Bitterer Abschied aus Afrika

Das Reichskolonialamt dokumentiert die Verhaftung, Internierung und Deportation württembergischer Siedler in Kamerun und Togo während des Ersten Weltkrieges

Zwangsarbeit deutscher Gefangener: Wegeausbesserung in Abomey. Aus: Die Kolonialdeutschen aus Kamerun und Togo in französischer Gefangenschaft, Berlin 1917, Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS M 635/2 Bd. 87, S. 15
Zwangsarbeit deutscher Gefangener: Wegeausbesserung in Abomey. Aus: Die Kolonialdeutschen aus Kamerun und Togo in französischer Gefangenschaft, Berlin 1917, Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS M 635/2 Bd. 87, S. 15

Gefangennahme erfolgte durch englische Offiziere mit schwarzen Truppen, binnen 1 ½ Stunden mußten wir reisefertig sein. Wegführung von der Station […] unter Zurücklassung sämtlichen Besitztums mit Ausnahme eines kleinen Koffers für mich und eines ebensolchen für meinen Mann. Transport nach Duala im Kanu […]. Unterwegs übernachtet in einer Negerhütte ohne Bett […]. Nach der Gefangennahme Internierung in einem Haus der Basler Missionshandlung zusammen mit einer Anzahl anderer Frauen. Behandlung in Duala durchaus unwürdig. In Duala vom 9. November bis 22. November 1914; auf dem Dampfer vom 22. November bis 29. Dezember 1914.

Berta Gutbrod befand sich bereits wieder in Württemberg, als sie am 7. Mai 1915 über ihre Gefangennahme auf der Missionsstation Mangamba in Kamerun, die anschließende Verbringung nach Duala, der Hauptstadt der deutschen Kolonie, und den Weitertransport nach Großbritannien berichtete. Das Zitat entstammt Gutbrods beeidigter Aussage vor dem Amtsgericht Welzheim.

Der Bericht der Missionarsfrau fand Eingang in eine vom Reichskolonialamt 1916 herausgegebene Veröffentlichung, in der das Verhalten des englischen und französischen Militärs gegenüber der deutschen Bevölkerung in den Kolonien Kamerun und Togo während des Ersten Weltkrieges dokumentiert wurde. Mit der Publikation – 1917 folgte ein zweiter Band – versuchte das Reichskolonialamt, völkerrechtswidrige Übergriffe der En tente-Truppen gegen die Kolonialdeutschen in Westafrika bekannt zu machen. Eine auffallend große Zahl an Aussagen stammt von Württembergern. Diese wirkten in Kamerun oder Togo häufig als Missionare, daneben als Regierungsbeamte, Kaufleute, Soldaten oder medizinisches Personal. Oder sie waren – wie Berta Gutbrod – Familienangehörige deutscher Funktionäre und Repräsentanten.

Während die schwachen kaiserlichen Polizeitruppen in Togo bereits im August 1914 kapitulieren mussten, dauerten die Kämpfe im erheblich größeren Kamerun bis Anfang 1916 an. Doch waren wesent liche Teile der Kolonie schon im Herbst 1914 in die Hände der alliierten Truppen gefallen. In den Gebieten, in denen das englische, französische oder belgische Militär die Kontrolle übernahm, wurden die deutschen Bewohner zu Gefangenen erklärt, anschließend verhaftet, interniert und deportiert.

Anhand von Zeugenaussagen sollten die Veröffentlichungen des Reichskolonialamts die Vorgänge in Afrika erhellen. Dies geschah entsprechend dem propagandistischen Zweck der Publikationen in sehr einseitiger Weise. Nichtsdestotrotz finden viele der erwähnten Fakten in anderen Quellen Bestätigung. Die Besitzungen der Kolonialdeutschen wurden demnach in der Regel entschädigungslos enteignet. Verschiedentlich kam es zu Kopfgeldjagden, häufig zu Demütigungen, zu Nötigung und zu körperlicher Gewalt. Die hygienischen Verhältnisse in den Lagern und auf den Schiffen, die die Deutschen außer Landes brachten, waren katastrophal. Besonders inhumane Bedingungen herrschten in einem Internierungslager in Abomey in der französischen Kolonie Dahomey (heute Benin). Die dorthin verbrachten Deutschen aus Togo und Kamerun mussten Zwangsarbeit leisten. Sie litten unter brutalen Misshandlungen und Folter durch das Wachpersonal.

Die Dokumentationen des Reichskolonialamts beleuchten einen vergessenen Aspekt der Geschichte des Ersten Weltkrieges. Sie sind darüber hinaus ein eindrucksvolles Zeugnis des vor einhundert Jahren allgemein verbreiteten Rassismus. Nicht nur für Berta Gutbrod war es eine Zumutung, von schwarzen Truppen verhaftet zu werden und in einer Negerhütte nächtigen zu müssen. Die Publikationen belegen, dass für viele Deutsche die schlimmste Erfahrung darin bestand, von den Engländern oder Franzosen vor der afrikanischen Bevölkerung gedemütigt zu werden: Dem Spott der Schwarzen war man verschiedentlich ausgesetzt gab voller Abscheu Hermine Koch, die Ehefrau eines Tübinger Regierungsbaumeisters, zu Protokoll.

Wolfgang Mährle

Quelle: Archivnachrichten 58 (2019), S. 20

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