Württemberg - Der Vormärz

König Wilhelm I. von Württemberg (HStAS J 300 Nr. 410)
König Wilhelm I. von Württemberg (HStAS J 300 Nr. 410)

Außer der gemeinsamen parlamentarischen Arbeit von Abgeordneten aus allen Landesteilen und dem bei aller Straffheit doch auch volksnahen Verwaltungsapparat war ein Integrationsfaktor ersten Ranges die Persönlichkeit des Königs selbst. Einer der fähigsten Monarchen des Deutschen Bundes und der letzte wahrhaft bedeutende Herrscher Württembergs, hat Wilhelm I. fast durch ein halbes Jahrhundert die Entwicklung des Landes entscheidend mit gestaltet. Der tiefste Beweggrund seiner Politik war der Wille, von der königlichen Souveränität nach außen und nach innen nichts preiszugeben. Auf dieses Ziel blieb sein Handeln immer ausgerichtet, wenn auch im wechselnden politischen Kräftespiel seine Taktik sich oft genug ändern mochte. Die Armee bedeutete für das Zusammenwachsen des Staates im Ganzen nicht viel, weniger jedenfalls als in Bayern, ganz zu schweigen von Preußen. Wichtiger wurde die den Staatsgrenzen angepasste kirchliche Organisation und die Pfarrerschaft beider Konfessionen. Der evangelischen Kirche, in die 1823 auch die Reformierten eingegliedert wurden, stand der König selbst als Landesbischof vor; die Gründung des seit 1803 angestrebten katholischen Landesbistums gelang 1821/28 in Rottenburg. Außenpolitik konnte für das Königreich im Wesentlichen nur Politik innerhalb des Deutschen Bundes sein, wobei man die Verwandtschaft der Dynastie mit dem Zarenhaus zuweilen mit Erfolg ausspielte. Anfangs wurde der Gedanke der Trias, die Stärkung des von den Mittelstaaten getragenen dritten Deutschland gegenüber den Großmächten Österreich und Preußen, vom König und dem württembergischen Bundestagsgesandten von Wangenheim entschieden vertreten. Hierdurch, insbesondere durch das polemische, vom König inspirierte Manuskript aus Süddeutschland geriet Württemberg diplomatisch in eine peinliche Isolierung; unter dem Druck der Großmächte musste Wangenheim 1823 aus Frankfurt abberufen werden. Der württembergischen Regierung blieb fortan nichts übrig, als sich der von den reaktionären Großmächten bestimmten Politik des Bundestages zu fügen und auch im eigenen Lande freiheitliche Regungen zu unterdrücken. Friedrich List, schon 1821 wegen Beleidigung des Beamtentums aus der zweiten Kammer ausgeschlossen, wurde zu Festungshaft verurteilt und 1824 auf dem Hohenasperg inhaftiert. Die unruhig gewordene Universität Tübingen verlor 1825 ihre Verfassung und erhielt als Aufsichtsbeamten einen Königlichen Kommissar. Ludwig Uhland und andere liberale Landtagsführer schieden freiwillig aus der ihnen fruchtlos erscheinenden Arbeit aus.

Württembergisches Turnfest in Reutlingen, 1845 (HStAS E 146 Bü 8468)
Württembergisches Turnfest in Reutlingen, 1845 (HStAS E 146 Bü 8468)

Die Pariser Julirevolution brachte 1830 das stagnierende politische Leben wieder in Bewegung. Die Universität Tübingen erhielt 1831 die akademische Selbstverwaltung zurück, die Pressezensur wurde gelockert. Infolgedessen schoss überall im Lande die Presse mächtig empor; in den meisten Oberämtern entstanden Lokalblätter, in Stuttgart allein erschienen nunmehr acht Zeitungen, in der Mehrzahl entschieden liberal. Erst jetzt nahm auch das Parteiwesen festere Formen an; eine liberale Parteiorganisation mit einem Netz von Wahlvereinen im ganzen Lande begann sich zu bilden. Bei den Landtags wählen von 1831 errang diese »Bewegungspartei« starke Erfolge. Als der König alle Vereine zur Beratung landständischer Angelegenheiten verbot und die Berufung des Landtags verschob, versammelten sich die oppositionellen Kammermitglieder 1832 in Bad Boll; es war unter dem Vorsitz von Albert Schott ein erster Landesparteitag der Liberalen Württembergs. Nach dem Hambacher Fest untersagte die Regierung alle politischen Versammlungen überhaupt, bevor noch die scharfen Juni-Ordonnanzen des Frankfurter Bundestags generelle Einschränkungen des landständischen Lebens brachten. Innenminister wurde Johannes Schlayer, der als Verfechter eines Obrigkeitsstaates gemäßigt liberaler Färbung die Innenpolitik für anderthalb Jahrzehnte maßgebend bestimmte.

"Pferderennen auf dem landwirtschaftlichen Fest zu Cannstatt"
"Pferderennen auf dem landwirtschaftlichen Fest zu Cannstatt" (HStA G 314 Bü 2 S. 328)

In der 1833 zusammentretenden Kammer verfügte die liberale Opposition über hervorragende Führer: neben Uhland und Albert Schott standen Paul Pfizer, der in seinem 1831 erschienen Briefwechsel zweier Deutschen für die Einigung Deutschlands unter preußischer Führung eingetreten war, und der Kriegsrat Friedrich Römer, ein Meister der parlamentarischen Taktik. Die leidenschaftlichen Angriffe der Opposition gegen Regierung und Bundestag veranlassten den König, den Landtag alsbald aufzulösen. Neuwahlen brachten die Opposition nur wenig geschwächt in den Landtag zurück, aber ihre Anhängerschaft in der Kammer bröckelte ab, als in Ludwigsburg die mit dem Frankfurter Wachensturm zusammenhängende Verschwörung des Oberleutnants Koseritz aufgedeckt wurde und eine Verhaftungswelle durch das Land ging. Die Regierung gewann im Parlament die Initiative zurück. Die liberalen Führer resignierten ein zweites Mal und kandidierten 1838 nicht wieder; der Widerhall, den ihre glänzenden Reden damals in ganz Deutschland fanden, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass im politischen Alltag des Landes andere Kräfte noch stärker waren. Neben der Regierung war auch die Hofgesellschaft als ständige Umgebung des Monarchen mächtig; der standesherrliche wie der ritterschaftliche Adel hielt auf dem flachen Lande seine traditionelle Stellung. Die überwiegende Mehrheit des Volkes, die materiell sehr viel schwerere Zeiten hinter sich hatte, war mit ihrem Los nicht eigentlich unzufrieden. Es geschah - dank der ganz persönlichen Initiative des Königs - viel für den Fortschritt von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel. Der Staat hatte vom Regierungsantritt Wilhelms I. an durch eine Reihe wirtschaftspolitischer Maßnahmen mit Erfolg neue Wege beschritten. Seit 1834 war Württemberg durch den Zollverein mit einem großen Wirtschaftsgebiet verklammert. Der Volkswohlstand war im Wachsen, mehrfach konnten die Steuern gesenkt werden. Die gewaltsame und mechanistische Staatsschöpfung König Friedrichs, in einem Menschenalter innerlich zusammengewachsen, wurde jetzt von einem lebendigen Landespatriotismus getragen.

25-jähriges Regierungsjubiläum König Wilhelms I. (HStAS J 302 Nr. 50 R III 1-6 Nr. 13)
25-jähriges Regierungsjubiläum König Wilhelms I. (HStAS J 302 Nr. 50 R III 1-6 Nr. 13)

In der Ruhe der frühen vierziger Jahre zeigten sich erste Ansätze künftiger Kräfteverschiebungen. Bereits beim Volksschulgesetz von 1836 und in der Mischehenfrage 1839 hatte sich katholischer Widerstand gegen die staatliche Bevormundung geregt. 1841/42 fand in der Kammer die im Klerus und in der katholischen Bevölkerung wachsende Kritik an dem herrschenden Staatskirchentum noch schärferen Ausdruck. Ein Vorstoß des Rottenburger Bischofs Keller gegen die Beschränkung der bischöflichen Rechte blieb zwar ohne unmittelbaren Erfolg, aber die Regierung konnte auf die gouvernementale Haltung der Katholiken seither nicht mehr im bisherigen Maß rechnen. Nach dem Tod Kellers 1845 hat kein Rottenburger Bischof mehr seinen Platz in der zweiten Kammer eingenommen. Neben der liberalen Opposition entstand allmählich im politischen Katholizismus eine dritte Kraft, die später das Parteigefüge grundlegend ändern sollte.

Friedrich List (1789-1846), Gründer des "Deutschen Handels- und Gewerbevereins" (HStAS J 300 Nr. 89)
Friedrich List (1789-1846), Gründer des Deutschen Handels- und Gewerbevereins. (HStA J 300 Nr. 89)

Später als Baden hat Württemberg den Bau von Staatseisenbahnen in Angriff genommen. Gegen die Wirtschaftlichkeit des langfristigen Vorhabens waren im Lande die Bedenken erheblich. Nicht zuletzt war es Friedrich List, der im Sinne von Minister Schlayer durch Wort und Schrift die Widerstände überwinden half. 1845 fuhr der erste Zug von Cannstatt nach Untertürkheim. In diesen Jahren belebte sich auch die politische Szene wieder. Friedrich Römer, jetzt das anerkannte Haupt der Kammeropposition, suchte, als es 1847 soziale Unruhen gab, vor allem die Fäden zu Gesinnungsgenossen in den Nachbarländern fester zu knüpfen.

(Quelle: Bearbeitete Fassung aus dem Abschnitt Landesgeschichte, in: Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Band I, Stuttgart, 2. Aufl. 1977)

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