Konversion im Religionskrieg:

Der Fall Jacob Reihing

Lucas Osiander: Christliche Erinnerung Bey dem Revocations-Actu. Tübingen 1622. Festschrift anlässlich des öffentlichen Widerrufs der papistischen Lehr durch Dr. Jacob Reihing am 23. November 1621 in Tübingen, Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS A 63 Bü 85
Lucas Osiander: Christliche Erinnerung Bey dem Revocations-Actu. Tübingen 1622. Festschrift anlässlich des öffentlichen Widerrufs der papistischen Lehr durch Dr. Jacob Reihing am 23. November 1621 in Tübingen, Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS A 63 Bü 85

Es war eine Reise ins Ungewisse: Am 5. Januar 1621 verließ der Jesuit Jacob Reihing heimlich seine Wirkungsstätte in Neuburg an der Donau und begab sich nach Stuttgart. Dort angekommen, offenbarte er seine evangelische Gesinnung und bat Herzog Johann Friedrich von Württemberg um Asyl.

Jacob Reihings Flucht nach Württemberg war ein Paukenschlag. Denn der 1579 in eine Augsburger Patrizierfamilie Hineingeborene war alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Reihing hatte über viele Jahre hinweg zu den entschiedensten Vertretern des intransigenten Katholizismus in Süddeutschland gezählt. Nach dem Besuch des Augsburger Jesuitengymnasiums bei St. Salvator und einem Studium der Theologie an der Universität Ingolstadt war er seit 1608 als Philosophieprofessor an der bayerischen Landesuniversität tätig gewesen. Später hatte Reihing als Hofprediger des 1613 zum Katholizismus konvertierten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz- Neuburg gewirkt. Als der Pfalzgraf die Rekatholisierung seines protestantischen Fürstentums in Angriff nahm, fand er in Reihing einen seiner tatkräftigsten Helfer. Noch 1620 war der Neuburger Jesuit als katholischer Kontroverstheologe hervorgetreten.

Und dann der Wechsel ins protestantische Lager. Ohne erkennbaren äußeren Grund. Zudem zu einem Zeitpunkt, als es um die evangelische Sache politisch und militärisch sehr schlecht bestellt war. Erst Anfang November 1620 war der Pfälzer Kurfürst Friedrich V., der die böhmische Königskrone angenommen hatte, in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag vernichtend geschlagen worden. Zu Beginn des Jahres 1621 stand die Auhausener Union, ein seit 1608 bestehendes Bündnis protestantischer Reichsstände, vor der Auflösung. Was trieb Jacob Reihing dazu, ausgerechnet in dem Augenblick, als Kaiser und katholische Fürsten vor dem militärischen Triumph standen, auf die Seite der vermeintlichen Verlierer zu wechseln?

Die Umstände der Konversion sowie der weitere Lebensweg Reihings legen die Vermutung nahe, dass in seinem Fall tatsächlich religiöse Gründe für den Glaubenswechsel den Ausschlag gaben. Anhand der im Hauptstaatsarchiv Stuttgart überlieferten Akten, vor allem der umfangreichen Korrespondenz Reihings mit dem herzoglichen Kammersekretär Johann Conrad Brodbeck, lässt sich die schrittweise Integration des ehemaligen Jesuiten in das protestantische Umfeld in Württemberg nachvollziehen. Nachdem Reihings Aufenthalt im schwäbischen Herzogtum im Januar 1621 nach einer Glaubensprüfung zunächst geduldet worden war, schwor der ehemalige Jesuit im November 1621 in der Tübinger Stiftskirche öffentlich dem Katholizismus ab. 1622 heiratete Reihing Maria Welser, die ebenfalls aus dem Augsburger Patriziat stammte. Im selben Jahr wurde er Extraordinarius in Tübingen, schließlich 1625 ebendort ordentlicher Professor der Theologie. Der Integrationsprozess Reihings in das Kollegium der Tübinger theologischen Fakultät wurde begleitet von mehreren Publikationen, in denen der Konvertit seine früheren Positionen widerrief. Er war ebenso begleitet von einem aufsehenerregenden Federkrieg zwischen den ehemaligen jesuitischen Glaubensbrüdern Reihings, die diesen mit allen erdenklichen Mitteln zu diskreditieren trachteten, und seinen württembergischen Verteidigern.

Auch wenn es im Dreißigjährigen Krieg verschiedentlich Konversionen von Gelehrten gab, weist der Fall Reihing doch Besonderheiten auf: Kaum ein Gelehrter dürfte mit seinem Glaubenswechsel persönlich so viel riskiert haben wie der Augsburger. Der Hofprediger Pfalzgraf Wolfgang Wilhelms tauschte mit seiner Fahrt nach Stuttgart hohes Sozialprestige, Sicherheit und materiellen Wohlstand gegen völlige Ungewissheit.

Jacob Reihing verstarb am 5. Mai 1628 im Alter von 49 Jahren als angesehener lutherischer Theologe in Tübingen.

Wolfgang Mährle

Quelle: Archivnachrichten 57 (2018), S. 12-13

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