Blinden- und Sehbehindertenschule Heiligenbronn

von Ewald Graf

 

„Sr. Gonzaga mit Schülern an Braille-Schreibmaschinen 1959“: Blindenlehrerin Schwester Gonzaga Fischer 1950 beim Unterricht an Blindenschrift-Schreibmaschinen [Quelle: Kasenbacher/Archiv Stiftung St. Franziskus]. Aus rechtlichen Gründen wurden die Gesichtszüge der abgebildeten Personen anonymisiert. Zum Vergrößern bitte klicken.
„Sr. Gonzaga mit Schülern an Braille-Schreibmaschinen 1959“: Blindenlehrerin Schwester Gonzaga Fischer 1950 beim Unterricht an Blindenschrift-Schreibmaschinen [Quelle: Kasenbacher/Archiv Stiftung St. Franziskus]. Aus rechtlichen Gründen wurden die Gesichtszüge der abgebildeten Personen anonymisiert. Zum Vergrößern bitte klicken.

Die Anfänge des Blindenunterrichts in Heiligenbronn reichen bis ins Jahr 1868 zurück, als die beiden ersten blinden Mädchen aufgenommen wurden. Das Kloster Heiligenbronn entwickelte sich bald zu einer angesehenen Bildungsstätte, der auch die württembergische Königin Olga 1877 einen Besuch abstattete. Die Räumlichkeiten wurden um 1900 mit der Aufstockung der Klosterhof-Gebäude bei der Wallfahrtskirche ausgeweitet. Mit dem Schulneubau im Jahr 2012 trug die Stiftung St. Franziskus dem Bedarf an funktionalen Räumen für mehrfachbehinderte blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche Rechnung. Heute fungiert das heutige Sonderpädagogogische Bildungs- und Beratungszentrum Heiligenbronn Förderschwerpunkt Sehen auch als schulisches Taubblindenzentrum für Baden-Württemberg.

Nach den schwierigen Kriegsjahren 1939-1945 verzeichnete die Blindenschule in den Jahrzehnten darauf eine steigende Schülerzahl. Trotz starkem Lehrermangel in den 1960er Jahren – die Zahl der Ordensschwestern war bereits rückläufig – konnte das schulische Angebot mit Hauptschul- oder Sonderschulabschluss dennoch ausdifferenziert und erweitert werden z.B. um ein Mobilitätstraining, bei dem blinde und sehbehinderte Menschen lernen, ihre alltäglichen Wege mit Hilfe des Langstocks selbständig zu bewältigen. 1966 begann ein Beratungslehrer mit der ambulanten Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kleinkinder. 1971 wurde eine eigene Abteilung für Sehbehinderte etabliert. Die berufliche Ausbildung wurde intensiviert. Eine Kaufmännische Berufsschule für Blinde und Sehbehinderte bestand bis 1978. Ausbildungen in den Werkstätten des Klosters standen auch den Blinden und Sehbehinderten offen, insbesondere natürlich die seit dem 19. Jahrhundert bestehenden Blindenwerkstätten mit Korbmacherei und Bürstenmacherei.

Der schulische Unterricht war in Heiligenbronn traditionell auf blinde Kinder und Jugendliche ausgerichtet. Erst in der Nachkriegszeit wurden auch hochgradig sehbehinderte Schüler gezielter gefördert, die bis dato Blindentechniken erlernen mussten, obwohl sie über Sehreste verfügten. Sehbehinderte Schüler können ihre noch vorhandene Sehkraft nutzen z.B. bei stark vergrößerten Ausdrucken oder an Bildschirmen. Auch taubblinde bzw. hörsehbehinderte Schüler wurden bereits vereinzelt aufgenommen und unterrichtet.

Blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler, die in Heiligenbronn unterrichtet wurden, lernten dank ihrer geistigen und ihrer Hörfähigkeiten sowie ihrer Hilfsmittel relativ gut. Bei kognitiven Einschränkungen wurden sie jedoch wie auch an der Gehörlosenschule in andere Betreuungs- und Bildungseinrichtungen vermittelt. Gegenüber der Gegenwart war für die meisten der blinden und sehbehinderten Kinder und Jugendlichen die Unterbringung in einer Blindenschule bis zum Ende des 20. Jahrhunderts aber immer noch selbstverständlich – im Fall von Heiligenbronn war dies meist auch gleichbedeutend mit dem Einzug ins Heim. In der Gegenwart machen seither Mobilität, Hilfsmittel und die verstärkte Aufgeschlossenheit der allgemeinen Schulen auch eine wohnortnahe Beschulung leichter möglich.

Gewalt- und Leiderfahrungen machten diese jungen Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit in der Heimkinderzeit ebenfalls, zumal sie oft stark auf Hilfe anderer angewiesen waren. Das Angebot, darüber ins Gespräch zu kommen und den früheren Heimaufenthalt in seinen positiven wie negativen Seiten aufzuarbeiten, bietet das Archiv von Kloster und Stiftung St. Franziskus ebenso wie Schwestern des Klosters und Mitarbeiter der Stiftung. Im Archiv der Stiftung sind die Schülerakten seit 1919 erhalten.

 

Kontaktadresse:

Archiv der Stiftung St. Franziskus und des Klosters Heiligenbronn

Haus St. Raphael

archiv@stiftung-st-franziskus.de

Telefon 07422 569-3306

Adresse: Kloster 2, 78713 Schramberg

 

Zum Autor: Ewald Graf leitet seit 2018 das Archiv der Stiftung St. Franziskus. Zuvor war er Leiter des Referats Kommunikation und Mitbegleiter einiger geschichtlicher Projekte und Publikationen der Stiftung.

 

ZitierhinweisEwald Graf, Blinden- und Sehbehindertenschule Heiligenbronn, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 09.02.2022.

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