Ausschreiben (Spätmittelalter)

Von Erwin Frauenknecht und Peter Rückert

Generalreskript Herzog Ulrichs an seine Lehenleute und Untertanen, ihn wieder als Landesherrn anzuerkennen vom 1. Mai 1534, Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A84 Bü 29
Generalreskript Herzog Ulrichs an seine Lehenleute und Untertanen, ihn wieder als Landesherrn anzuerkennen vom 1. Mai 1534, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 84 Bü 29 )

Definition der Quellengattung

Eine präzise Definition der Quellengattung „Ausschreiben“ fehlt bislang. Dem Gattungsbegriff eignet ein relativ unscharfer Charakter, der von inhaltlich konnotierten Begriffen wie „Edikt“ oder „Mandat“ vielfach überlagert wird. Im Sinne der älteren neuzeitlichen Aktenkunde ist ein Ausschreiben ein „farbloser, vieldeutiger Ausdruck für amtliche Ausgänge mit allgemeiner Adresse“.[1] Neuere Übersichten ordnen Ausschreiben speziell dem Bereich der „routinemäßige(n) Ladungsschreiben“[2] zu. Überlappungen bestehen vor allem im Bereich der Briefüberlieferung (Offene Briefe, litterae patentes) oder auch zu anderen archivalischen Gattungen wie Missiven oder Sendschreiben.

Grundsätzlich gelten Ausschreiben als schriftliche Erklärungen herrschaftlicher bzw. amtlicher Institutionen mit einem erkennbaren Publizitätswillen. Ausschreiben sind demnach in Abgrenzung zu Briefen als Schriftstücke anzusprechen, die sich dezidiert an eine (spezielle) Öffentlichkeit wenden. Auch sie gehen wie die Briefe von einem konkreten Absender bzw. Auftraggeber aus, stellen allerdings per se öffentliche Kommunikation her – selbst wenn die Schreiben nur an einen konkreten Empfänger gerichtet sind. Im Gegensatz zur Urkunde fehlt dem Ausschreiben in der Regel ein Beglaubigungsmerkmal.

Aufbau und Inhalt

In Archiven und Bibliotheken werden Ausschreiben normalerweise nicht in eigenen Beständen greifbar, sie begegnen aber als rezente Gattungsbezeichnung in den Findmitteln. Die facettenreiche äußere Erscheinungsform von Ausschreiben wird durch ihre Überlieferungsform bestimmt – sie liegen sowohl in handschriftlicher Überlieferung als auch in gedruckter Form vor. Aus der hieraus gerade in den Bibliotheken abgeleiteten bestandsgeschichtlichen Trennung resultieren weitere gattungsspezifische Überschneidungen, etwa gegenüber Einblattdrucken, Flugblättern oder Flugschriften.

Eine von diesen genannten Gattungen abgesetzte, spezifische Form von Ausschreiben gibt es nicht, der Formenapparat kann dem von Urkunden oder Briefen demnach sehr ähnlich sein. Inhaltlich ist es aber die dezidierte Information einer „Öffentlichkeit“, die zur Gattungsabgrenzung beiträgt.

Überlieferungslage

In der breiten Überlieferung des Landesarchivs Baden-Württemberg finden sich spätmittelalterliche herrschaftliche Ausschreiben verstärkt in den politischen Auslesebeständen. Innerhalb der Überlieferung des württembergischen Hausarchivs und der württembergischen Kanzlei (HStA Stuttgart A 602) sind zahlreiche Ausschreiben handschriftlich oder als Inkunabeln bzw. Frühdrucke erhalten. Diese Form öffentlicher und politischer Kommunikation dokumentieren im frühen 16. Jahrhundert etwa auch zahlreiche Ausschreiben in den Beständen „Armer Konrad“ (A 45) oder „Vertreibung Herzog Ulrichs“ (A 84). Hierbei geht es in der Regel um eine konkrete Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. Die Ausschreiben werden damit zu Medien politischer Propaganda. Dem entspricht die Beobachtung, dass Ausschreiben verstärkt in Krisenzeiten von herrschaftlichen Institutionen eingesetzt werden.[3]

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

In ihrer Ausgestaltung sind Ausschreiben zunächst älteren Entwicklungslinien schriftlicher Kommunikation verpflichtet. Ein wichtiges Element aus der klassischen Brieflehre bildet schon der Briefkopf: Die Nennung von Empfänger und Absender sowie die Grußformel gehören auch zum formal-rhetorischen Grundbestand der Ausschreiben.[4] Neuere Forschungen an herrschaftlichen Korrespondenzen zeigen, wie differenziert solche an sich statischen Formeln verwendet wurden. Hier wären noch weitere Untersuchungen im Hinblick auf den Formenapparat der Ausschreiben zu leisten.

Neue kommunikationsgeschichtliche Forschungsansätze, die verstärkt materielle Aspekte in den Vordergrund stellen, stellen jetzt auch ein stärkeres Differenzierungspotential zur Analyse des Kommunikationsdesigns bereit: Äußere Merkmale des Layouts und die Zurichtung der Schriftträger (meistens Papier, im Ausnahmefall auch Pergament) bieten hier bereits Zugänge zum besseren Verständnis dieser Schriftformen öffentlicher Kommunikation. Ein differenzierender Blick auf die besonderen Merkmale der Einzelstücke kann hier methodisch und inhaltlich weiterführen und auch zur weiteren Gattungsdefinition beitragen.

Hinweise zur Benutzung

Wie bei den oben genannten einschlägigen Auslesebeständen des Landesarchivs lassen sich Ausschreiben am ehesten durch ihre im archivalischen Kontext verwendete Gattungsbezeichnung ermitteln. Da die Digitalisierung dieser Bestände bereits weit fortgeschritten ist, werden zahlreiche Ausschreiben inzwischen auch als Images online präsentiert.

Forschungs- und Editionsgeschichte

Durch den zurückhaltenden Umgang mit „Ausschreiben“ als Quellengattung, die in der herkömmlichen Aktenkunde oft unter inhaltlich konnotierten Formen subsumiert wird, gilt die Gattungsbeschreibung noch als Desiderat. Aktuelle kommunikationsgeschichtliche Forschungsansätze lassen gerade im Vergleich mit der sich profilierenden Briefelehre ein besonderes Potenzial erkennen, das den eigenständigen formalen Rang der Ausschreiben in medialen Prozessen unterstreicht. Entsprechend der indifferenten und verkrusteten Gattungsgeschichte liegen bislang auch nur vereinzelt (Teil-)Editionen herausragender Ausschreiben von besonderer historischer Bedeutung vor (z.B. das „Wormser Edikt“).

Anmerkungen

[1] Meisner, Archivalienkunde, S. 291.
[2] Hochedlinger, Aktenkunde, S. 131.
[3] Vgl. Kloosterhuis, Aktenkunde.
[4] Holzapfl, Kanzleikorrespondenz.

Literatur:

  • Antenhofer, Christina/Herold, Jürgen, Der Briefwechsel um Barbara Gonzaga im Kontext des spätmittelalterlichen Korrespondenzwesens, in: Barbara Gonzaga: Die Briefe (1455-1508), bearb. von Christina Antenhofer/Axel Behne/Daniela Ferrari/Jürgen Herold/Peter Rückert, Stuttgart 2013, S. 50-78.
  • Der „Arme Konrad“ vor Gericht. Verhöre, Sprüche und Lieder in Württemberg 1514. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, bearb. von Peter Rückert unter Mitarb. von Andrea Heck, Stuttgart 2014.
  • Böhn, Andreas/Seidler, Andreas Mediengeschichte: eine Einführung, Tübingen, 2. Aufl., 2014.
  • Briefe aus dem Spätmittelalter. Herrschaftliche Kommunikation im deutschen Südwesten, hg. von Peter Rückert/Nicole Bickhoff/Mark Mersiowsky, Stuttgart 2015.
  • Briefe in politischer Kommunikation vom Alten Orient bis ins 20. Jahrhundert, hg. von Christina Antenhofer/Mario Müller (Schriften zur politischen Kommunikation 3), Göttingen 2008.
  • Freiheit – Wahrheit – Evangelium. Reformation in Württemberg. Katalogband zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, bearb. von Peter Rückert unter Mitarb. von Alma-Mara Brandenburg/Eva-Linda Müller, Ostfildern 2017.
  • Herold, Jürgen, Von der „tertialitas“ zum „sermo scriptus“. Diskurswandel im mittelalterlichen Briefwesen und die Entstehung einer neuen Briefform von der Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, in: Briefe in politischer Kommunikation, S. 83-113.
  • Hochedlinger, Michael, Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, München/Wien 2009.
  • Holzapfl, Julian, Kanzleikorrespondenz des späten Mittelalters in Bayern. Schriftlichkeit, Sprache und politische Rhetorik (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 159), München 2008.
  • Kloosterhuis, Jürgen, Amtliche Aktenkunde der Neuzeit. Ein hilfswissenschaftliches Kompendium, in: Archiv für Diplomatik 45 (1999), S. 465-563, auch online unter: https://www.gsta.spk-berlin.de/amtliche_aktenkunde_552.html, (09.06.2016).
  • Köhn, Rolf, Korrespondenz, in: Enzyklopädie des Mittelalters, hg. von Gert Melville/Martial Staub, Bd. 1, Darmstadt 2008, S. 311-317.
  • Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, hg. von Heinz-Dieter Heimann in Verbindung mit Ivan Hlaváček, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998.
  • Kuriale Briefkultur im späteren Mittelalter. Gestaltung – Überlieferung – Rezeption, hg. von Tanja Bröser/Andreas Fischer/Matthias Thumser (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 37), Köln/Weimar/Wien 2015.
  • Meisner, Heinrich Otto, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Göttingen 1969.
  • Papier im mittelalterlichen Europa. Herstellung und Gebrauch, hg. von Carla Meyer/Sandra Schultz/Bernd Schneidmüller (Materiale Textkulturen 7), Berlin 2015.
  • Steinhausen, Georg, Deutsche Privatbriefe des Mittelalters, Bd. 1: Fürsten und Magnaten, Edle und Ritter, Berlin 1899.
  • Wilke, Jürgen, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2008.

Zitierhinweis:  Erwin Frauenknecht/Peter Rückert, Ausschreiben (Spätmittelalter), in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 06.03.2018.

 

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