Dettensee 

 Dettensee Synagoge
Die Synagoge Dettensee, vor 1914. Nach Auflösung der Gemeinde verfiel das Gebäude und wurde um 1930 abgebrochen. [Quelle: Wikimedia]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das Dorf gehörte zusammen mit einigen Nachbarorten bis zum Reichsdeputationshauptschluss (1803) dem Kloster Muri in der Schweiz und fiel dann an Hohenzollern-Sigmaringen. Der Fürstabt von Muri bzw. dessen Statthalter in Glatt nahm um 1720 die ersten Schutzjuden in Dettensee auf. 1764 waren die 23 damals ansässigen jüdischen Familien gezwungen, in drei herrschaftlichen Gebäuden zu wohnen und an Schutzgeld und Mietzins jährlich pro Familie 12½ Gulden zu entrichten.

Um 1773 zahlte jede Familie zwei Gulden Einzugsgeld, 15 Gulden jährliches Schutzgeld und Mietzins an die Herrschaft, außerdem den „Wassertaler“ an die Ortsgemeinde. Mit Ausnahme eines Schulmeisters, eines Vorsängers und eines Wirts waren 1764 alle Juden Händler, die mit Vieh, Pferden, Kupfer, Leder, Fellen, Betten, Kurzwaren, Kesseln, Pfannen usw. handelten. Ihre Handelstätigkeit wurde aber durch obrigkeitliche Beschränkungen sehr erschwert. So mussten sie Schuldforderungen an Klosteruntertanen binnen 4 Wochen beim Oberamt Glatt geltend machen, Kontrakte über sechs Gulden (seit 1793 über vier Gulden) durften sie nur mit Genehmigung des Oberamts abschließen. Im benachbarten württembergischen Gebiet war ihnen nur erlaubt, die Jahrmärkte zu besuchen und längstens einmal über Nacht zu bleiben. Dagegen gestand ihnen, ebenso wie den Juden in Baisingen, Rexingen, Mühringen, Nordstetten, Haigerloch und Hechingen, das österreichische Oberamt in Rottenburg 1777 vertraglich die volle Leibzoll- und Personalfreiheit in der ganzen Grafschaft Hohenberg gegen eine jährliche Pauschalabgabe zu.

Die Unterbringung von 23 Familien in drei nicht übermäßig großen herrschaftlichen Gebäuden war durchaus unzulänglich. Zwischen 1781 und 1798 wandten sich daher die Dettenseer Juden wiederholt an den Statthalter bzw. an den Fürstabt selbst. Sie klagten, dass sie in diese Gebäude buchstäblich eingezwängt seien, da keine Familie über mehr als zwei Räume verfüge, in denen Eltern, Kinder und Gesinde zusammen wohnen und schlafen müssten. Bei Kindsbetten und bei Krankheitsfällen sei dies ganz unerträglich, aber auch so schon allen gesundheitlichen und moralischen Anforderungen zuwider. Das Kloster schaffte aber keine Abhilfe, obwohl der Fürstabt in einem Schreiben an den Statthalter seine Bereitschaft dazu bekundet hatte, „inmaßen die Juden doch immer auch Menschen seien“. Außerdem bedrückte die Dorfgemeinde die Juden. Sie zwang sie bei den vielen Militäreinquartierungen im Jahr 1800, Pferde bei sich unterzubringen, obwohl damals kein einziger Jude eine Stallung besaß. Für die Befreiung vom persönlichen Kriegsdienst hatten sie Ablösungsgelder zu zahlen. Auch die fürstliche Regierung in Sigmaringen tat nach 1803 nichts, um die unhaltbaren Zustände zu ändern. 1813 konnten zwar die Juden die Gebäude käuflich erwerben, mussten aber weiterhin ausschließlich darin wohnen, ja dort noch einen Synagogen- und einen Schulraum unterhalten.

Die rigorose Beschränkung auf 23 Schutzjudenfamilien hatte zur Folge, dass die jungen Juden erst spät in den Schutz nachrückten und einen eigenen Hausstand begründen konnten. 1809 waren unter 21 Ehepaaren nur 2 Männer und 2 Frauen jünger als 40 Jahre, dagegen waren 22 männliche und 19 weibliche Gemeindeglieder zwischen 18 und 40 Jahren ledig, weil ihnen das Heiraten verwehrt war. Die Regierung verschlimmerte die Situation noch dadurch, dass sie in den 1830er-Jahren die Zahl der Schutzjudenfamilien zu verringern suchte und daher beim Tod von alten Schutzjuden jahrelang keine jungen Juden mehr in den Schutz aufnahm. Selbst noch nach der Emanzipation von 1837 hatten es die Juden nicht immer leicht, die Heiratserlaubnis zu erhalten. Doch konnten sie sich jetzt auch sonst im Ort niederlassen. Die jüdische Gemeinde war 1807 sehr arm. 11 der 23 Familien lebten damals von Almosen. Die Vermögensverhältnisse blieben zumal durch die Erschwerung des Handels um 1820 noch lange ungünstig, sie besserten sich erst gegen die Jahrhundertmitte.

1811 hatte die Gemeinde für 185 Gulden von der Regierung einen Platz erworben, auf dem sie bis 1820 dank der finanziellen Zuwendungen auswärtiger Juden eine Synagoge erbauen konnte. Einen Friedhof legte sie 1830 dicht beim Dorf an. Zuvor waren die Dettenseer Juden auf dem Friedhof in Mühringen begraben worden. Von 1826 bis 1902 bestand eine öffentliche israelitische Volksschule. Im 18. Jahrhundert hatte sich die Gemeinde dem Rabbinatsverband Nordstetten angeschlossen. Von 1822 bis 1836 besaß sie in der Person des aus Dettensee stammenden Marx Hirsch einen eigenen Rabbiner. Später war sie dem Rabbinat Haigerloch unterstellt.

Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ging durch Abwanderungen in die Städte und durch Auswanderungen nach Amerika die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde rasch zurück. 1809 lebten in Dettensee 126 Juden, 1830 173, 1890 100, 1898 48, 1904 8, 1907 4, 1933 2. Das letzte Mitglied der jüdischen Gemeinde, Hermann Hirsch (gest. 1934), übergab 1930 das Grundeigentum und das Barvermögen der jüdischen Gemeinde dem Bürgermeisteramt, das sich dafür vertraglich zur Unterhaltung und Instandsetzung des jüdischen Friedhofs für alle Zeiten und zum Abbruch der Synagoge innerhalb von 2 Jahren verpflichtete.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Rodler, Franz Xaver, Das Oberamt Haigerloch, 1928.
  • Spier, G., Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Dettensee, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs Jg. 3 Nr. 7-9 (1926), S. 11.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Dettensee, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Bach, H. I., Zur Geschichte einer schwäbisch-jüdischen Familie, in: Rosch Haschana 5730 (1970), S. 19-22.
  • Ballmann, Bernd, Salomon Hirschfelder, 1831-1903, ein Genremaler aus Dettensee, in: Schwäbische Heimat 54 (2003), S. 139-150.
  • Gabeli, Helmut J., in: Möglichkeiten des Erinnerns, 1997, S. 36-38.
  • Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs. Jg. III Nr. 7, 8, 9, 11; Jg. VII Nr. 3 vom 1.5.1930 S. 38-39; Jg. VI Nr. 7 vom 1.7.1929 S. 96-97; Nr. 10 vom 1.1.1930 S. 264, Nr. 21 vom 1.2.1930 S. 257.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Holder, Franz Xaver, Geschichte des Oberamts Haigerloch, 1928, S. 355-356.
  • Müller, Hans Peter, Die Juden in der Grafschaft Hohenberg, in: Der Sülchgau 25 (1981), S. 36-43.
  • Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, 1968, S. 66-68.
  • Zander, Herbert, Die jüdische Gemeinde Dettensee 1579-1939, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 45 (2009), S. 61-134.
  • Zander, Herbert, Salomon Hirschfelder, Leben und Werk eines Multitalents aus Hohenzollern, in: Hohenzollerische Heimat 53 (2003), S. 59-64 und (2004), S. 1-5.
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