Die Kalksinterfelsen im Jagsttal bei St. Wendel zum Stein

Die Kapelle St. Wendel zum Stein, im Hintergrund die Kalksinterfelsen - Quelle LMZ BW
Die Kapelle St. Wendel zum Stein, im Hintergrund die Kalksinterfelsen - Quelle LMZ BW

Unter zahlreichen Kalksinterbildungen gehören die Felsen bei St. Wendel zum Stein im Jagsttal zu den herausragenden Landschaftselementen des Hohenlohekreises. Auf nahezu 70 m Länge bilden dort 22 m hohe Kalksinterwände das linke Steilufer der Jagst. Sie sind Teil einer Süßwasserkalkterrasse, die ursprünglich noch weiter flussaufwärts und flussabwärts reichte und vor allem im 19. Jahrhundert als begehrter Werk- und Baustein abgebaut wurde. Bei diesen Kalken handelt es sich um geologisch junge Ausfällungsprodukte, deren Bildung radiometrischen Messungen zufolge vor ungefähr fünftausend Jahren einsetzte und bis heute anhält. Ihre Entstehung hängt mit den zahlreichen Quellen an der Basis des Mittleren Muschelkalks zusammen. Regenwasser, das durch Zersetzung organischen Materials mit Kohlensäure (CO2) angereichert wurde, kann in Karbonatgesteinen den Kalk in Form von Calciumbikarbonat (HCO3) lösen. Beim Austritt des Wassers an Quellen oder Trennflächen von Gesteinsschichten entweicht das CO2 und der Kalk wird wieder abgeschieden. Als weißgraue, poröse Kruste überzieht er im Lauf der Zeit Pflanzenteile und Gesteine mit immer mächtigeren Polstern. An Überhängen kann er tropfsteinartige Formen annehmen, Sintervorhänge bilden und so allmählich Hohlräume umschließen.

Von den zehn bekannten Höhlen und Nischen der Felsformation ist die 1936 entdeckte Marderhöhle mit 13 m Länge, 4 m Breite und 2 m Höhe die größte. Hier konnten neben den Skelettresten von wenigstens zwanzig Menschen prähistorische Schmuck- und Gebrauchsgegenstände sowie keltische Silbermünzen geborgen werden. Sie legen eine erste Besiedlungsphase der Höhle in der späten Hallstattzeit, eine weitere, längere in der Mittel- und Spätlatène-Zeit nahe. Auch danach wurden die Höhlen aufgesucht, teilweise künstlich erweitert. Dicht oberhalb der heutigen Wallfahrtskapelle diente eine der Nischen, die Spuren einer gotischen Überwölbung und Reste von Wandmalereien aufweist, als Kapelle, eine weitere möglicherweise als Einsiedlerklause.

Ein dichter, urwüchsiger Hangwald verdeckt die Felsen, botanisch einzigartig durch seine Kombination aus Schlucht- und Klebwaldarten (Linden, Ulmen, Ahorn) sowie Quell- und Felsflora. Nirgendwo im Hohenloher Land ist die Hirschzunge so zahlreich vertreten. Kalk-Blaugras, eigentlich auf der Schwäbischen Alb heimisch, findet hier ebenso gute Wachstumsbedingungen wie das auf der Roten Liste stehende Pyrenäen-Löffelkraut, ein Relikt aus der Eiszeit. Seit 1979 steht das Gebiet mit 12,1 Hektar unter Naturschutz.

Jörg-Wolfram Schindler

Veröffentlicht in: Der Hohenlohekreis. Hg. v. der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Hohenlohekreis (Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg). Ostfildern 2006, Bd. 1, S. 20f.

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