Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen

Von Regina Grünert

Beratungsübersicht aus der Gesetzesakte zum Hochschulzulassungsgesetz, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS LA 2/201 Bü 910)
Beratungsübersicht aus der Gesetzesakte zum Hochschulzulassungsgesetz, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS LA 2/201 Bü 910)

Definition der Quellengattung

Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen sind systematische Sammlungen von Unterlagen, die im Landtag von Baden-Württemberg im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens anfallen. Sie dokumentieren die Entstehung von Landesgesetzen und spiegeln eine der vornehmsten Aufgaben demokratischer Volksvertretungen, die Gesetzgebung, wider.[1]

Die vom Parlament erlassenen Gesetze bilden die Grundlage für das Regierungshandeln in Baden-Württemberg. Das Recht zum Einbringen von Gesetzentwürfen, das sogenannte Gesetzesinitiativrecht, liegt bei der Regierung und den Abgeordneten. Werden entsprechende Entwürfe aus der Mitte des Plenums eingereicht, sind hierfür mindestens acht Abgeordnete oder eine Fraktion erforderlich. Bis zur 7. Wahlperiode wurden sie – in Abgrenzung zu Einbringungen der Regierung – als Initiativgesetzentwürfe bezeichnet.

Aufbau und Inhalt

Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen belegen wesentliche Teilschritte des normierten und gestuften Gesetzgebungsverfahrens, das durch eine Gesetzesinitiative angestoßen wird und mehrere Lesungen im Plenum umfasst. Die Erste Beratung dient der Erörterung des Gesetzentwurfs. Ihr folgt meist eine Überweisung in einen fachlich zuständigen Ausschuss, der den Entwurf prüft und Empfehlungen für das Plenum erarbeitet. Diese können Änderungen, aber auch die vollständige Annahme oder Ablehnung der Gesetzesinitiative nahelegen. In der Zweiten Lesung erfolgt auf Grundlage der Ausschussempfehlungen eine Beratung und Abstimmung der einzelnen Paragraphen. Handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um eine Verfassungsänderung oder ein Haushaltsgesetz, schließt sich eine dritte Beratung an.[2] Das Gesetzgebungsverfahren endet mit einer abschließenden Abstimmung über den gesamten Gesetzentwurf. Votiert die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten dafür, ist das Gesetz angenommen und wird Gegenstand eines Gesetzesbeschlusses. Lediglich für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Das angenommene Gesetz wird vom Ministerpräsidenten ausgefertigt und tritt mit seiner Verkündung im Gesetzblatt des Landes Baden-Württemberg in Kraft.

Gesetzesakten werden sowohl zu verabschiedeten als auch nicht verabschiedeten Gesetzesinitiativen angelegt und enthalten neben veröffentlichten auch unveröffentlichte Parlamentsmaterialien sowie darüber hinausgehende Dokumente. Sie beginnen in der Regel mit einer Beratungsübersicht, welcher in umgekehrt chronologischer Reihenfolge der Gesetzesbeschluss, die Anträge und der Gesetzentwurf folgen. Ergänzt werden sie meist durch Berichte und Empfehlungen der involvierten Ausschüsse, Schriftverkehr, Vermerke und weitere Unterlagen, die im Gesetzgebungsprozess relevant waren. Bei diesen Dokumenten handelt es sich meist um handschriftlich unterschriebene Originale.

Gesetzesdokumentationen werden in der Regel nur zu verabschiedeten Landesgesetzen angelegt. Auch sie beinhalten neben veröffentlichten unveröffentlichte Parlamentsmaterialien sowie darüber hinausgehende Dokumente. Sie vereinen in chronologischer Reihenfolge paginierte Kopien von Drucksachen des Gesetzentwurfs, eingereichter Anträge sowie Beschlussempfehlungen und Berichte. Hinzu kommen Protokolle der Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen, die endgültige Gesetzesfassung als Auszug aus dem Gesetzblatt und – falls vorhanden – externe Beratungsunterlagen wie Gutachten und Stellungnahmen von Sachverständigen. Meist werden sie in Buchform zusammengefasst und zur besseren Nutzung mit einem Inhaltsverzeichnis versehen. Während der Titel der Bände in der 3. bis 5. Wahlperiode „Beratungsmaterial zum Gesetz…“ lautete, werden sie nach einer kurzen Übergangszeit seit der 7. Wahlperiode als „Dokumentation zum Gesetz…“ bezeichnet.

Überlieferungslage

Während Gesetzesakten bereits zu Beginn eines Gesetzgebungsverfahrens im Plenar- und Ausschussdienst der Landtagsverwaltung angelegt werden, entstehen Gesetzesdokumentationen erst nach Abschluss desselben im Parlamentsarchiv. In beiden Fällen handelt es sich um reine Papierüberlieferungen, die zunächst im Landtagsarchiv verwahrt werden, wo sie – wie auch in vielen anderen deutschen Parlamenten – einen Sammlungsschwerpunkt bilden. Für den Landtag von Baden-Württemberg sind Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen aus der 3. bis 16. Wahlperiode erhalten. Auch wenn gegenwärtig keine Aussagen über ihre Vollständigkeit möglich sind, umfassen sie wesentliche Teile der baden-württembergischen Landesgesetzgebung in der Zeit zwischen 1960 und 2016.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen spiegeln die Gesetzgebung in Baden-Württemberg und damit eine der wichtigsten Aufgaben des dortigen Landesparlaments wider. Für die Auswertung dieser Quellen ist zu beachten, dass sie zunächst der internen Kommunikation der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Gremien und als Gedächtnisstütze für Landtagsverwaltung sowie Parlamentarier dienen sollen. Aus dieser Funktion ergibt sich auch ihr vorrangig dienstlicher Gebrauch. Darüber hinaus ermöglichen sie aber auch einen Nachweis über den korrekten Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und bieten vielfältige Auswertungsmöglichkeiten für historische, politikwissenschaftliche und juristische Forschung, so beispielsweise zur Entstehung von Landesgesetzen im Einzelnen, aber auch des Gesetzgebungsverfahrens im Allgemeinen.

Bisher werden sogenannte Gesetzesmaterialien[3] vor allem von Juristen genutzt. Sie bilden die Grundlage für die Anwendung einer historischen Methode, die es erlaubt, mehr über den jeweiligen Kontext eines Gesetzes zu erfahren und damit Hilfestellung bei dessen Interpretation und Anwendung zu erhalten. Der besondere Mehrwert solcher Sammlungen wird in der Möglichkeit gesehen, Rechtsnormen im Sinne „des historischen Gesetzgebers“ [4] auszulegen. Dabei wird den einzelnen Unterlagen, je nachdem welche Funktion sie innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens einnehmen, unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Je näher ein Dokument zum Gesetzesbeschluss steht, desto unmittelbarer spiegelt es den gesetzgeberischen Willen wider und umso wichtiger ist es für das Verständnis des jeweiligen Gesetzes.[5]

Darüber hinaus wird Gesetzesmaterialien eine wichtige praktische Rolle für die Rechtsanwendung zugeschrieben. So sind sie bei der Integration des jeweiligen Gesetzes in die Praxis von Bedeutung, da sie allgemeine „Informationen über das neue Recht und erste Orientierung für das Gesetzesverständnis in Schrifttum und Judikatur“ [6] bieten. Die Bedeutung der Materialien für die Rechtsanwendung wird aus juristischer Sicht aber auch am Alter des Gesetzgebungsaktes bemessen. Demnach würde mit zunehmendem Alter eines Gesetzes auch die Bedeutung der dazugehörigen Materialien schwinden. Auswirkungen auf den „Interpretationswert der Materialien“ [7] hat auch der sich wandelnde politische, soziale, wirtschaftliche und technische Kontext, der quellenkritisch einzubeziehen ist. Bei der Interpretation der Quellen ist auch die sich dem Gesetzgeber über die Gesetzesmaterialien bietende Möglichkeit einer bewussten Festschreibung der eigenen Sicht eines Gesetzes und damit Beeinflussung künftiger Auslegungen zu berücksichtigen.

Hinweise zur Benutzung

Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen wurden für den Dienstgebrauch des Landtags erstellt und nur in Ausnahmefällen externen Nutzern für wissenschaftliche Forschung zugänglich gemacht. Mit der Überführung der Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen der 3. bis 14. Wahlperiode ins Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Beständeserie LA: Landtag seit 1945) sind diese nach Ablauf der gesetzlichen Sperrfrist von 30 Jahren für die Nutzung freigegeben.

Einzelne, das Gesetzgebungsverfahren betreffende Unterlagen sind bereits veröffentlicht und auf unterschiedlichen Wegen zugänglich. Drucksachen und Plenarprotokolle werden im Hauptstaatsarchiv Stuttgart in analoger und digitaler Form verwahrt und unterliegen keiner Sperrfrist. In der Infothek des Landtags von Baden-Württemberg sind sie als gebundene Bände nutzbar. Ab der 12. Wahlperiode (seit 1996) können sie zudem als Digitalisate auf der Homepage des Landtags eingesehen werden. Drucksachen und Plenarprotokolle in elektronischer Form finden sich auch auf der Homepage der Württembergischen Landesbibliothek, bieten jedoch keine Möglichkeit der Volltextrecherche, was eine übergreifende Auswertung erschwert. Eine formale und inhaltliche Auswertung der Drucksachen erfolgt über die Parlamentsdokumentation des Landtags von Baden-Württemberg. Ihre Ergebnisse werden in einem Register zusammengefasst, das in Papierform und teils auch elektronisch einsehbar ist. Zudem bietet ein gleichnamiges Online-Angebot ein weiteres wichtiges Rechercheinstrument, da es eine übergreifende Suche in den parlamentarischen Vorgängen, Drucksachen und Plenardebatten ab der 9. Wahlperiode (seit 1984) bietet. Ab 1996 sind die Erschließungsdaten auch mit dem jeweiligen Dokument verknüpft. Eine übergreifende Suche in allen Dokumentationen deutscher Landesparlamente ist über den sogenannten „Parlamentsspiegel“ möglich, der ebenfalls online bereitgestellt wird.

Auskunft über die Entwicklung einzelner Landesgesetze seit 1952 bietet zudem die beim Informationsdienst des Landtags von Baden-Württemberg gepflegte Landesgesetzeskartei. Die Möglichkeit eines Zugriffs auf alle gültigen Gesetze und Vorschriften des Landes Baden-Württemberg eröffnet darüber hinaus das Portal Landesrecht BW.

Forschungs- und Editionsgeschichte

Gesetzesmaterialien im weitesten Sinne werden vor allem in juristischen Publikationen als Quelle benannt und reflektiert,[8] wobei die Einschätzung ihrer Bedeutung sehr unterschiedlich ausfällt.[9] Einen Überblick über die unterschiedlichen Positionen sowie eine aktuelle Beurteilung der Bedeutung und Gestaltung von Gesetzesmaterialien aus der Perspektive der Rechtsgeschichte, des Verfassungsrechts, der ministeriellen Praxis und des Rechtsvergleichs bietet der Sammelband „Mysterium ‚Gesetzesmaterialien‘“,[10] der zum gleichnamigen Symposium am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht erschienen ist.

Anmerkungen

[1] Niedergelegt ist die gesetzgebende Gewalt in Artikel 27 Absatz 2 der Landesverfassung. Ihre konkrete Ausgestaltung findet sich in der Geschäftsordnung des Landtags.
[2] Gemäß der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg gilt dies erst seit der 9. Wahlperiode (1984–1988). In den vorhergehenden Legislaturperioden wurden alle Gesetzentwürfe in drei Lesungen beraten.
[3] Für den Begriff „Gesetzesmaterialien“ existiert keine feste Definition. Im weitesten Sinne ist sie eine zusammenfassende Bezeichnung für alle Dokumente, die im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens entstehen.
[4] Hopf, Gesetzesmaterialien, S. 102.
[5] Vgl. ebd., S. 101.
[6] Ebd., S. 108.
[7] Ebd., S. 102.
[8] Vgl. Vogel, Erfolgreich recherchieren.
[9] Vgl. Hopf, Gesetzesmaterialien, S. 108.
[10] Mysterium „Gesetzesmaterialien“.

Literatur

  • Handbuch des Landtags von Baden-Württemberg. 8. Wahlperiode. 1980–1984, hg. vom Landtag von Baden-Württemberg 1980.
  • Handbuch des Landtags von Baden-Württemberg. 9. Wahlperiode. 1984–1988, hg. vom Landtag von Baden-Württemberg 1984.
  • Handbuch des Landtags von Baden-Württemberg. 16. Wahlperiode. 2016–2021, hg. vom Landtag von Baden-Württemberg 2016.
  • Landtagsprotokolle bei der Württembergischen Landesbibliothek: http://www.wlb-stuttgart.de/literatursuche/digitale-bibliothek/digitale-sammlungen/landtagsprotokolle/.
  • Mysterium „Gesetzesmaterialien“. Bedeutung und Gestaltung der Gesetzesbegründung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, hg. von Holger Fleischer, Tübingen 2013.
  • Parlamentsdokumentation des Landtags von Baden-Württemberg: http://www.statistik-bw.de/OPAL.
  • Thiessen, Jan, Die Wertlosigkeit der Gesetzesmaterialien für die Rechtsfindung – ein methodengeschichtlicher Streifzug, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, S. 45–74.
  • Vogel, Ivo, Erfolgreich recherchieren. Jura, 2. Auflage, Berlin/Boston 2015.
  • Waldhoff, Christian, Gesetzesmaterialien aus verfassungsrechtlicher Perspektive, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, S. 75–93.

Zitierhinweis:  Regina Grünert, Gesetzesakten und Gesetzesdokumentationen, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: […], Stand: 19.9.2017.

 

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