Eingriff in bestehende Strukturen – Die Gründung und der Aufbau der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Aitrach EVS Kraftwerk 1957. Vorlage: Landesmedienzentrum LMZ805286
Aitrach EVS Kraftwerk 1957. Vorlage: Landesmedienzentrum LMZ805286

Am 20. Dezember 1909 wurde im Konzerthaus in Ravensburg beschlossen, dass das bis dahin nur partiell mit elektrischer Energie versorgte Oberschwaben flächendeckend bis zum letzten Hof mit Strom bedient werden soll. Zu diesem Zweck wurde das kommunale Unternehmen Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) – ein Gemeinschaftsprojekt von Amtskörperschaften – gegründet. Die Gründung und der Aufbau des Unternehmens bedeuteten für das damalige Oberschwaben ein beispielloses infrastrukturelles Großprojekt.

So war der Finanzbedarf für ein solches Werk enorm. Die Befürchtung, dass das Unternehmen zu einem finanziellen Desaster für die beteiligten Amtskörperschaften und damit für den Steuerzahler werden würde, wurde schnell laut. Schon früh erhoben sich deshalb Stimmen gegen das Projekt. Geargwöhnt wurde, dass von den Befürwortern negative Folgen verschwiegen und die positiven allzu vorteilhaft dargestellt würden. Auch nachdem endlich mit dem Bau des Werks kurz vor dem Ersten Weltkrieg begonnen wurde und 1914 zum ersten Mal Strom floss, bestand die Skepsis fort. Mit ihrem projektierten Versorgungsgebiet standen die OEW in einer Reihe mit den größten Energieversorgern in Württemberg. Um über die weiten Flächen liefern zu können, war deshalb der Aufbau eines verzweigten Leitungsnetzes erforderlich. Dabei stieß man gerade in den landwirtschaftlich geprägten Gebieten Oberschwabens auf Widerstände, da hierfür die Nutzung privater und öffentlicher Grundstücke notwendig wurde. Hier zeigt sich augenfällig die Ambivalenz, die mit dem Großprojekt verbunden war. Zwar wurde die Einführung der elektrischen Energie auf dem flachen Land allgemein begrüßt, dennoch sahen die Landwirte nur sehr ungern Leitungsmasten und Transformatorenhäuser inmitten ihrer Nutzflächen. Klagen wie jene, dass dadurch das Pflügen der Felder erschwert und der Ackerboden in seinem Wert gemindert sei, waren allgegenwärtig.

Hinzu kam die Veränderung des natürlichen Landschaftsbilds, die mit der Elektrifizierung einherging. Kritisiert wurde von Vertretern des Natur- und Heimatschutzes insbesondere die optische „Verwüstung“ der oberschwäbischen Landschaft durch Hochspannungsleitungen und Verteilungsanlagen in Ortschaften.

Um den steigenden Energiebedarf zu decken, wurde von den OEW in den 1920er Jahren begonnen, Wasserkraftwerke an der Iller zu errichten. Die hierfür nötigen technischen und baulichen Maßnahmen riefen auch dort Widerstand von Betroffenen hervor. So beklagten sich Fischereiberechtigte über eine Schmälerung ihrer Fangquoten durch die Kraftwerke und Kanäle oder darüber, dass durch den industriellen Eingriff die Ausübung der Fischerei gänzlich unmöglich sei.

Das Beispiel OEW zeigt einmal mehr, dass die Durchsetzung und der Betrieb infrastruktureller Großprojekte immer auch einen Eingriff in bestehende, gewachsene Strukturen bedeuten und damit – trotz aller Vorteile – Widerspruch und Skepsis auslösen kann.

 Daniel Wilhelm

Quelle: Archivnachrichten 51 (2015), S.28-29.

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