlieferung wurde durch die Umlegung und Auflösung der Diözesen zu Beginn des 19. Jahrhunderts und Kriegs- und Kassationsverluste stark gestört. Die Investiturprotokolle für das Bistum Konstanz sind mit Lücken für den Zeitraum von 1436 bis 1623 in 15 bzw. mit Indexband in 16 Bänden erhalten.[6]
Die Überlieferungslage für das Erzbistum Mainz ist uneinheitlich, da hier die Archidiakonate maßgebliche Stelle für die Vergabe der Pfründen war. Serielle Quellen sind etwa für das Mainzer Archidiakonat Erfurt erhalten. Dort wurde am Anfang des 16. Jahrhunderts das Verzeichnis Liber beneficialis Erfordensis angelegt, in dem die Pfründenbesetzungsvorgänge der Jahre 1412 bis 1512 verzeichnet wurden. Eine weitere serielle Quelle stellt das Registrum prepositure ecclesiae Beate Marie Virginis, quae Erfordiae est, continens institutiones beneficatorum als Investiturprotokolle des Offizials von Erfurt dar, in denen zwischen 1514 und 1521 Pfründenbesetzungsvorgänge chronologisch eingetragen wurden.
In Speyer wurden zwischen 1405 und 1736 unter der Bezeichnung libri spiritualium elf Bände angelegt. Die libri spiritualium verzeichnen die Pfründenbesetzungsvorgänge innerhalb des Bistums, aber auch in den Nachbardiözesen, in welchen der Speyerer Bischof das Präsentationsrecht besaß.
In Straßburg sind neben einzelnen Ernennungsurkunden serielle Quellen zur Besetzung der Pfarrpfründen in zwei Bändern für den Zeitraum von 1528 bis 1568 erhalten.[7]
Serielle Quellen zur Pfründenbesetzung und -verwaltung im Bistum Würzburg lagen in den libri collationum vor. Die drei Bände aus dem 16. Jahrhundert sind jedoch im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Aufgrund erhaltener Exzerpte konnte ein Teil der ersten beiden Bände wieder rekonstruiert werden.[8]
Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten
Die Investiturprotokolle sind eine wichtige prosopografische Quelle. Allein für das Bistum Konstanz enthalten sie Informationen über 11.000 Personen.[9] Sie liefern Material über die Karrierewege der Geistlichkeit und damit zugleich zu einem Teil der künstlerischen und wissenschaftlichen Elite. Sie bieten aber auch einen Blick auf die noch wenig erforschte mittlere und untere Ebene der Kurienangehörigen. Da die Investiturprotokolle in aller Regel nur sehr knappe Informationen über Personen enthalten, muss deren Identität in jedem Fall anhand von ergänzenden Quellen sorgfältig geprüft werden.[10] Die Auswertung der Protokolle liefert wichtige Beiträge zur Geschichte einzelner Pfarreien. In ihnen finden sich Hinweise zur Seelsorge und zur Arbeit der bischöflichen Verwaltung und der nachgeordneten Stellen wie Archidiakonate und Dekanate. Weitere traditionelle Fragestellungen an die Quellengattung sind jene nach den Patrozinien oder den Patronatsrechten.[11] Die Investiturprotokolle können ferner Aufschlüsse über Mobilitätsmuster der Geistlichkeit geben. Neudotationen geben Hinweise auf Veränderungen im Frömmigkeitsverhalten. Auch weitere sozial- und medizingeschichtliche Hinweise, etwa Informationen über Priesterehen oder Sammelpatente für Kranke, sind in die Texte eingeflossen.[12]
Hinweise zur Benutzung
Die Originale der Investiturprotokolle der Diözese Konstanz wurden sicherheitsverfilmt und können nach Voranmeldung im Erzbischöflichen Archiv Freiburg an Mikrofilmlesegeräten eingesehen werden.
Die genannten libri spiritualium des Bistums Speyer setzen sich zusammen aus den Bänden 415–418, 420 und 421 sowie 425–429, die als Teile des Bestands 67 im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrt werden.[13]
Die beiden Bände mit Regesten über die Investituren im Bistum Straßburg wurden von Médard Barth in der Zeitschrift „Archives de l'Eglise d'Alsace“ aufbereitet.[14]
Die Protokolle des Bistums Würzburg wurden durch einen Bombenangriff im Jahr 1945 zerstört. Die Quelle war allerdings zuvor noch für die Schaffung einiger Arbeiten herangezogen worden, die heute wiederum Auskunft über diese geben.[15]
Forschungs- und Editionsgeschichte
Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz bis zum Jahr 1500 wurde in den Jahren 1939–1954 von Manfred Krebs in der Schriftenreihe Freiburger Diözesanarchiv ediert. Für das 16. Jahrhundert erfolgte die Edition von Franz Hundsnurscher und Dagmar Kraus in den Jahren 2008 bis 2010. In der edierten Form wurde die chronologische Anordnung der Eintragungen aufgehoben. Die Anordnung erfolgte nun nach Ortsbetreffen und einzelnen Pfründen.
Anmerkungen
[1] Hundsnurscher, Investiturprotokolle, S. IX.[2] Kraus, Bedeutung, S. 37.
[3] Ebd., S. 47f.
[4] Kraus, Tagungsbericht.
[5] Quarthal, Einführung, S. 30.
[6] Kraus, Einführung, S. 1099.
[7] Barth, Quellen.
[8] Kraus, Tagungsbericht.
[9] Ebd.
[10] Kraus, Bedeutung, S. 39.
[11] Quarthal, Einführung, S. 26
[12] Kraus, Bedeutung, S. 53.
[13] Eine ausführliche Quellenkritik bietet: Rödel, „libri spiritualium“.
[14] Barth, Quellen.
[15] Weiß, Pfründenverleihungen; Kandler, Ernennungslisten; Ehrensberger, Geschichte.
Literatur
- Barth, Médard, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der Pfarreien des Bistums Strassburg im Mittelalter, in: Archives de l‘Eglise d‘Alsace 2 (1947/48), S. 63–172.
- Barth, Médard, Der Liber Investiurarum sub Erasmo Episcopo Argentinensi datarum (1541–1568), in: Archives de l‘Eglise d‘Alsace 6 (1955), S. 69–102.
- Ehrensberger, Hugo, Zur Geschichte der Landkapitel Buchen und Mergentheim (Lauda), in: Freiburger Diözesan-Archiv (FDA) 31 (1903), S. 322–357.
- Hundsnurscher, Franz, Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahrhundert (1997), in: Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahrhundert, Tl. 1: Aach – Kurzenbach, bearb. von Dems. (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A Quellen 48), Stuttgart 2008, S. IX–XI.
- Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahrhundert, 3 Tle., bearb. von Franz Hundsnurscher/Dagmar Kraus (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A Quellen 48/49), Stuttgart 2008/2010.
- Kandler, Norbert, Ernennungslisten mit Klerikern und Pfründen des 15. und 16. Jahrhunderts in der Diözese Würzburg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 57 (1995), S. 163–224.
- Kraus, Dagmar, Einführung, in: Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahrhundert, Tl. 3: Einführung, Verzeichnisse, Register, bearb. von Ders. (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A Quellen 49), Stuttgart 2010, S. 1095–1130.
- Kraus, Dagmar, Bedeutung und Auswertungsmöglichkeiten der Konstanzer Investiturprotokolle des 16. Jahrhunderts, in: FDA 131 (2011), S. 33–55.
- Kraus, Dagmar, Tagungsbericht: Per nos institutum – Die Besetzung kirchlicher Pfründen vom 15. bis 17. Jahrhundert. Quellen – Überlieferungssituation – Auswertungsmöglichkeiten, 04.03.2011 Freiburg im Breisgau, in: H-Soz-Kult, 08.08.2011, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3785 (29.06.2017).
- Krebs, Manfred, Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 15. Jahrhundert Tl. 1, in: FDA 66 (1938), Anhang: S. 1–104; Tl. 2 in: FDA 67 (1940), Anhang: S. 105–264; Tl. 3 in: FDA 68 (1941), Anhang S. 265–424; Tl. 4 in: FDA 70 (1950), Anhang S. 425–546; Tl. 5 in: FDA 71 (1951), Anhang S. 547–642; FDA 72 (1952), Anhang S. 643–786; FDA 73 (1953), Anhang S. 787–1047; Register in: FDA 74 (1954), Anhang S. 1–160.
- Quarthal, Franz, Einführung: Forschungsstand und workshop-Konzeption, in: FDA 131 (2011), S. 23–32.
- Rödel, Volker, Die „libri spiritualium“ des Bistums Speyer, in: FDA 131 (2011), S. 87–99.
- Weiß, Ludwig, Pfründenverleihungen im Nordosten des Bistums Würzburg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Auszüge aus dem 1945 verbrannten Liber Collationum I), in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 26 (1964), S. 227–254.
Quellen
- Erzbischöfliches Archiv Freiburg Ha 105–120.
Zitierhinweis: Tobias Binkert, Investiturprotokolle, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: […], Stand: 19.9.2017.