Wasserzeichen

Von Erwin Frauenknecht

Der Wasserzeichenforscher Gerhard Piccard (1909-1989)
Der Wasserzeichenforscher Gerhard Piccard (1909-1989)

Definition der Quellengattung

Wasserzeichen sind Erscheinungsformen im Papier. Sie entstehen als Papierzeichen beim Schöpfen des Papierbogens: Auf dem Schöpfsieb wird dazu zusätzlich ein feiner, gebogener Metalldraht angebracht, der an dieser Stelle die Dichte des Papiers reduziert. Nach dem Trocknungsvorgang wird dann das Wasserzeichen im Gegenlicht sichtbar. Wasserzeichen sind eine europäische Erfindung, wobei die Begrifflichkeit unterschiedliche Nuancen setzt. Die italienische Bezeichnung filigrana (franz. filigrane) nimmt Bezug auf die Drahtfigur, während Wasserzeichen (engl. watermark) stärker die Elemente des Entstehungsprozesses (Schöpfvorgang und Transparenz des Zeichens) betont. Wasserzeichen dienten als Herkunfts- oder Gütezeichen, einzelne Motive können zu Markenzeichen verschiedener Papiermühlen werden. Ihr Primärwert lag in der Kennzeichnung der Papierbögen.

Historische Entwicklung

Während Papier eine viel längere Tradition besitzt, sind Wasserzeichen eine genuin europäische Erfindung. Die frühesten Wasserzeichen sind 1271 bzw. 1282 in Italien dokumentiert. Papiermacher aus der Papiermühle in Fabriano brachten in ihre Bögen Zeichen mit Buchstaben, Kreuzen, Kreisen oder anderen einfachen Motiven ein. Von Italien aus verbreitete sich die Kennzeichnung von Papier mittels Wasserzeichen europaweit, zuerst noch als Papierimport italienischer Papiere. Im Zuge der Verbreitung der Papierherstellung verwendeten später auch Papiermühlen nördlich der Alpen Wasserzeichen, etwa in den beiden frühen Mühlen in Nürnberg oder Ravensburg (1390/91).

Die verwendeten Motive zeigen eine enorme Vielfalt aus der mittelalterlichen Bilder- und Symbolwelt. Krone, Dreiberg, Anker oder Waage etwa kommen als Wasserzeichenmotive häufig vor. Besonders verbreitet im 15. Jahrhundert war das Ochsenkopfwasserzeichen. Es begegnet sowohl in einer erstaunlichen Gleichförmigkeit als auch Variabilität. Vom 16. Jahrhundert an werden die Motive zunehmend komplexer. Die Drahtfiguren werden kunstvoller, häufig von speziellen Gold- oder Silberschmieden hergestellt. Gerade heraldische Motive können territoriale Bezüge der herstellenden Papiermühlen sichtbar machen (Stadtwappen etc.). Im ausgehenden 18. Jahrhundert begann eine Umbruchphase, durch neuartige Herstellungsverfahren bei der Papierproduktion und bei der Siebtechnologie (Vellinpapier) veränderte sich auch der Charakter der Wasserzeichen. Auf moderne Entwicklungen wie Maschinenwasserzeichen oder Ausprägungen als Sicherheitsmerkmal in Banknoten oder Personaldokumenten sei hier nur verwiesen.

Aufbau und Inhalt

Als Archivbestand steht die Wasserzeichensammlung Piccard (HStA Stuttgart J 340) als Solitär in der deutschen Archivlandschaft. Die Sammlung besteht aus rund 92.000 Wasserzeichenpausen, die mit Tusche auf genormte Karteikarten aufgetragen sind. Diese Karten hatte Gerhard Piccard (1909–1989), einer der bedeutendsten Wasserzeichenforscher weltweit, im Laufe von rund 40 Jahren angefertigt und als Teil seines Nachlasses dem Hauptstaatsarchiv überlassen.

Grundlage dafür waren Pausen auf Transparentpapier, die Piccard zwischen 1948 und 1974 bei zahlreichen Bibliotheks- und Archivbesuchen erstellt hatte. Auch diese Transparentpausen befinden sich im Nachlass. Zwischen den Pausen und den Karten bestehen auffällige quantitative Unterschiede, die noch zu klären sind.

Die Karten enthalten neben der maßstabsgetreuen Durchzeichnung des Wasserzeichens weitere Informationen zur Trägerhandschrift oder dem Archivale, von der das Wasserzeichen abgenommen wurde, dazu hat Piccard den Beschreibort und die Datierung angegeben.

Die gesamte Kartei war nach Motiven sortiert, Piccard orientierte sich zum Teil an ikonographischen oder heraldischen Systemen, natürlich auch an bestehenden Wasserzeichensammlungen, entwickelte aber im Grunde ein eigenes Klassifikationsschema, das die deutschsprachige Fachterminologie entscheidend prägte. Biologisch-mythologische Klassen (Mensch, Tier, Pflanzen, Fabelwesen) tauchen als Gruppen ebenso auf wie Gegenstände (Krone, Werkzeuge, Waffen) oder geometrische Zeichen.

Die wichtigsten Motivgruppen wurden zwischen 1961 und 1997 in 17 gedruckten Findbüchern veröffentlicht. Die komplette Kartei wurde 2006 digitalisiert und als Datenbank online gestellt (Piccard-Online). Es darf als Zeichen für die wissenschaftliche und technische Akzeptanz der Datenbank gelten, dass mittlerweile eine institutionenübergreifende Erweiterung stattgefunden hat: Seit 2014 präsentiert das Landesarchiv im Wasserzeichen-Informationssystem WZIS (www.wasserzeichen-online.de) sämtliche Zeichen aus Piccard-Online und zusätzlich weitere Wasserzeichenbelege aus verschiedenen Handschriftenzentren. Aus einer zunächst abgeschlossenen Datenbank ist ein offenes Erschließungssystem geworden, dessen Inhalt weiter anwachsen wird. Derzeit enthält WZIS rund 135.000 Belege und stellt damit weltweit die umfangreichste Forschungsinfrastruktur für Wasserzeichen dar.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Wasserzeichen dienen heute vor allem der Datierung von Papierdokumenten, ihr Sekundärwert ist also anders gelagert als ihre Entstehungsabsicht. Durch die methodischen Beiträge von Gerhard Piccard und anderer Forscher gelang der Nachweis, dass Papier mit demselben Wasserzeichen innerhalb kurzer Zeit produziert und meist auch beschrieben wurde. Zwischen Herstellung und Verbrauch lag in der Regel nur eine kurze Zeitspanne von wenigen Jahren, obwohl es durchaus Ausnahmen gab, etwa sogenanntes Restpapier, das vereinzelt erst Jahrzehnte später beschrieben wurde.

Bezogen auf die Datierung heißt das im Umkehrschluss: Über identische Wasserzeichen in datierten und undatierten Papieren lassen sich undatierte Handschriften, Texte oder Bilder zeitlich recht genau einordnen, meist geht man in der Forschung von einer Abweichung von +/- vier Jahren aus. Paläographische oder stilistische Vergleiche erzielen hingegen weit weniger genaue Ergebnisse. Unter identischen Zeichen versteht man Wasserzeichen, die absolut deckungsgleich in Größe und Motiv sind.

Das Datierungsraster wird umso genauer, je mehr datierte Wasserzeichenbelege für einen Vergleich zur Verfügung stehen. Ebenso entscheidend ist die Auswahl der ausgewerteten Bestände. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: In Piccards Wasserzeichenkartei sind ostdeutsche und französische Papiermarken deutlich unterrepräsentiert, weil Piccard kaum Archive oder Bibliotheken in diesen Regionen besucht hat. Die quantitative Erhöhung der Zahl der Belege ist daher ebenso ein Ziel wie die Erweiterung mit Belegen aus ausgewählten Beständen.

Methodisch ist die Wasserzeichenforschung mittlerweile fester Bestandteil der Historischen Hilfswissenschaften, im Bereich der Handschriftenerschließung oder bei der Erschließung früher Drucke werden Wasserzeichen aus Papierhandschriften als Datierungskriterium anerkannt. Aber auch andere Wissenschaftsdisziplinen nutzen den Erkenntniswert von Wasserzeichen. In der Musikwissenschaft, in der Kunstgeschichte, der Philologie, selbst im Restaurierungsbereich oder im Antiquariatshandel wird der Wasserzeichenexpertise große Wertschätzung entgegengebracht. Das Erkenntnisinteresse geht hierbei längst über Fragen zur Datierung hinaus. Der Sekundärwert der Wasserzeichen hat sich ausgeweitet. Papiergeschichtliche Untersuchungen nutzen die Interpretation von Wasserzeichen für die Rekonstruktion von Handelswegen, zur Erforschung einzelner Papiermühlen, allgemein auch für wirtschafts- oder mediengeschichtliche Fragestellungen.

Die digitale Präsentation der Wasserzeichenbelege hat die Auswertungsmöglichkeiten der Wasserzeichenbelege ganz erheblich erweitert. Als Kartei (HStA J 340) waren die Belege nur vor Ort eingeschränkt recherchierbar, ihre Online-Stellung über Piccard-Online und jetzt WZIS hat über das Internet einen weltweiten Zugriff ermöglicht. Die Relevanz für die wissenschaftliche Forschung hat sich stetig erweitert, nicht zuletzt auch, weil der quantitative Umfang steigt und dennoch stets eine homogene Erschließung zu Grunde liegt.

Hinweise zur Benutzung

Die Nutzung der Sammlung erfolgt mittlerweile ausschließlich über die Datenbank WZIS (www.wasserzeichen-online.de).

Die Online-Präsentation von WZIS bietet über ihre Startseite mehrere Rechercheoptionen: Eine Suche in den vorkommenden Wasserzeichenmotiven (Motive), eine gezielte Suche von Wasserzeichen in den verschiedenen Bibliotheks- oder Archivbeständen (Institutionen und Bestände) oder eine papierhistorisch ausgerichtete Suche nach Papiermachern oder Papiermühlen (Papierherstellung). Ein multilingualer Zugriff ermöglicht die Akzeptanz in der internationalen Forschung (Sprache). Als Beispiel verdeutlicht die folgende Detailansicht einige Möglichkeiten der Erweiterten Suche.

Hingewiesen sei auf die Flexibilität der Abfrage. Ein Benutzer kann in beliebig vielen Eingabezeilen Suchwerte mit zusätzlichen Kriterien und Parametern verfeinern. So lassen sich Wasserzeichen nach ihren Abmessungen suchen oder zeitlich eingrenzen, zudem können Beschreiborte des Papiers oder Papiermühlen in einer Karte zusätzlich visualisiert werden.

Forschungs- und Editionsgeschichte

Die Filigranologie, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Wasserzeichen, hat ihre Wurzeln im frühen 19. Jahrhundert. Damals erkannte man den Wert der Wasserzeichen als Datierungskriterium für Handschriften, zunächst wurden Wasserzeichen in kleinem Umfang gesammelt und geordnet. Einen wichtigen Meilenstein repräsentiert das 1907 veröffentlichte Repertorium „Les Filigranes“ des Genfer Papierhändlers Charles-Moïse Briquet (1839–1918). Darin enthalten sind über 16.000 nach Motiven geordnete Abbildungen (allerdings nicht maßstabsgetreu) von Wasserzeichen aus dem Zeitraum von 1282 bis 1600.

Bereits erwähnt wurden die zwischen 1961 und 1997 gedruckten Findbücher von Gerhard Piccard. Sie bilden einen weiteren herausragenden Markstein in der Wasserzeichenforschung, denn dadurch wurden rund 50.000 Zeichen aus Piccards Kartei für die Forschung zugänglich gemacht.

Durch solche Sammlungen wurde zum einen das Quellenmaterial wesentlich umfangreicher und zugänglicher, zum anderen ergaben sich durch ihre Interpretation und Auswertung richtungsweisende Erkenntnisse. 1956 veröffentlichte Gerhard Piccard in der Archivalischen Zeitschrift einen grundlegenden Beitrag mit dem programmatischen Titel „Die Wasserzeichenforschung als historische Hilfswissenschaft“. Zur Etablierung der Wasserzeichenforschung trug ein internationaler Forscherkreis bei, neben Briquet und Piccard wären etwa in Italien Aurelio Zonghi, in Russland Nikolai Petrovich Likhachev, in England Edward Heawood oder in Deutschland Karl Theodor und sein Sohn Wisso Weiß und vor allem Theodor Gerardy zu nennen. Insbesondere zwischen Piccard und Gerardy entwickelte sich eine kontrovers geführte Auseinandersetzung über methodische Grundprobleme bei der Datierung mit Wasserzeichen.

Die Internationalität der Fachwelt ist längst zum Markenzeichen der Wasserzeichenforschung geworden. Ein wichtiges Ergebnis solcher länderübergreifenden Anstrengungen ist das Bernstein-Portal (Bernstein – The memory of paper). In diesem Projekt werden wasserzeichenkundliche und papierhistorische Initiativen europaweit zusammengeführt. Alle wichtigen Wasserzeichensammlungen können über dieses Portal abgefragt werden. Neben WZIS etwa die „Wasserzeichen des Mittelalters“ (WZMA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften oder die Wasserzeichen aus frühen niederländischen Drucken (WILC – Watermarks in Incunabula in the Low Countries) sowie zahlreiche weitere kleinere Sammlungen.

Wichtige forschungsgeschichtliche Impulse setzten mehrere, vom Landesarchiv Baden-Württemberg initiierte Tagungsbände, stellvertretend sei genannt der 2017 erschienene Band mit dem Titel „Das Wasserzeichen-Informationssystem (WZIS). Bilanz und Perspektiven“.

Das digitale Zeitalter und neue technische Möglichkeit wirken sich vor allem auf dem Gebiet der Aufnahmeverfahren von Wasserzeichen aus. Die klassischen Formen der händischen Erfassung wie Durchzeichnung oder Durchreibung verlieren zunehmend an Bedeutung. Schon länger werden verschiedene Röntgenmethoden für Wasserzeichenaufnahmen eingesetzt (Betaradiographie, Elektronenradiographie). Die jüngste technische Neuerung im Bereich der digitalen Aufnahmen stellt der Einsatz von Infrarot- oder Thermographiekameras dar. Obwohl die Anschaffungskosten für diese Technik noch relativ hoch sind, ermöglicht das Aufnahmeverfahren exakte, maßstabsgetreue Abbildungen von Wasserzeichen in relativ kurzer Zeit. Die Erschließung von Wasserzeichen und ihre Bereitstellung in Datenbanken werden sich dadurch erheblich beschleunigen. Hier darf das Landesarchiv Baden-Württemberg durchaus den Rang eines internationalen Kompetenzzentrums beanspruchen.

Literatur

  • Ochsenkopf und Meerjungfrau. Papiergeschichte und Wasserzeichen vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, Wien, hg. von Peter Rückert/Sandra Hodeček/Georg Dietz/Emanuel Wenger, Stuttgart/Wien 2009.
  • Papier im mittelalterlichen Europa. Herstellung und Gebrauch, hg. von Carla Meyer/Sandra Schultz/Bernd Schneidmüller (Materiale Textkulturen 7), Berlin 2015.
  • Piccard-Online. Digitale Präsentationen von Wasserzeichen und ihre Nutzung, hg. von Peter Rückert/Jeannette Godau/Gerald Maier (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Serie A, 19), Stuttgart 2007.
  • Das Wasserzeichen-Informationssystem (WZIS). Bilanz und Perspektiven, hg. von Erwin Frauenknecht/Gerald Maier/Peter Rückert, Stuttgart 2017.
  • Wasserzeichen und Filigranologie. Beiträge einer Tagung zum 100. Geburtstag von Gerhard Piccard (1909–1989), hg. von Peter Rückert/Erwin Frauenknecht, Stuttgart 2011.

Zitierhinweis: Erwin Frauenknecht, Wasserzeichen, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: […], Stand: 18.12.2017.

 

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