„ … mit Gefahr seines eigenen Lebens vom Ertrinken gerettet.“

Ein Lebensretter in Wertheim

 Die „Rettungs-Tafel zur Wiederbelebung der Scheintodten“ Vorlage: Landesarchiv BW, StAWt-A 52I Nr. 311
Die „Rettungs-Tafel zur Wiederbelebung der Scheintodten“ ist zwar von der Großherzoglich Badischen Regierung des Oberrheins herausgegeben worden, wurde aber offenbar auch im Bereich Wertheim angewandt. Vorlage: Landesarchiv BW, StAWt-A 52I Nr. 311

Es geschah an einem Samstag im März des Jahres 1809 nachmittags zwischen 14 und 15 Uhr, dass der Wertheimer und Tagelöhner Carl Fiedler in die Tauber fiel. Er war mit Arbeiten am Wehr, das zur Stadtmühle gehörte, beschäftigt gewesen und wahrscheinlich auf dem glitschigen Untergrund ausgerutscht. Zeuge des Unglücks war der Ziegler Hieronymus Altmann, der sich sofort in die Fluten stürzte. Im Frühjahr führt die Tauber meist recht viel Wasser, weshalb Altmann den Verunglückten nicht erreichen konnte, ohne sein eigenes Leben zu riskieren. Er kehrte also an Land zurück, lief aber neben dem Fluss her, um Fiedler zu überholen, was ihm auch gelang. Gegenüber dem Städtischen Wasserbau sprang er ein zweites Mal ins Wasser, erreichte diesmal das Opfer und brachte es an Land. Sofort konnte Hilfe geleistet werden und Fiedler überlebte. Schon nach wenigen Tagen nahm er wieder seine Arbeit auf, was in Zeiten, in denen es keine Lohnfortzahlung bei Krankheit gab, für Geringverdiener lebenswichtig sein konnte.

Das Stadtamt in Wertheim fühlte sich nun verpflichtet, den Lebensretter zu belohnen. Aus der Polizeikasse wurden ihm zwei Carolin als Geldgeschenk überreicht. Dieser Betrag hatte immerhin den Gegenwert von drei Goldgulden oder elf normalen Gulden. Zu dieser Zeit kostete ein sechs Pfund schwerer Laib Brot 12 ½ Kreuzer, ein Pfund Schweinefleisch 12 Kreuzer und ein Pfund Ochsenfleisch zehn Kreuzer. Altmann erhielt also den Gegenwert für ungefähr 53 Laib Brot, 55 Pfund Schweinefleisch oder 66 Pfund Ochsenfleisch. Nicht zu verachten!

Aber auch für seine Ehrung wurde gesorgt: Im Löwenstein-Wertheimischen gemeinschaftlichen Bezirksblatt, das einmal in der Woche erschien, wurde seine edelmütige Tat öffentlich gemacht. Unter Gefahr für sein eigenes Leben habe er den Carl Fiedler vor dem Ertrinken gerettet. Heute würde er vom Ministerpräsidenten als Lebensretter ausgezeichnet werden.

Ob Hieronymus Altmann wohl die Rettungs-Tafel zur Wiederbelebung der Scheintodten kannte, die die Großherzoglich Badische Regierung des Oberrheins kurz zuvor herausgegeben hatte? Es kann zwar nicht nachvollzogen werden, wann und auf welchem Weg sie zur Landvogtei Wertheim gekommen war, denn die Zuständigkeit für den Raum Wertheim lag zu diesem Zeitpunkt bei der Niederrheinregierung in Mannheim. Ein Rückvermerk auf der Druckschrift lässt jedenfalls die Vermutung zu, dass sie in Wertheim bekannt war: Auf Land- Vogteylichen Befehl zur Anwendung in würklichen Nothfällen. Vielleicht war sie im Rahmen von Überlegungen der löwensteinischen Justizkanzlei, die diese in den Jahren 1808 bis 1809 zur Anschaffung von Rettungsinstrumenten – heute würde man so etwas Notfallkoffer nennen – anstellte, nach Wertheim gelangt. Die Rettungs-Tafel aus dem Jahr 1808 enthält jedenfalls neben den allgemeinen Vorschriften, in denen an das Menschengefühl appelliert wird, auch Bestimmungen, wie gegenüber Ertrunkenen zu handeln wäre. Im Gegensatz zu heute wurden darunter auch die Mensche verstanden, die noch lebten. In 21 Punkten wird akribisch erklärt, was im Notfall zu tun ist: Vor allem soll Ruhe bewahrt werden.

Das scheint Altmann getan zu haben. Das Ergebnis gab ihm jedenfalls Recht.

 Martina Heine

Quelle: Archivnachrichten  50 (2015), S.6-7
 

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