Militärische Personalunterlagen

Von Wolfgang Mährle

Stammliste der Offiziere und Militärbeamten, die zwischen 1691–1751 in Württemberg dienten, von Horn-Hartmann, fol. 118b-119a, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 30a Bd. 5)
Stammliste der Offiziere und Militärbeamten, die zwischen 1691–1751 in Württemberg dienten, von Horn-Hartmann, fol. 118b-119a, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS A 30a Bd. 5)

Definition und Abgrenzung

Als militärische Personalunterlagen werden Unterlagen von militärischen Stellen bezeichnet, die personenbezogene Informationen über die in der Armee bzw. in der Militärverwaltung eines Staates dienenden Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften und Militärbeamten enthalten. Von den Personalunterlagen zu unterscheiden sind Dokumente mit Personalinformationen, die ausschließlich Sachzwecken dienen und keine personenbezogenen Angaben aufweisen (z.B. Verpflegungs- und Gefechtsstärkemeldungen).

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Zeit vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.

Historische Entwicklung

Im 16. und frühen 17. Jahrhundert wurden die Mitglieder der Landesdefension in Musterungslisten erfasst, die sich in einigen Territorien und Reichsstädten (z.B. im Herzogtum Württemberg, in der Reichsstadt Reutlingen)[1] erhalten haben. Das Personal der Söldnertruppen wurde in Musterrollen dokumentiert, die ebenfalls vereinzelt überliefert sind.

Die Aufstellung stehender Heere im Herzogtum Württemberg im ausgehenden 17. Jahrhundert bzw. in Baden-Durlach und Baden-Baden in der Mitte des 18. Jahrhunderts machte eine Verstetigung der militärischen Personalverwaltung erforderlich. Die neuzeitliche Entwicklung der bei den Militärbehörden geführten Personalunterlagen vollzog sich in Abhängigkeit von der Wehrverfassung. Der Umfang des personenbezogenen Schriftguts nahm im 18. und 19. Jahrhundert insgesamt stark zu, die Typologie der Unterlagen differenzierte sich aus.

Veränderungen in der Personalverwaltung betrafen zunächst vor allem die Offiziere und Militärbeamten. In Württemberg wurden Angehörige dieser beiden Personengruppen seit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) in Stammlisten registriert. Daneben wurden seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Ranglisten der württembergischen Armee erstellt. In diesen ist das gesamte Offizierkorps in einem bestimmten Stichjahr dargestellt. Zu den einzelnen Offizieren finden sich in den Ranglisten Informationen über Dienststellung, Dienstrang, Beförderungen sowie Orden und Ehrenzeichen. Ranglisten wurden regelmäßig publiziert, zunächst in Adressbüchern, später in Staats- bzw. Militärhandbüchern und als selbstständige Veröffentlichungen.[2]

Einen markanten Einschnitt in der Organisation der militärischen Personalverwaltung und infolge dessen auch in der Entwicklung der Personalunterlagen stellten die Jahre um 1800 dar. Die Einführung der Konskription und die kontinuierliche Ausweitung der Militärpflicht in Württemberg und Baden im Zeitalter Napoleons bewirkten eine erhebliche Intensivierung der personenbezogenen Verwaltungstätigkeit. Die Verzeichnisse, die seit dem frühen 19. Jahrhundert von verschiedenen Behörden erstellt wurden und für die zum Teil variierende Begrifflichkeiten in Gebrauch waren, dienten unterschiedlichen Registrierungszwecken. Wichtige Schriftguttypen, die bei den Rekrutierungsbehörden geführt wurden, bildeten Assentierungsdiarien und -protokolle, Aushebungs-, Kontingents- und Entlassungslisten sowie Einsteher- bzw. Einstellerlisten. Darüber hinaus entstanden Aufzeichnungen über das Personal einzelner militärischer Formationen: Stamm- und Nationallisten, auch als Stammrollen oder Nationalbücher bezeichnet. Über Offiziere und Militärbeamte wurden im 19. Jahrhundert verschiedene Aufzeichnungen geführt: In Württemberg Anciennitäts-, Einteilungs-, Veränderungs-, Rang-, Stamm- und Nationallisten, in Baden neben Anciennitäts- und Ranglisten vor allem Personal- und Standeslisten sowie Personalakten. Einen in Württemberg seit 1814 neu eingeführten Schriftguttyp bildeten die sogenannten Konduitenlisten (Sittenlisten, Fähigkeitslisten). Diese enthielten sowohl fachliche als auch sittliche Beurteilungen der Offiziere. Zu den genannten Dokumenten trat seit der Zeit um 1800 weiteres personenbezogenes Schriftgut, wie zum Beispiel Heiratsgenehmigungen, Beförderungslisten sowie – im Kriegsfall – Feldmusterungs- und Verlustlisten. Letztere wurden vielfach publiziert, etwa im Krieg 1870/71. Von den bestehenden Personalunterlagen wurden verschiedentlich Auszüge angefertigt.

Schließlich bildeten der Deutsche Krieg von 1866 und die Reichsgründung von 1871 weitere wichtige Zäsuren in der Entwicklung der militärischen Personalverwaltung und der Personalaufzeichnungen. Die Führung von Personalunterlagen wurde nun in Baden und Württemberg nach dem preußischen Vorbild vereinheitlicht. Über Offiziere wurden Personalakten geführt, Unteroffiziere und Mannschaften wurden hingegen in Stammrollen erfasst (heute als „Friedensstammrollen“ bezeichnet). Das militärische Führungspersonal und wichtiges Funktionspersonal der Formationen (v.a. Offiziere, daneben Ärzte und Zahlmeister) war darüber hinaus in Ranglisten registriert. Nach der Mobilmachung 1914 differenzierten sich die militärischen Personalunterlagen weiter aus: Die einzelnen Formationen führten sog. Kriegsstammrollen, denen ein von den Stammrollen der Friedenszeit abweichendes, jedoch bei allen Regimentern einheitliches Formular zugrunde lag. Hilfsmittel der militärischen Personalverwaltung waren verschiedene Karteien, so etwa Vermissten-, Gefangenen-, Lazarett- und Totenkarteien. Verluste der deutschen Formationen wurden in sogenannten Amtlichen Verlustlisten erfasst und in Württemberg anschließend als Anlagen zum Staatsanzeiger publiziert.

Aufbau und Inhalt

Militärische Personalaufzeichnungen aus der Zeit vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert sind in unterschiedlichen Schriftguttypen überliefert: in Amtsbüchern, Akten, Verzeichnissen und Karteien. Der formale Aufbau dieser Dokumente ist naturgemäß verschieden.

Die Inhalte der militärischen Personalunterlagen sind, sieht man von speziellen Dokumentenarten wie etwa Konduitenlisten oder Karteien ab, grundsätzlich ähnlich. Die Ausführlichkeit der Angaben differiert allerdings stark. Sie ist vor allem abhängig von der Entstehungszeit der Unterlagen, vom Aufzeichnungszweck sowie von der Position der dokumentierten Person in der militärischen Hierarchie.

In den militärischen Personalunterlagen finden sich üblicherweise zwei Arten von Informationen. Erstens sind dort Angaben zur Person des Soldaten verzeichnet. Mögliche Betreffe sind: Name, Geburtstag und ort, Beruf, Religion, Wohnort, Familienstand, Eltern, Körpermaße und Körpermerkmale (z.B. Gestalt; Gesichtsmerkmale: Nase, Mund, Kinn; Haarfarbe; Bartwuchs; Fußform), Verwundung, Krankheit und Tod. Zweitens enthalten die Personalunterlagen Informationen über die militärische Laufbahn der dokumentierten Person: Einberufung, Truppenteil(e), Dienstverhältnisse (u.a. Beförderungen, Versetzungen, Schießleistungen), Orden/Ehrenzeichen, Einsatz im Gefecht, Führung (ggf. Strafen), Entlassung.

Angaben, die über die äußere Biografie von Militärangehörigen hinausgehen, sind den erwähnten Konduitenlisten zu entnehmen. In diesen Unterlagen finden sich Informationen über den Gesundheitszustand der Offiziere, über die psychische Konstitution, über Sprach- und wissenschaftliche Kenntnisse, über Führungsfähigkeiten, über das Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Untergebenen, über die Bewährung im Krieg, über den Diensteifer, über die ökonomischen Verhältnisse sowie über charakterliche Schwächen (Trunk- und Spielsucht, Schuldenmachen).

In ähnlicher Weise wie die Konduitenlisten aus der Zeit bis 1870 bieten auch die Offizierpersonalakten aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs in vielen Fällen Informationen, die über die oben genannten persönlichen und laufbahnbezogenen Angaben hinausgehen. In den Akten befinden sich neben einem Personalbogen mit Vermerken zur Person und zur militärischen Karriere häufig Beilagen wie Qualifikationsberichte, Beurteilungen und Korrespondenzen. Nach dem Tod der Offiziere wurden den Personalakten zudem im Heeresarchiv Stuttgart des Öfteren Zeitungsausschnitte beigefügt.

Im Unterschied zu modernen Personalakten enthalten die militärischen Personalunterlagen aus der Zeit des 19. und frühen 20. Jahrhunderts keine Fotografien. Porträts der höheren Offiziere Württembergs und Badens sind in den militärischen Fotosammlungen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und des Generallandesarchivs Karlsruhe überliefert (Bestandssignaturen: HStAS M 707, M 708 und M 709 sowie GLAK 456 G 2).

Überlieferungslage

Im Landesarchiv Baden-Württemberg werden in den Abteilungen Hauptstaatsarchiv Stuttgart und Generallandesarchiv Karlsruhe militärische Personalunterlagen bis zum Stichjahr 1920 verwahrt. In Stuttgart lagert das Schriftgut der württembergischen Armee bzw. (seit 1871) des XIII. (Königlich-Württembergischen) Armeekorps (Personalunterlagen v.a. in HStAS A 28a, A 30a, E 271l, E 297, M 430/1–5, M 631); in Karlsruhe befinden sich die Dokumente des badischen Heeres bzw. des XIV. Armeekorps (Personalunterlagen v.a. in GLAK 238, 456 A–E). Die württembergischen Personalunterlagen weisen insgesamt nur geringe Überlieferungsverluste auf (v.a. im Bereich der Ranglisten aus der Zeit zwischen 1871 und 1914). Den Schwerpunkt der Archivbestände im Generallandesarchiv Karlsruhe bilden Friedens- und Kriegsstammrollen aus der Zeit von 1866/71 bis 1918/20 sowie Ranglisten und Personalakten (bzw. Personalersatzakten) der Offiziere.

Personalunterlagen der Reichswehr, der Wehrmacht und der Bundeswehr sind im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau überliefert.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Militärische Personalunterlagen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Formalisierung und Standardisierung aus. Die personenbezogenen Daten wurden im württembergischen und badischen Heer vor allem im 19. Jahrhundert mit Hilfe von speziellen Formblättern erhoben. Nach 1871 waren in Südwestdeutschland nach preußischem Vorbild gestaltete Formulare in Gebrauch.

Aufgrund ihres spezifischen Informationsgehalts eignen sich die militärischen Personalunterlagen vor allem für die Rekonstruktion der äußeren Biografien der dokumentierten Soldaten. In den Blick kommen regelmäßig der zivile Werdegang bis zum Eintritt ins Heer sowie die militärische Laufbahn bis zum Ausscheiden aus der aktenführenden Militärverwaltung. In einigen Unterlagen (z.B. in den Friedensstammrollen aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs) wird darüber hinaus relativ ausführlich die körperliche Konstitution der Militärangehörigen dokumentiert. Informationen zum Charakter, zu intellektuellen Fähigkeiten, zur moralischen Prägung sowie zur wirtschaftlichen Situation enthalten vor allem die Konduitenlisten sowie in vielen Fällen die Personalakten. Konduitenlisten wurden jedoch nur über Offiziere, Personalakten lediglich über Offiziere, Ärzte und Militärbeamte geführt. Informationen, die über die äußere Biografie der Militärangehörigen hinausgehen, finden sich in den sonstigen militärischen Personalunterlagen lediglich in rudimentärer Form. So wird in den Stammrollen üblicherweise die „Führung“ des registrierten Soldaten festgehalten.

Personalunterlagen des Militärs bilden aufgrund ihrer starken Formalisierung des Weiteren eine sehr gute Grundlage für gruppenbiografische und sozialgeschichtliche Forschungen. Die personenbezogenen Dokumente militärischer Provenienz stellen einen bedeutenden Datenpool dar, der sich mit Hilfe quantifizierender Methoden auswerten lässt. Die Forschungsmöglichkeiten gehen dabei über militärhistorische Fragestellungen im engeren Sinn hinaus.

Schließlich bilden die militärischen Personalunterlagen die zentrale Quelle für die Rekonstruktion der in einer Armee geübten Personalverwaltung und politik.

Hinweise zur Benutzung

Die militärischen Personalunterlagen aus der Zeit bis 1920 unterliegen keinen Schutz- und Sperrfristen. Ein Großteil der Dokumente, so etwa das württembergische Schriftgut aus Zeit von 1806 bis 1870 sowie die württembergischen und badischen Stammrollen aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs, ist online einsehbar, so z.B. im HStA Stuttgart, Bestand E 297, Bestand M und im GLA Karlsruhe, Bestand 456 C.

Forschungsgeschichte

Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Quellengattung „Militärische Personalunterlagen“ und den Auswertungsmöglichkeiten, die diese Aufzeichnungen bieten, fand bisher lediglich in Ansätzen statt.

In der Praxis wurden die militärischen Personalunterlagen bisher überwiegend für biografische, familiengeschichtliche und genealogische Zwecke ausgewertet. Daneben entstanden vor allem in jüngerer Vergangenheit auf der Grundlage von Offizierstammlisten, Offizierpersonalakten und Ranglisten gruppenbiografische Studien über das militärische Führungspersonal einzelner Armeen.[3] Kriegsstammrollen des Ersten Weltkriegs dienten zudem der sozialgeschichtlichen Analyse verschiedener Einheiten sowie der Erforschung des Ersatzwesens.[4]

Anmerkungen

[1] Heinrich, Musterungslisten.
[2] Vgl. z.B. Rangliste des aktiven Dienststandes der Königlich Preußischen Armee und des XIII. (Königlich Württembergischen) Armeekorps, Berlin 1894–1913.
[3] Sehr gut erforscht ist insbesondere das bayerische Offizierkorps im „langen“ 19. Jahrhundert; vgl. Rumschöttel, Offizierkorps; Gahlen, Offizierskorps; Kroeger, Souveränität. Für Baden vgl. Lutz, Offizierskorps. Für Württemberg fehlen vergleichbare Analysen. Zur Generalität in den deutschen Mittelstaaten zur Zeit des Deutschen Bundes vgl. die biografischen Daten bei Schröder, Generalität.
[4] Vgl. z.B. Bader, Das Württembergische Gebirgsbataillon; Stachelbeck, Effektivität, bes. S. 322–347.

Literatur

  • Bader, Axel, Das Württembergische Gebirgsbataillon. Eine Alltags- und Sozialgeschichte im Rumänienfeldzug 1916/1917, Potsdam 2006 (unpubl. Magisterarbeit).
  • Gahlen, Gundula, Das bayerische Offizierskorps 1815–1866, Paderborn 2011.
  • Heinrich, Jörg, Musterungslisten, in: Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven, hg. von Christian Keitel/Regina Keyler, Stuttgart 2005, S. 83–89 (mit weiterer Literatur).
  • Kroeger, Tobias Friedrich, Zwischen eigenstaatlicher Souveränität und napoleonischem Imperialismus. Das bayerische Offizierskorps 1799–1815, München 2013.
  • Lutz, Karl-Heinz, Das badische Offizierskorps 1840–1870/71, Stuttgart 1997.
  • Rumschöttel, Hermann, Das bayerische Offizierkorps 1866–1914, Berlin 1973.
  • Schröder, Bernd Philipp, Die Generalität der deutschen Mittelstaaten 1815–1870, 2 Bde., Osnabrück 1984.
  • Stachelbeck, Christian, Militärische Effektivität im Ersten Weltkrieg. Die 11. Bayerische Infanteriedivision 1915–1918, Paderborn 2010.

Zitierhinweis: Wolfgang Mährle, Militärische Personalunterlagen, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 11.02.2022.

 

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