Inflation und Kreditblase

Die Münzmanipulationen der „Kipper und Wipper“ und ihre Folgen

Kippermünzen als Beweismittel in einem Prozess des Reichskammergerichts, 1627, Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS J 290 Nr. 71
Mit einem Gerichtsprozess vor dem Reichskammergericht wehrten sich Daniel Keßborer, Bürger zu Ulm, und Ehefrau Anna Meßlängin im Jahr 1627 gegen Hans Jakob Schad, des Rats, und weitere Ulmer Bürger gegen ein Kreditgeschäft, bei dem er sich übervorteilt sah (Landesarchiv BW, HStAS C 3 Bü 5400). Zum Beweis fügte Keßborer seiner Klageschrift 20 Kippermünzen bei. Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS J 290 Nr. 71

Pecunia nervus belli – Geld ist der Nerv des Krieges. Diese bereits in der Antike geprägte Redensart wurde im frühneuzeitlichen Europa nicht zufällig wieder häufiger zitiert. Die militärische Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts bedeutete nicht nur neue Kampftaktiken der Infanterie und Kavallerie, welche langes Training erforderten, sondern auch eine immense zahlenmäßige Zunahme der von den abendländischen Mächten ins Feld geführten Armeen. Beide Faktoren brachten die Staaten zunehmend an den Rand ihrer fiskalischen Leistungsfähigkeit.

Dies musste auch Kaiser Ferdinand II. erfahren, dessen Truppen 1620 nach dem Sieg am Weißen Berg zwar Böhmen für das Erzhaus zurückgewonnen hatten, aber weiterhin riesige laufende Kosten verursachten. In dieser Situation entschloss er sich 1622 mit einer Gruppe von Höflingen unter Führung des Fürsten Karl von Liechtenstein, einen Vertrag zu schließen, das berüchtigte Prager Münzkonsortium, welches den Geschäftspartnern gegen die gewaltige Pachtsumme von jährlich sechs Millionen Gulden ein Monopol auf die Ausprägung von Silbermünzen in Böhmen und Mähren einräumte. Finanziert werden sollte die Pacht – und natürlich auch die Geschäftsgewinne der Konsorten – mit einer massiven Reduzierung des Silbergehalts der Münzen. Außerdem wurden die vorhandenen mit gutem Feingehalt ausgeprägten Münzen systematisch aufgekauft und als minderwertige Münzen wieder ausgegeben. Dabei beschreibt die Tätigkeit des Auflegens der Münzen auf die Waage, deren wippen und das anschließende kippen auf die Seite, wo die guten, schweren Münzen lagen, anschaulich die Tätigkeit der Wechsler und gab ihnen den Namen Kipper und Wipper.

Diese Münzmanipulation rief im Reich innerhalb kürzester Zeit eine galoppierende Inflation hervor, unter der vor allem das gewöhnliche Volk zu leiden hatte, da dieses seine Geldgeschäfte mit den niedrigwertigen Silbermünzen abwickeln musste und jetzt einen massiven Kaufkraftverlust dieses Geldes erlebte.

Auch im Herzogtum Württemberg zeigten sich schon nach kurzer Zeit die Folgen der kaiserlichen Münzmanipulation: Ebenso wie viele fürstliche Standesgenossen trugen Herzog Johann Friedrich und seine Räte dabei keinerlei Bedenken, die guten Münzen in der herzoglichen Kasse, der Landschaftseinnehmerei, gezielt einsammeln zu lassen, sie einzuschmelzen und in geringwertigeren Münzen, bei gleichem Nominalwert, wieder ausprägen zu lassen – sich also ebenfalls an der Münzmanipulation zu beteiligen. Die Folge war zwar eine kurzfristige Steigerung der Einnahmen der Staatskasse. Diese wurde aber mit einer Explosion der Preise und Löhne bei gleichzeitiger Entwertung der Geldvermögen erkauft; zudem waren auch die staatlichen Einnahmen selbstverständlich von der Geldentwertung betroffen.

Als die Münzverwirrung im Reich 1623 so zugenommen hatte, dass eine offizielle Abwertung der Silbermünzen durchgeführt und die minderwertigen Münzen verrufen, d. h. eingezogen und gegen neue mit korrektem Feingehalt ausgetauscht werden mussten, ergaben sich die nächsten Probleme. Die inflationsbedingten immens gesteigerten Kreditaufnahmen der letzten Jahre (allein 1622 waren 400.000 Gulden Schulden aufgenommen worden), bedrohten den Schuldendienst des Herzogtums. Die für die Schuldablösung zuständigen Landstände entschlossen sich in dieser Situation ab 1624, trotz der Bedenken des Herzogs, der zu Recht um seinen Kredit fürchtete, die in hoher wehrung hergelihenen gelltter, sowohl die Capitalien alls daraus verfallne, noch unbezahlte Zins in Reduction zu nehmen. Das bedeutete, die in den Inflationsjahren aufgenommenen Gültverschreibungen – obwohl viele noch mit guten Münzen bezahlt wurden – im Schnitt um annähernd 50 Prozent zu reduzieren. Für viele Kapitalanleger – hauptsächlich württembergische Beamte, Pfarrer, Handwerker – bedeutete dies eine massive Entwertung ihrer Investitionen. Meistens handelte es sich bei diesen Anlagen um Ersparnisse eines ganzen Lebens, welche als Altersvorsorge bzw. im frühzeitigen Todesfall zur Absicherung der Ehefrauen und minderjährigen Kinder dienen sollten. Diese Gültverschreibungen hatten also für die Untertanen die Funktion einer modernen Kapitallebensversicherung.

Die Reaktion sollte nicht auf sich warten lassen. Während 1622 noch über 400.000 Gulden Schulden auf dem Kapitalmarkt zur Staatsfinanzierung aufgenommen worden waren, waren zwei Jahre später keine 20.000 Gulden mehr aufzubringen: Der Kreditmarkt war für Württemberg praktisch zusammengebrochen. Die finanziellen Nöte des Herzogtums sollten sich dadurch in den kommenden Jahren noch massiv verschärfen und die unmittelbaren Kriegsfolgen verschlimmern.

Thomas Fritz

Quelle: Archivnachrichten 57 (2018), S. 14-15

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