Abwasserprobleme in der frühneuzeitlichen Stadt

Hier geht es um Gestank – und wie Nachbarschaft trotzdem funktioniert. 1532 wollte der Baden-Badener Bürger Georg Hose die Schlafkammer im Obergeschoss seines Hauses vergrößern und dazu die Gartenmauer überbauen. Schwägerschaft und Freundschaft verbanden ihn mit seinem Nachbarn – so beteuert der Urkundentext –, aber es hatte auch schon einen Prozess gegeben, und vor allem hatte der Nachbar als Jurist wohl die besseren Karten. Außerdem handelte es sich dabei um den Altkanzler Dr. Jakob Kirser, noch immer angesehener markgräflicher Rat und bereits auf dem Absprung aus der engen Bürgerstadt ins fast-adlige Landleben – ein Jahr zuvor hatte er Schloss Waldsteg bei Bühl gekauft. So konnte Kirser offenbar die Bedingungen des Anbaus diktieren. Er benutzte die Gelegenheit nicht nur, um sein Grundstück um einen Zipfel zu vergrößern, sondern auch, um endlich das im Wortsinn offene Problem des nachbarlichen Abwassers zu regeln. Dass die Dohle fest zu verschließen war, war noch das einfachste. Dazu hatte Georg Hose eine Filteranlage mit kiesse und steynwacke einzurichten, damit sich abseygen, purgiren und lutern könne, was angeflossen kam. Und was kam außer Kot? Hewe (Heu), grasse, gethücht (Zeug, also Stoff), bapier oder anders, so man by heimlichen gemachen pflegt zu gebrauchen. Damit er aber die unlust des Dr. Kirser so wenig wie möglich reizte, musste Hose auch versprechen, das heimliche Gemach, den Abort, überhaupt nur zu benutzen, wenn grosse schleg regen (Schlagregen) sind. Ob das wohl klappte? Die Sorge des Altkanzlers reichte im Übrigen nur bis zum gemeinsamen Abflussloch an der Mauer, es sollte eine Spanne groß sein. Dann lief alles die strassen herabe.

Abwasserstreit gehörte zum Alltag der Stadt in der frühen Neuzeit. Prozesse um den Verlauf von Dachrinnen konnten sogar das Reichskammergericht erreichen; wir verdanken solchen Prozessakten nicht nur Aufschlüsse zu Haustechnik und Stadthygiene, sondern im Glücksfall auch Baupläne und Ansichten, die uns die unbekannte Stadt erschließen, abseits der öffentlichen Gebäude und Plätze. Unsere Abbildung stammt aus einem solchen Prozess; 1600 stritt sich der Pforzheimer Bürgermeister Peter Gösslin mit zwei Nachbarn, Hans Dietrich Nothaft von Hohenberg und Elisabeth Mahler, um den gemeinsamen Wasserabfluss in der Nähe des Brötzinger Tors. Das geheime Gemach im Nothaft'schen Haus heißt hier Privet, wir sehen gleich vier davon, sogar im ersten Speichergeschoss, wo vermutlich das Gesinde seine Kammern neben den Vorräten hatte.

Solche Quellen lassen sich jetzt leichter entdecken, weil die Neuinventarisierung des Karlsruher Reichskammergerichtsbestands abgeschlossen ist. Neu zugänglich ist aber auch der Fall aus Baden-Baden: Aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnten die zentralen badischen Urkundenbestände des Generallandesarchivs, die Bestände 36–38, aus ihrer handschriftlichen Fassung des 19. Jahrhunderts 2010 konvertiert und online gestellt werden.

Konrad Krimm

Quelle: Archivnachrichten 42 (2011), S.10-11.
 

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