Als Adipositas noch ein Fremdwort war: Die Hoover-Speisung in den Jahren 1947-1951

Speiseplan für die 115. [Lebensmittelmarken-] Zuteilungsperiode (Juni 1948) mit Kochanleitungen. Vorlage: Landesarchiv BW, StAWt-K G 40 A 969
Speiseplan für die 115. [Lebensmittelmarken-] Zuteilungsperiode (Juni 1948) mit Kochanleitungen. Vorlage: Landesarchiv BW, StAWt-K G 40 A 969

Beklagt man heute ein Zuviel an Kalorienzufuhr von frühester Kindheit an, so war in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die Ernährungslage insbesondere der Kinder äußerst prekär. Die bereits in den Kriegsjahren begonnene Zwangsbewirtschaftung von Lebensmitteln musste wegen des fortbestehenden Nahrungsmittelmangels aufrechterhalten werden. Im Vorteil war, wer selbst Gartenland und landwirtschaftliche Flächen bestellen konnte.

Aber auch auf dem Land und in den Kleinstädten war die Situation schwierig, insbesondere für die Vertriebenen. So konstatierte die Schulleiterin der Volksschule Wertheim im März 1947: Es haben demnach 36,4 Prozent aller Schüler ein erhebliches Untergewicht. Die neben erhöhter Krankheitsanfälligkeit gravierendsten Folgen: Sehr geringe Konzentration, rasche Ermüdbarkeit und eine hochgradige Gedächtnisschwäche.

Hier setzte die nach dem 31. US-Präsidenten Herbert Clark Hoover (10.08.1874-20.10.1964) benannte Schulspeisung an. Untergewichtige Kinder im Alter von sechs bis 18 Jahren sollten an der Schule zusätzliche Kalorienrationen erhalten. Die dafür notwendigen Lebensmittel wurden aus den USA geliefert. Die Länder organisierten die Verteilung über die Landkreise und Gemeinden. Im Mai 1947 schrieb das Kreiswohlfahrtsamt Tauberbischofsheim erstmals die Gemeinden an und informierte über die Grundsätze der Hooverspeisung. Zur Unterstützung sollten örtliche Ausschüsse unter dem Vorsitz des Bürgermeisters gebildet werden. Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, ein unterernährtes Kind ihrer Gemeinde zu sich zu einer täglichen Mahlzeit an den Tisch zu laden. Man hilft damit unserer in den Entwicklungsjahren darbenden Jugend aus ihrer schwersten Zeit.

Die Schulspeisung bestand aus einer warmen täglichen Zusatzmahlzeit mit einem Gehalt von ca. 350 kcal. Das entspricht je nach Alter ca. 12–17 Prozent des täglichen Kalorienbedarfs. Gekocht wurde von dazu bestellten Köchinnen, die Verwaltung der Lebensmittelvorräte war meist einem Lehrer übertragen. Da die Lebensmittelzuteilungen zunächst nicht für alle Gemeinden und bedürftigen Schüler reichten, wurde im Wechselturnus versorgt. Schulessen gab es an sechs, ab März 1948 an fünf Wochentagen, Ferien waren ausgenommen. Mit monatlichen Gewichtskontrollen der Schüler überprüfte man den Erfolg der Aktion.

Zusammen mit der Anzahl der pro Zuteilungsperiode bewilligten Essensrationen wurden den Schulen nicht nur die zentral gelieferten Lebensmittelmengen mitgeteilt. Auch verbindliche Speisepläne mit entsprechenden Kochanleitungen hielten bald Einzug, um die Produkte bestmöglich zu verwerten. Geliefert wurden Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker, Hülsenfrüchte, Milch sowie verschiedene Trockenfrüchte und Konserven. Wichtig waren auch Kakao und Schokolade – gerade daran erinnern sich noch manche Zeitzeugen.

Über Verwendung und Verbrauch der Vorräte musste penibel Buch geführt werden. Zunächst übernahmen die Länder alle Kosten für Lebensmittel, Heizmaterial und Löhne. Ab August 1948 wurde auf staatliche Zuschüsse pro Essen umgestellt. Deckungslücken waren fortan durch Spenden, Beiträge der an der Schulspeisung teilnehmenden Kinder bzw. aus der Kreis- und Gemeindekasse zu finanzieren.

1950 wurde die Hooverspeisung Teil der Schulgesundheitsfürsorge im Ressort des Kultministeriums, 1951 dann dem Innenministerium zugeordnet. Eine Neuorganisation als Jugendernährungswerk war angedacht. Die verbesserte Ernährungslage sowie fehlende Zuschüsse an die Gemeinden führten letzten Endes zur Einstellung der Schulspeisung in ihrer damaligen Form.

 Claudia Wieland

Quelle: Archivnachrichten 53 (2016), S.24-25.

Suche