Der Brezgenmarkt im Hungerbrunnental

Palmsonntag auf der Ostalb

Drei Frauen auf dem Heimweg vom Brezgenmarkt, 1956, Quelle: Landesmedienzentrum BW

Die Fastenzeit ist mit unterschiedlichen Bräuchen verbunden, zu denen auch das Weihen der Zweige am Palmsonntag gehört. Der am Palmsonntag noch heute im Hungerbrunnental auf der Ostalb stattfindende Brezgenmarkt stellt hingegen eine Besonderheit dar. Verschiedentlich waren auch Tanzveranstaltungen damit verbunden. Der früheste schriftliche Nachweis des Marktes stammt aus einem Ulmer Ratsprotokoll der ersten Hälfte des 16. Jh. Der Markt bot Gelegenheit für Käufe und Verkäufe, Treffen und Austausch nach den strengen Wintermonaten sowie Begegnungen für die Jugend. Als weitere Besonderheit findet er auf freiem Feld statt, dem zwischen den Gemeinden Heuchlingen, Heldenfingen und Altheim liegenden Hungerbrunnental mit der gleichnamigen Karstquelle. In der Oberamtsbeschreibung Heidenheim von 1844 gibt es dazu folgende Hinweise: Die drei Gemeinden hatten hier ein gemeinschaftliches Waiderecht. Der kleine Platz, wo die Gemarkungen aufeinandertreffen, galt als Freistätte zwischen den Herrschaftsgebieten von Württemberg und Ulm. Ursprünglich fanden Markt und Tanzveranstaltungen am Ostermontag und den beiden folgenden Sonntagen statt. Es kam wohl öfter vor, dass in dem „rechtsfreien Raum“ einige über die Stränge schlugen und so konnte die Veranstaltung auch abgesagt werden. So ist dies zweimal aus der ersten Hälfte des 18. Jh. überliefert, wonach der Markt 1730 schließlich unterbunden wurde. Trotzdem überlebte er als Treffpunkt für junge Leute am Palmsonntag. Nun gab es weder Tanz noch Krämerbuden, dafür aber Fastenbrezeln, die dem Markt seinen Namen gaben. Die süßen Brezeln ohne Salz und Lauge werden gerne als Fruchtbarkeitssymbol gedeutet. Am Palmsonntag verehren die jungen Männer sie ihren Herzdamen und bekommen dafür am Ostersonntag ein Ei von ihnen geschenkt.

Einen Eindruck vom Markt und der besonderen Topographie des Hungerbrunnentals vermittelt ein Video auf Youtube, das 2016 entstand und das Gelände von oben zeigt.
Die historischen Angaben zum Markt in der Oberamtsbeschreibung Heidenheim sind im Kapitel Heuchlingen auf Seite 234 wiedergegeben.

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Heuberg - Oberer Kuhberg - Gotteszell

Im Frühjahr 1933 entstanden die ersten NS-KZs im Südwesten

Plan des Truppenübungsplatzes Heuberg von 1916 in den Akten des 2. Bataillon-Reichswehr-Schützen-Regiments 113, Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 456 F 134/135 Nr. 80, Bild 107

Die Inbetriebnahme von Konzentrationslager gehörte zu den Maßnahmen, mit denen die Nationalsozialisten unmittelbar nachdem sie 1933 an die Macht gekommen waren, ihre Gegner zu bekämpfen begannen. Eines der ersten NS-KZs überhaupt war das Lager in Stetten am kalten Markt, das neben Dachau im März 1933 eingerichtet wurde.

Das KZ entstand auf dem Gelände des ab 1910 genutzten und von 1912 bis 1916 zum Lager ausgebauten Truppenübungsplatzes Heuberg, dessen ausgedehnte Anlagen die nötigen Voraussetzungen boten. Teile des Lagers hatten während des Ersten Weltkriegs zur Unterbringung von bis zu 15.000 Kriegsgefangenen gedient. Wegen der Entmilitarisierung nutzte der Karlsruher Verein „Kinderheilfürsorge Heuberg e.V.“ die gesamte Anlage in der Zeit der Weimarer Republik als „Großkinderheim“, Erholungseinrichtung und Heilstätte. Obwohl Stetten am kalten Markt seit 1810 zu Baden gehörte, wurde das „Schutzhaftlager“ der Politischen Polizei des Württembergischen Landespolizeiamts unterstellt.

Zu den Inhaftierten gehörten Kommunisten, Sozialdemokraten, Angehörige des Zentrums, der DDP und andere, darunter Geistliche. Die Männer kamen aus Württemberg, Hohenzollern, einige aus Baden und sogar Hessen. Insgesamt waren bis zu 3.400 Personen untergebracht. Zu den prominenten Häftlingen zählten Kurt Schumacher, während er Weimarer Republik württembergischer Landtags- und Reichstagsabgeordneter und später Vorsitzender der SPD, Oskar Kalbfell, ab 1945 Oberbürgermeister von Reutlingen, der spätere Generalstaatsanwalt und Mit-Initiator der Auschwitz-Prozesse Fritz Bauer oder der Journalist Josef Eberle alias Sebastian Blau. Weitgehend in Vergessenheit geraten ist das Schicksal von Otto Kraufmann, der als erster Schutzhäftling in Baden-Württemberg gilt. Er wurde zunächst ins KZ auf den Heuberg eingeliefert und kam danach auf den Oberen Kuhberg nach Ulm, wo er die Häftlingsnummer 1 erhielt und als erster dortiger Häftling geführt wurde. Kraufmann, der mehrere Lager überlebte, wurde 1948 als Mitglied der KPD zum Stuttgarter Bürgermeister gewählt. Außer in diesem Zusammenhang ist er der Bevölkerung in Erinnerung geblieben, weil er sich in den Nachkriegsjahren um die Instandsetzung der städtischen Infrastruktur und die Versorgung der Bevölkerung verdient machte.

Noch vor Ende des Jahres 1933 wurde das „Schutzhaftlager“ auf dem Heuberg aufgelöst. Ein Teil der Insassen kam frei. Die verbliebenen württembergischen Häftlinge wurden, wie Otto Kraufmann, in das neu eingerichtete Lager auf den Oberen Kuhberg verbracht, die badischen auf den bis 1934 bestehenden Ankenbuck bei Klengen im Brigachtal oder nach Kislau. Weniger bekannt als die Männerlager ist die Schutzhaftabteilung für Frauen im Gefängnis Gotteszell in Schwäbisch Gmünd, die Ende März 1933 den Betrieb aufnahm. Neben den bisherigen Erinnerungsorten - so wurde für die im Lager Heuberg Gestorbenen, Opfer von Misshandlungen oder unmenschlichen Bedingungen, 1983 eine Gedenkstätte eingeweiht -  sind die biografischen Informationen zu den ersten KZ-Häftlingen im Land verstreut überliefert und bis heute nur mit größerem Aufwand zugänglich. 90 Jahre nach der Errichtung der ersten Lager hat das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg nun mit der Online-Häftlingsdatenbank ein Informationsinstrument geschaffen, das niederschwellige Auskünfte über die Inhaftierten vom Heuberg, dem Oberen Kuhberg und Gotteszell ermöglichen soll.

Diese und weitere Informationen finden Sie über die folgenden Links

Häftlingsdatenbank des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg

Homepage des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg

Die Akte von Otto Kraufmann im Landesarchiv BW, StAL EL 350 I Bü 2940 gehört zu den Beständen, die im Zusammenhang mit Entschädigungsanträgen für Verfolgte des NS-Regimes erhalten und Bestandteil des Projekts „Aufbau eines Themenportals zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Archivportal-D“ sind.

Informationen zum Konzentrationslager Heuberg und zum Frauen-Konzentrationslager Gotteszell beim Virtuellen Geschichtsort Hotel Silber

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 Radfahrkarte

Radfahrkarte aus dem Jahr 1922 [Herkunft/Rechte: Heimatmuseum Ratzenried / Hans Knöpfler (CC BY-NC-SA) ]

Im Zuge der massenhaften Verbreitung des Fahrrads Ende des 19. Jahrhunderts und dem damit verbundenen Mobilitätszuwachs entstand ein öffentlicher Regelungsbedarf. Fahrräder waren leise, schneller als Kutschen und konnten überall fahren, auch auf Gehwegen. Die Zahl der Unfälle nahm enorm zu, vor allem, weil viele der Fahrräder nicht mit den nötigen Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet waren.

In einer „Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. Den Radfahr- (Velociped-) Verkehr“ vom 16. September 1888, in dem unter anderem das damals beliebte Wettfahren eingeschränkt wurde, heißt es beispielsweise: „Jedes in Fahrt befindliche Velociped muß mit einer leicht zu handhabenden, helltönenden Signalglocke u. zur Nachtzeit […] mit einer helleuchtenden, weder rot noch grün geblendeten Laterne versehen sein.

Schließlich wurde in allen deutschen Staaten eine zusätzliche Ausweispflicht für Radfahrer eingeführt. Ausgestellt wurden die gebührenpflichtigen Radfahrkarten und Nummernplatten von der jeweiligen Ortspolizeibehörde. Der hier abgebildete Ausweis wurde am 14. Mai 1922 für den Bauernsohn Josef Kolb aus Buchen, einem Weiler der Gemeinde Ratzenried im württembergischen Allgäu, ausgestellt. Mit der Aushändigung waren einschlägige Vorschriften zur Verkehrstüchtigkeit verbunden, so war eine „sicher wirkende Hemmvorrichtung“ ebenso vorgeschrieben wie die funktionierende Klingel. Auf der Rückseite des Dokuments heißt es: „Der Radfahrer hat die Karte bei sich zu führen und auf Verlangen dem zuständigen Beamten zu zeigen. Die Karte gilt für den Umfang des Deutschen Reichs.

Darüber hinaus ist diese Radfahrkarte auch ein Zeugnis schwäbischer Sparsamkeit. Die Abdankung des Königs führte auf dem Dorf wohl nicht zum Einstampfen der auf sein Königreich lautenden Radfahrkarten. Im Gegenteil, die Ausweise wurden offensichtlich aufgebraucht. Mitte der 1920er Jahre wurde die Ausweispflicht für Radfahrer wieder aufgehoben.

Heute dienen solche Fahrradausweise und Meldeakten als wichtige Quellen zur Sport- und Mobilitätsgeschichte. (JH)

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Zur Geschichte des Jordanbads in Biberach

Vom Spitalbad bis zur Kneipp'schen Anstalt und zum Kibbuz

Zeichnung des Badhauses anlässlich der Einrichtung eines Tropfbads im Jordanbad, 1818, Quelle: Gebäude- und Güterverwaltung der Stiftungs- und sonstigen Pflegen, Oberamt Biberach, Landesarchiv BW, StAL E 179 II Bü 2158, Bild 289 https://bit.ly/3mvJ88m

Schon bevor sich das Jordan-Bad Ende des 19. Jh. auf die damals innovativen Kneipp’schen Anwendungen spezialisierte, war hier ein privates Badhaus eingerichtet. Die Eigentümer hatten die Einrichtung vom Biberacher Spital erworben, dem es lange Zeit unterstanden hatte. 1298 hieß der Weiler noch Wasacherhof. Eine Urkunde aus diesem Jahr bestätigt, dass die Brüder Diepold und Ulrich, Grafen von Aichelberg, dem Heiliggeistspital in Biberach den Hof eignen, den es von den Herren von Essendorf gekauft hat. Der erste Nachweis für ein Bad stammt aus dem Jahr 1470. Der Name „Jordan“ erscheint erstmals 1510 in den Unterlagen des Spitals, vermutlich im Zusammenhang mit der Heilung Naamans im Fluss Jordan.

Im Dreißigjährigen Krieg kam der Badebetrieb fast vollständig zum erliegen. Danach taucht der Name „Jordan“ ein zweites Mal auf in Gestalt eines schwedischen Oberst, der den Wiederaufbau angeregt haben soll. Ein weiterer Fürsprecher war der Arzt und „Physikus“ Salomon Braun, der 1673 auch die Schrift „Teutscher Jordan, oder Biberacher Bad“ veröffentlichte. Nach seiner und der Beschreibung von 1826 durch den Biberacher Oberamtsarzt Hofer, gehörten zu den bis in die Mitte des 17. Jh. bestehenden Einrichtungen ein Brunnen-, ein Kessel- und mehrere Badhäuser, ferner ein Wirtshaus und eine Kapelle, die bis heute erhalten ist. Die von Hofer beschriebene Ausstattung nach Umbau von 1816/17 wird auch gemäß heutiger Maßstäben gerecht. So befanden sich im ersten Obergeschoss des steinernen Badhauses rund zwei Dutzend neue „Bad-Cabinette“. Das Wasser konnte von einer „Brunnen-Säule“ gezapft werden. Im zweiten und dritten Obergeschoss waren jeweils fünf beheizbare Zimmer eingerichtet, ferner ein Tropfbad im zweiten Stock. Die hier angebrachte Apparatur ermöglichte es, eine Art Wassermassage zu verabreichen. Die Zimmer in einem weiteren, ganz neuen Gebäude waren sogar mit eigenen Wasseranschlüssen ausgestattet. Auch an die ärmere Bevölkerung wurde gedacht mit einem eigenen, 12 Wannen umfassenden Bad, ferner Küche und Aufenthaltsräume. In den Unterlagen der „Gebäude- und Güterverwaltung der Stiftungs- und sonstigen Pflegen im Oberamt Biberach“ haben sich Pläne erhalten, auf denen die „Badezimmer“ und das Tropfbad abgebildet sind.

Die Anwendungen sollten zu Linderung insbesondere bei Frauenbeschwerden, Stoffwechselstörungen, Rheuma und Gicht verhelfen. Das Bad wurde sowohl von Kurgästen, die längeren Logieraufenthalt nahmen, als auch von Tagesbesuchern genutzt. In den 1880er Jahren drohte das Ende des wenig rentablen Badebetriebs, worauf es die Franziskanerinnen des Klosters Reute übernahm. Der Ausbau im Sinne von Kneipp kam durch Dr. Johann Nepomuk Stützle zustande, fürstlich- wolfegg‘scher Leibarzt und späterer Leiter der Einrichtung. Er hatte sich persönlich in Wörishofen unterrichten lassen, das einen wahren Ansturm an Besuchern erlebte. Auch das Jordanbad wurde von Gästen aus dem In- und Ausland gut angenommen. In den folgenden Jahren entstanden An-, Um- und Neubauten, so eine Winterwandelhalle und ein Kurhaus.  

Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die französische Militärregierung ein Camp für Displaced Persons auf dem Gelände ein. Neben den Lagern in Gailingen und Kißlegg waren hier bis 400 Personen vorwiegend jüdischer Herkuft untergebracht, die mit dem Aufbau eines provisorischen Kibbuz begannen. Neben Schulungen in hebräischer Sprache, Palästinakunde und Geschichte gab es Kurse in praktischen Fähigkeiten, die auf das Leben in Israel vorbereiten sollten. Ab 1947 verließen die ersten Gruppen mit diesem Ziel das Lager. Andere reisten in die USA aus. 1950 erhielten die Franziskanerinnen die Einrichtung zurück.

Zum Weiterlesen:

Beschreibung des Oberamts Biberach (Kapitel B9, Bergerhausen, S. 111)

Flad, Max, Pfarrer Kneipp und das Jordanbad. Gründung und erste Jahre der Wasserheilanstalt, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 4/2 (1981) S. 26-31, aufgerufen am 07.03.2023 (externer Link)

Biberach – Schwäbisches Sanatorium Jordanbad verwandelte sich in Kibbuz, in: Website „after the shoah“, Informationen über alle jüdischen DP-Camps und Communities in den westlichen Besatzungszonen nach 1945, aufgerufen am 07.03.2023 (externer Link)

 

 

 

 

 

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Der Krieg nach dem Krieg

Im März 1923 besetzten französische Einheiten den Karlsruher Rheinhafen

Die Wache Rheinhafen in Karlsruhe, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF T 1 Zugang 1975-0001 Nr. 79a-0493)

Im März 1923 besetzten französische Einheiten den Karlsruher Rheinhafen und beschlagnahmten lebensnotwendige Güter wie Weizen und Kohle aber auch Exportartikel wie Rohmetall und verarbeitete Metallwaren. Der gesamte Güterverkehr wurde eingeschränkt, die Versorgung stockte, wirtschaftlich notwendige und für die Liquidität erforderliche Ausfuhren wurden sanktioniert. Von Besetzungen betroffen waren auch andere badische Städte, wie Mannheim mit dem Hafen, der Rheinbrücke und sogar dem Schloss, ferner Offenburg an der bedeutsamen Bahnstrecke Frankfurt-Basel. Die Besetzungen standen in Verbindung mit Auflagen, die Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg akzeptiert hatte aber auch mit einer Reihe daraus resultierender Konflikte, die das Krisenjahr 1923 prägten.

Als Folge des Waffenstillstands von Compiègne und des Versailler Vertrags waren zunächst die linksrheinischen Gebiete Deutschlands und vier rechtsrheinische Brückenköpfe den Ententemächten unterstellt worden. Neben Köln, Koblenz und Mainz gehörte auch das badische Kehl dazu. Eine 50 km breite, neutrale und entmilitarisierte Zone erstreckte sich von Nord nach Süd über das gesamte badische Gebiet. Anfang der 1920er Jahre zeichnete sich ab, dass es für Deutschland immer schwieriger werden würde, die Reparationsforderungen im geplanten Umfang zu erfüllen. Anfang des Jahres 1923 scheiterte eine Konferenz, die dem geschwächten Land mehr Flexibilität einräumen sollte. Während die USA und Großbritannien einen liberaleren Kurs verfolgten, blieb Frankreich unter seinem neuen Premierminister Raymond Poincaré bei einer unnachgiebigen Haltung. Hinter dem Beharren auf Erbringung der Leistungen, vorrangig ging es um Kohle, standen auch nationale Interessen mit dem Ziel, mehr Einfluss auf die wirtschaftlich bedeutsamen linksrheinischen Gebiete zu gewinnen. Die Besetzung des Ruhrgebiets am 11. Januar durch französische und belgische Truppen war ein völkerrechtlicher Verstoß und ein Bruch mit dem Versailler Vertrag, der keine militärischen Maßnahmen beim Ausbleiben von Leistungen vorsah. Die militärische Besetzung, gefolgt von umfassenden, bis zur Rücksichtslosigkeit reichenden Beschlagnahmungen, begleitete auf beiden Seiten eine Kette von Reaktionen und Gegenreaktionen. Die deutsche Regierung unter Wilhelm Cuno verordnete den Behörden Widerstand durch Passivität. Tausende, Angehörige der Führungsschichten oder andere unliebsame Personen, wurden zusammen mit ihren Familien ausgewiesen. Ein Generalstreik legte nicht nur die deutsche Wirtschaft lahm. Frankreich schickte weitere Truppen. Blutigen Übergriffen, etwa auf streikende deutsche Arbeiter, Willkür und Kriegsgerichten standen gewaltsame Aktionen deutscher kommunistischer und nationalsozialistischer Gruppen gegenüber. Die ohnehin leidende Bevölkerung in ganz Deutschland geriet in den Sog der Hyperinflation. Schließlich nutzten Extremisten auch in anderen Teilen Deutschlands die Situation für ihre Ziele. Im Spätsommer 1923 drohte die Pattsituation festzufahren. Die auf Cuno folgende Regierung Stresemann schaffte es, mit Kompromissen und Zugeständnissen eine Lösung herbeizuführen. Die Verhältnisse vor der Besetzung sollten im Rheinland wiederhergestellt werden. Das Angebot im Gegenzug lautete, die Reparationen nach einer Phase der Konsolidierung wiederaufzunehmen. Innenpolitisch war damit die Währungsreform verbunden, die die Inflation beendete.

Am Ende hatte die Besetzung des Ruhrgebiets über 130 Todesopfer gefordert, darunter viele Arbeiter und einige unbeteiligte Kinder. Die Besitzverhältnisse mittlerer und höherer Schichten veränderten sich grundlegend. Nicht eingedämmt werden konnte die Aggressionsbereitschaft von Extremisten wie den Deutsch-Nationalen, die mit dem Hitlerputsch am 8./9. November 1923 einen traurigen Höhepunkt erreichte. Zweifelhaften Ruhm erlangte Albert Leo Schlageter aus Schönau im Schwarzwald, der als einziger während der Besetzung des Ruhrgebiets nach der Verurteilung durch ein französisches Militärgerichtlich hingerichtet und anschließend zum Märtyrer stilisiert wurde.

Zum Weiterlesen:

Besetzte Gebiete - französische Truppen in Baden im Themenmodul von der Monarchie zur Republik

„Schlageter ist nicht mehr!“ Eine „Märtyrerfigur“ der Weimarer Republik aus Schönau im Schwarzwald

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