Grill, Julius 

Geburtsdatum/-ort: 10.07.1840;  Gaildorf
Sterbedatum/-ort: 10.09.1930;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Alttestamentler und Orientalist an der Universität Tübingen
Kurzbiografie: 1854-1858 Niederes theologisches Seminar Urach
1858 Eintritt ins Evangelische Stift in Tübingen
1858-1862 Studium der Orientalistik und Theologie an der Universität Tübingen
1862 Vikar in Wildbad
1863 Vikar in Pfaffenhofen
1863-1865 Repetent im Pensionat Heilbronn
1865 zweite theologische Dienstprüfung
1865-1866 wissenschaftliche Reise nach London und Paris
1866-1867 Diakonatsverweser in Reutlingen
1867-1869 Repetent am Stift in Tübingen
1869-1870 Stadtvikar in Stuttgart
1870-1876 Diakonus in Calw
1873 Promotion in Orientalistik in Tübingen mit „Venisamhara: Die Ehrenrettung der Königin. Ein Drama in 6 Akten von Bhatta Narayana. Kritisch mit Einleitung und Noten herausgegeben“
1875-1876 Studium der Orientalistik in Heidelberg
1876-1888 Prof. am niederen Seminar in Maulbronn
1880 Ephorus ebendort
1880 Lizentiatswürde der Universität Jena
1888-1913 Prof. für Altes Testament an der Universität Tübingen
1895-1912 Inspektor am Stift
1902-1903 Rektor der Universität Tübingen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: persönlicher Adel und Ehrenkreuz des Ordens der württembergischen Krone (1903); Kommenturkreuz 2. Klasse des Friedrichsordens (1912)
Verheiratet: 1870 Pauline Elfriede, geb. Reyscher (5.12.1840 Tübingen-31.12.1914 Tübingen)
Eltern: Vater: Johann Friedrich Grill (2.1.1811 Bietigheim-20.4.1894 Stuttgart), Finanzrat in Ludwigsburg
Mutter: Julia Franziska, geb. Palm (20.4.1815 Aalen-15.7.1896 Stuttgart)
Geschwister: Sophie (1844-1929)
Emma (1848-1931)
Auguste (1850-1935)
Rudolf (1853-1878)
Kinder: Alfred (1871-1946) Arzt in Sebnitz
Helene (1878-1963)
Irmela (1881-1970)
GND-ID: GND/116835907

Biografie: Reinhold Rieger (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 92-94

Lehrer Grills waren an der Universität Tübingen Ernst Meier in Arabisch und Semitistik, Rudolf Roth in Sanskrit und Religionsgeschichte, Gustav Friedrich Oehler im Alten Testament, Maximilian Albert Landerer im Neuen Testament und in Dogmengeschichte, Johann Tobias Beck im Neuen Testament. Grill knüpfte weder an die historisch-kritische, spekulativ begründete Methode Ferdinand Christian Baurs noch an die eher supranaturalistische Exegese Oehlers an, sondern wurde geprägt von der philologischen und religionsgeschichtlichen Vorgehensweise Rudolf Roths. Auf seine Anregung befasste er sich mit der kritischen Edition eines indischen Dramas, die er als Dissertation einreichte. In seiner Calwer Zeit verfolgte Grill anfangs vor allem philologische Interessen. Er veröffentlichte 1873 einen Aufsatz über „das Verhältnis der indogermanischen und der semitischen Sprachwurzeln“. Ein ähnliches Bestreben, Philologie und Ethnologie zu verknüpfen, bestimmt Grills Schrift „Die Erzväter der Menschheit. Ein Beitrag zur Grundlegung einer hebräischen Altertumswissenschaft“, deren erste Abteilung „Zur Methode der urgeschichtlichen Forschung. Die ersten Menschen“ in Leipzig 1875 erschien. Einen zweiten Teil veröffentlichte er nicht mehr. Die Reaktion auf Grills Schrift war zumindest teilweise negativ, so dass er sich selbst später davon distanzierte.
In Maulbronn verfolgte Grill seine indologischen Studien weiter, vielleicht auch wegen des Misserfolgs mit seiner alttestamentlichen Untersuchung. Er übersetzte und kommentierte hundert Lieder des Atharva-Veda, die er 1879 veröffentlichte. Danach beschäftigte sich Grill mit einer Untersuchung zum 68. Psalm und seinen alten Übersetzungen. Dafür machte er sich seine vielfältigen orientalistischen Sprachkenntnisse zunutze. Er erarbeitete auch „Beiträge zur hebräischen Wort- und Namenerklärung“, über „Bedeutung und Ursprung des Nasiräergelübdes“ nach Dtn. 6, für das er eine symbolische Erklärung vorschlägt, und setzte sich unter sprachlichem und geschichtlichem Aspekt kritisch mit der Behauptung auseinander, im Tao-te-king des Laotse komme eine Anspielung auf den hebräischen Gottesnamen vor.
In Tübingen veröffentlichte Grill 1890 eine Studie „Zur Kritik der Komposition des Buchs Hiob“, in der er vor allem literarkritisch arbeitete. Sein religionsgeschichtliches Interesse führte ihn zu „Untersuchungen über die Entstehung des vierten Evangeliums“, deren ersten Teil er 1902 veröffentlichte. Hier zeigt sich ein Spezifikum Grills, die Fähigkeit, aufgrund seiner indischen und chinesischen Sprachkenntnisse auch mittel- und ostasiatische Religionen in die religionsgeschichtliche Betrachtung einzubeziehen. Erst nach mehr als 20 Jahren erschien der zweite Teil von Grills Untersuchungen zum Johannesevangelium, deren Ergebnis schon der Titel ausdrückt: „Das Mysterienevangelium des hellenisierten Christentums“. Christologie und Heilslehre des Evangeliums wiesen unverkennbare Verwandtschaftsverhältnisse zu hellenistischen Anschauungen auf, auch die griechische Naturreligion, der Dionysoskult, sei verwendet worden in einer Parallelisierung von Christus und Dionysos, was eine Steigerung in der Parallele von Christus und Apollon erfahren habe. Diese Bezüge hätten den Zweck gehabt, das Christentum im hellenistischen Umfeld Fuß fassen zu lassen.
Ein Jahr nach Erscheinen des ersten Bandes der „Untersuchungen“ hielt Grill als Rektor der Universität anlässlich des Geburtstagsfestes des württembergischen Königs eine Rede, die sich mit dem Verhältnis des Christentums zur persischen Mysterienreligion, dem Mithraskult, im römischen Reich befasste. In der „Religionsgeschichtlichen Schule“ wurde die Schrift freundlich begrüßt. Ein Jahr später wandte sich Grill wieder einem neutestamentlichen Problem zu, nämlich dem Ursprung des Primats des Petrus nach Mt 16, 17-18. Ablehnung erfuhren Grills neutestamentliche Studien bei seinem Tübinger Kollegen Adolf Schlatter. Im Alter von 70 Jahren, nämlich 1910, veröffentlichte Grill die Übersetzung von Laotses Buch „Tao-te-king“ aus dem Chinesischen. In der Einleitung setzt er Laotse in Beziehung mit Christus. Nachfolger Grills auf seinem Tübinger Lehrstuhl wurde zuerst der religionsgeschichtlich ausgerichtete Alfred Bertholet, der aber schnell Tübingen wieder verließ, so dass Paul Volz, der bei Grill studiert hatte, zum Zug kam. Das Profil von Grills Forschungen war in hohem Maße durch seine umfassenden Sprachkenntnisse bedingt, die von der indogermanischen über die semitische bis zur chinesischen Sprachfamilie reichten. Diese indologische und sinologische Weite seines religionsgeschichtlichen Blicks ließ ihn die gewohnten Grenzen der alttestamentlichen Wissenschaft überschreiten und machte ihn aber gleichzeitig zu einem Außenseiter in der Theologie.
Grill war jedoch nicht nur wissenschaftlich aktiv, er beteiligte sich auch am öffentlichen kirchlichen Leben. So wählte ihn Knittlingen 1888 als Abgeordneten in die vierte evangelische Landessynode. In den Jahren 1900 und 1906 wurde er Ersatzmitglied für die Fakultät in der Landessynode.
Quellen: PA, Briefe, Manuskripte: UA Tübingen, UB Tübingen, LKAS, Archiv des Ev. Stifts Tübingen.

Literatur: Reinhold Rieger, Religionsgeschichte außerhalb der „Religionsgeschichtlichen Schule“ – Der Tübinger Alttestamentler und Orientalist J. Grill (1840-1930), in: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 10, hg. von Johannes Michael Wischnath, 2004.
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