Walldürn

Walldürn mit der Basilika St. Georg, um 1920. Der jüdische Betsaal befand sich zwei Querstraßen östlich der Basilika in der Zunftgasse 3. Das Haus wurde vor den Pogromen im November 1938 verkauft und ist bis heute erhalten. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 498-1 Nr. 3572]
Walldürn mit der Basilika St. Georg, um 1920. Der jüdische Betsaal befand sich zwei Querstraßen östlich der Basilika in der Zunftgasse 3. Das Haus wurde vor den Pogromen im November 1938 verkauft und ist bis heute erhalten. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 498-1 Nr. 3572]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Bis 1803 gehörte Walldürn als Kellerei und Sitz des Centgerichts zum Kurfürstentum Mainz, von 1803 bis 1806 zum Fürstentum Leiningen und fiel 1806 an Baden.

Schon im 13. Jahrhundert waren Juden in Walldürn ansässig, die unter den Judenverfolgungen von 1298 und 1348/49 schwer zu leiden hatten. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebten aber bereits wieder Juden in der Stadt. Erzbischof Adolf von Mainz war ihnen freundlich gesinnt. 1378 versicherte er den Juden der neun „oberen Städte" des Erzbistums, zu denen Walldürn gehörte, dass er nur die übliche Steuer und Bede von ihnen erheben wolle. Auch versprach er, sie zu schirmen, zu verteidigen und ihnen beim Einzug ihrer Forderungen behilflich zu sein.

Aus den darauf folgenden drei Jahrhunderten ist uns über das Schicksal der jüdischen Gemeinde nichts überliefert. Die Seelenzahl war nie sehr groß. Erst 1713 ist wieder ein Schutzjude in Walldürn urkundlich erwähnt. Nach einer Rechnung des Klosters Amorbach aus diesem Jahre hatte er zwei Dutzend Fastenbrezeln von Walldürn nach Amorbach getragen und dafür vier Albus Botenlohn erhalten. 1720 war ebenfalls nur ein Schutzjude im Ort ansässig. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde an. Um 1770 richtete sie im oberen Stockwerk des Wohnhauses in der Zunftgasse 3 einen Betsaal, im Volksmund „Synagoge" genannt, ein. In der Untergasse 31 befand sich ein Frauenbad, ein ausgemauerter quadratischer Schacht, der bis unter den Spiegel des Marsbaches reichte, aber auch Wasserzuleitung hatte; es wurde aber schon vor 1900 nicht mehr benutzt. Einen eigenen Friedhof besaßen die Walldürner Juden nicht. Ihre Toten wurden in Bödigheim auf dem jüdischen Verbandsfriedhof beerdigt.

1815 wurde erstmals in der Person des Nathan Abraham Kahn ein Judenvorsteher gewählt. 1827 wurde die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Wertheim zugeteilt, später Merchingen. 1825 lebten 23, 1858 37, 1875 25, 1900 14, 1925 21 und 1933 19 Juden in Walldürn. In der Regel handelte es sich um „kleine" Juden. Noch um 1830 waren fast alle Hausierer mit Ellenwaren, nur lsak Benzes Sinsheimer betrieb ein Ladengeschäft und besaß ein Vermögen von 2.000 Gulden, während die übrigen über ein Vermögen von 100 bis 500 Gulden verfügten.

Im Leben der Stadt machten sich die wenigen Juden kaum bemerkbar. Im Revolutionsjahr 1848 kam es allerdings auch zu Ausschreitungen gegen die Juden. Am 8. März 1848 abends 19 Uhr zog eine Schar Burschen gegen das leiningische Rentamt, das Pfarrhaus und den Laden des Juden Aron Sender. Dabei wurde der Laden demoliert, die Waren auf die Straße geworfen, die Bücher und Handschriften verbrannt, die Lebensmittel geraubt und der Wein an Ort und Stelle ausgetrunken.

1933 waren im Besitz der jüdischen Bürger ein Trikotagen- und Wollwarengeschäft, ein Eisenwarengeschäft und das Gasthaus zur „Sonne"; sie wurden bis 1939 sämtlich verkauft.

Ein Teil der Juden verzog 1937 und 1938 oder wanderte aus, darunter auch der letzte Judenvorsteher Isaak Riselsheimer mit seiner fünfköpfigen Familie. Zwei Juden starben noch in Walldürn. Die „Synagoge" wurde 1937 verkauft und der Betsaal zu einer Wohnung umgebaut.

Wegen des Rückgangs der Seelenzahl wurde am 8. November 1937 die jüdische Gemeinde Walldürn aufgelöst. Die letzten 10 anwesenden Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen ist Eduard Neuberger in Gurs gestorben. 6 weitere Juden haben ihr Leben in Auschwitz oder in einem anderen Vernichtungslager verloren. Nur die Geschwister Zimmern konnten noch aus Gurs entkommen und gelangten 1948 in die USA. Clara Roos ist verschollen.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Schick, Rudolf, Aus der Geschichte der Walldürner Juden (Ms.).

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Walldürn, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 862-863.
  • Gramlich, Walter, Zur Geschichte der Walldürner Juden, in: 25 Jahre Heimat- und Museumsverein und Neueröffnung des Museums Walldürn (Walldürner Museumsschriften 7), 1991, S. 51-61.
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